Joachim Bramsch: Die Methode der Goethe’schen Farbenlehre als Hoffnung auf eine neue Physik

in: Mathematisch Physikalische Korrespondenz, Nr. 156, Ostern 1990, S. 3 – 11.

Teil 1

1. Anlass: Die Situation der Gegenwart
1. Als im Dezember 1919 Rudolf Steiner in Stuttgart die «Lichtlehre» als «l. Naturwissenschaftlichen ursus» begann, verlas W. J. Stein zu Anfang eine Stelle aus den «Einleitungen zu Goethe’s Naturwissenschaftlichen Schriften»: « Sollte ich dereinst das Glück haben, Musse und Mittel zu besitzen, um eine Farbenlehre im Goethe’schen Sinne ganz auf der Höhe der modernen Errungenschaften zu schreiben, so wäre in einer solchen allein die Aufgabe zu lösen, die zu Goethe’s Zeiten noch unbekannten Erscheinungen der Farbenlehre ganz aus seinem Prinzipe abzuleiten» ( 1). Und wir möchten hinzufügen: nicht nur der Farbenlehre, sondern der ganzen modernen Physik. Nach welcher Methode glauben wir, dabei vorgehen zu können und zu sollen?
Goethe selbst hat nie eine geschlossene Darstellung seiner Naturphilosophie oder einer Erkenntnistheorie gegeben; er hat solche Bestrebungen sogar abgelehnt: «Ich habe nie über das Denken gedacht» ( 2 ), sondern ganz andere seiner Fähigkeiten höher und weiter entwickelt: «Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht (interessanter) als Anschauen» (3), und damit den Kein seines wissenschaftlichen Strebens aufgezeigt, das er dann an vielen über Werk, Briefe und Gespräche verstreuten Stellen von immer neuen Seiten beleuchtet (4). Er hatte noch einen Rest griechischer Antike in sich, deren Menschen mit der Sinneswahrnehmung auch die Ideen noch zuströmten, sodass er zu Schiller in dem Gespräch über die Urpflanze sagen konnte: «Es kann mir sehr lieb sein, dass ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.» (5).
Dabei kommt es ihm immer darauf an, ja nicht blosser Beobachter zu bleiben, sondern selber tätig zu sein: «Denken und Tun, Tun und Denken» (6), «da ich nur denken kann, insofern ich produziere» (7), wozu immer das unmittelbare Wahrnehmen gehört: «Was habe ich denn an einer Idee, die mich nötigt, meinen Vorrat von Phänomenen zu verkümmern!» (8)
Damit kommen wir zu einem ersten zentralen Satz der Goethe’schen Methode:
«Die Phänomene zu erhaschen, sie zu Versuchen zu fixieren, die Erfahrungen zu ordnen, und die Vorstellungsarten darüber kennenzulernen -, bei dem ersten so aufmerksam, bei dem zweiten so genau als möglich zu sein, beim dritten vollständig zu werden, und beim vierten vielseitig genug zu bleiben -, dazu gehört eine Durcharbeitung seines armen Ich, von/deren Möglichkeit ich auch sonst nur keine Idee gehabt habe» (9).
Aber: « Die Phänomene sind nichts wert, als wenn sie uns eine tiefere, reichere Einsicht in die Natur gewähren» (10), und: «Kein Phänomen erklärt sich an und aus sich selbst; nur viele zusammen überschaut, methodisch geordnet, geben zuletzt etwas, das für Theorie gelten könnte» (11).
Damit kommen wir zu einem zweiten zentralen Satz der Goethe’schen Methode, zum Urphänomen:
«Ein Urphänomen ist nicht einem Grundsatz gleich zu erachten, aus dem sich mannigfaltige Folgen ergeben, sondern anzusehen als eine Grunderscheinung, innerhalb deren das Mannigfaltige anzuschauen ist» (12).
Ungefähr hier knüpft Rudolf Steiner im 1. Vortrag des «Lichtkurses» an (13) und kommt auf den bemerkenswerten Gegensatz: «Ein Physiker von heute kann sich überhaupt bei der Goethe’schen Farbenlehre nichts vorstellen» (14), um dann zu sagen: «Aber es wird eine Zeit kommen, die gar nicht ferne liegt, wo man auch physikalisch im Sinne Goethe’s wird sprechen können» (15).
2. Dieser Gegensatz spiegelt sich bereits in den Urteilen über Goethe’s naturwissenschaftlichen Arbeiten, von seinen Zeitgenossen an (16), durch das 19. bis in das 20. Jahrhundert, wieder.
Nach der strikten Ablehnung durch Tyndall kommt Helmholtz zu differenzierteren Betrachtungen: Als Physiker verwirft er die wissenschaftlichen Begründungen Goethe’s, anerkennt es aber als Physiologe und Augenarzt geradezu als eine wissenschaftliche Tat, dass Goethe die physiologische Farbe als Anfang und Ende aller Farbenlehre zur Grundlage seiner Darstellungen nahm. Und Naturforscher wie Purkinje, Joh. Müller und E. Herin haben bewusst auf Goethe’s Forschungen gefusst und weiter gebaut – als Physiologen, nicht als Physiker.
Die kontroversen Stellungnahmen Helmholtz› finden deutlich Ausdruck in seiner Rede vor der Goethe-Gesellschaft 1892 (17): Dass «ein höchst bedeutsamer Kein neuer Einsichten auch in diesem verunglückten Bestreben des Dichters liegt» und muss ein andermal sogar zugeben: «Vielleicht hing Faraday’s wunderbare Spürkraft in der Auffindung neuer Phänomene mit dieser Unbefangenheit und Freiheit von theoretischen Vorurteilen der bisherigen Wissenschaft zusammen», was sich mühelos auf Goethe übertragen lässt, und wie eine vorweg genommenen Bestätigung eines Satzes Rudolf Steiner’s klingt (14): «… dass zunächst noch die physikalischen Vorstellungen, die heute gang und gäbe sind, aus solchen theoretischen Voraussetzungen gemacht werden, dass ein Physiker von heute sich überhaupt bei der Goethe’schen Farbenlehre nichts vorstellen (kann). – Wir müssen eben nicht vergessen, dass gewisse Dinge da vorliegen, die erst noch überwunden werden müssen, wenn von Seiten der Physik die Goethe’sche Farbenlehre ernst und nur ernst genommen werden soll.»
Gegen Ende dieser Rede kommt Helmholtz auf die «Pudel-Szene» im «Faust»: «Das erkenntnistheoretische Gegenbild dieser Szene liegt darin, dass die Bemühungen der philosophischen Schulen, die Überzeugung von der Existenz der Wirklichkeit zu begründen, erfolglos bleiben mussten, solange sie nur vom passiven Beobachten der Aussenwelt ausgingen.»
Auf diese Rede folgt ein weiterer Beitrag von Julius Schiff (17), wo es heisst: «Wir handeln im Sinne Goethe’s, wenn wir seine Gleichnisse, und vor allem die naturwissenschaftlichen, auffassen als ein bedeutendes Mittel, sein Inneres zum Ausdruck zu bringen; sie sind geradezu Ausströmungen seiner Weltanschauung.»
Diese beiden Beiträge bilden eine reiche Fundgrube; sie sind gewissermassen eine Erweiterung der «Sinnlich-sittlichen Wirkung» und gehören insofern zu Goethe’s Methode.
Ebenfalls 1932 – (zum 110. Todesjahr Goethe’s) – erschien ein schön ausgestattetes Buch «Goethe als Physiker – ein Weg zum unbekannten Goethe» von M. Gebhardt (18), der im Vorwort sagt: «Im Mittelpunkt steht immer der Physiker Goethe, der sich freilich nie vom Physiologen, vom Psychologen und vom Dichter trennen lässt. (Man kann nicht) Goethe, den urlebendigen, mit dem Seziermesser zergliedern. Alles in ihm erklingt wie ein grosser Akkord, der zur Disharmonie wird, wenn man ihm einzelne Töne nimmt.»
Der eigentliche Text geht dann die ganze Farbenlehre durch -, in Auszügen und Anmerkungen, auch aus anderen Werken – , mit Zeichnungen und Abbildungen -, vor allem aber mit vielen Zitaten zur Methode, in Goethe’s Werken verstreut und oft «in poetischem Gewande». – Eine Betrachtung «Goethe und Leonardo da Vinci» beschliesst das nicht sehr umfangreiche, aber innerlich reichhaltige, konzentriert und lebendig geschriebene Werk.
Eine ähnliche Zusammenstellung bietet «Die Farbenlehre im Goethe-Nationalmuseum» von R. Matthaei (19). Dieses ebenfalls schön ausgestattete Buch bringt vor allem die Versuche zu Goethe’s Farbenlehre, mit weitgehenden Auszügen aus seinem Text, aber auch wieder mit vielen verstreuten Sätzen Goethe’s zu seiner Methode.
3. Eine fachliche Auseinandersetzung von physikalischer Seite her finden wir aber erst in Heisenberg’s Vortrag «Die Goethe’sche und die Newton’sche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik» (20):
«Der stetige Wandel in der modernen Naturwissenschaft erinnert auch an den Kampf Goethe’s für eine lebendigere Naturwissenschaft in der Farbenlehre; aber dieser ist abgeschlossen; die Entscheidung über «richtig» und «falsch» ist in allen Einzelheiten längst gefallen: Die Goethe’sche Farbenlehre hat in der Kunst, der Physiologie und der Aesthetik vielfache Früchte getragen. Aber der Sieg, der Einfluss auf die Forschung des folgenden Jahrhunderts, ist der Newton’schen Farbenlehre geblieben.
Die spätere Entwicklung hat gezeigt, wie sehr die beiden Farbenlehren ihren Zweck auch wirklich erreichten: Fernrohre, Mikroskope und andere Apparate unserer Zeit wären ohne die mathematische Theorie des Lichtes nie entstanden. Viele Maler haben aus der Goethe’schen Lehre Belehrung und Bereicherung erfahren.
Der eigentliche Unterschied ist, dass sie von zwei ganz verschiedenen Schichten der Wirklichkeit handeln. In der Goethe’schen wird nicht gezählt, sondern gewogen; nicht erklärt, sondern gedeutet. Sinnvolle Zusammenhänge finden sich hier als Zusammengehörigkeit im menschlichen Inneren. Dieser Wirklichkeit, zwar subjektiv, aber durchaus kräftig, gilt jede Art von Kunst; darum bereichert uns jedes bedeutende Kunstwerk mit neuen Erkenntnissen.»
«Durch die Vorstellung, dass unsere Sinne nur unvollkommene Hilfsmittel bilden, hat sich die moderne Naturwissenschaft von der unmittelbar wahrnehmbaren Welt immer weiter entfernt. Die verfeinerte Beobachtungstechnik brachte neue Seiten der Natur ans Licht, die unserer Anschauung verborgen bleiben, und im gleichen Masse wurden die Begriffe abstrakter und unanschaulicher.
Dadurch hat sich die objektive Welt der Naturwissenschaft merkwürdig gewandelt. Vom menschlichen Denken und Handeln sollte abgesehen werden, um Irrtümer aus Sinnestäuschungen oder ungenauen Wahrnehmungen auszuschalten. Aber dieses genauer werdende Bild entfernte sich immer weiter von der lebendigen Natur.
Darum muss der Kampf Goethe´s gegen die physikalische Farbenlehre auf einer erweiterten Front auch heute noch ausgetragen werden. Wenn nach Helmholtz «Goethe’s Farbenlehre der Versuch ist, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten», so stellt sich uns heute diese Aufgabe dringender denn je. Daher sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder warnende Stimmen laut geworden, die zur Umkehr raten.
Wenn Goethe sagt, was der Physiker mit seinen Apparaten beobachtet, sei nicht mehr Natur, so meint er auch, dass es in ihr weitere und lebendigere Bereiche gebe, die eben dieser Methode nicht zugänglich seien. Die beiden Theorien stehen eben an verschiedenen Stellen im grossen Gebäude der Wissenschaft.
Sicher kann man auch den Goethe’schen Weg weiter gehen, nur wäre die Hoffnung, bald zu einer lebendigeren, einheitlicheren Stellung zur Natur zu kommen, noch verfrüht.».
«Denn», sagt Heisenberg an anderer Stelle weiter, «wieder wurde mir klar, wie unendlich schwer es ist, die Vorstellungen aufzugeben, die bisher für uns die Grundlage des Denkens und der wissenschaftlichen Arbeit gebildet haben» (21).
Zu einer ähnlichen Kritik, aber ganz anderen Konsequenzen, kommt C.F. von Weizsäcker (22). Er sagt etwa: «Das physikalische Weltbild hat nicht mit dem unrecht, was es behauptet, sondern mit dem, was es verschweigt. Goethe tadelt vor allem, dass sich Newton, um auf das Wesen des Lichtes zu kommen, zunächst in ein dunkles Zimmer einschliesst, mit einem ganz kleinen offenen Spalt, und nun das misshandelte Licht untersucht. Und wirklich, wie wenig bleibt da noch übrig von dem lebendigen Licht um uns! – Im höchsten Sinne anschaulich ist Goethe’s Naturwissenschaft.
Aber haben wir überhaupt noch einen festen Punkt, von dem aus wir philosophieren können? Als Physiker vom Realismus ausgegangen, mussten wir die Fragwürdigkeit des Metaphysischen erkennen. Kant’s «Apriori» schien ein sicheres Fundament zu gewähren -, nun scheint es uns selbst weiterer Zergliederung fähig und bedürftig. Nun versuchen wir, die Quelle der Schwierigkeiten selbst zum Ursprung einer neuen Betrachtungsweise zu machen. Da finden wir einen schwebenden Charakter der Begriffe, der uns mit Wissenschaft nicht vereinbar erscheint. Da müssen wir zugeben, dass verschiedene Bewusstseinszustände durch entgegengesetzte Aussagen in «jeweils wahrer Weise» ihre Haltung zu den tiefsten menschlichen Fragen dokumentieren können -, aber auch, dass uns die Wahrheit faktisch immer nur in der Form gegeben ist, weiche der Bewusstseinszustand unserer Epoche zulässt. Einen solchen Vorgang im Bewusstsein finden wir in der Meditation.
Meditation ist die Aneignung einer Wahrheit durch das Bewusstsein, bei der nicht nur der Inhalt sondern auch die Struktur des Bewusstseins verändert wird, da Erkenntnis selbst ein Lebensvorgang ist.
Stetes Anschauen, Durchdenken, Sichvergegenwärtigen und Einüben -, in der ständigen Bereitschaft, das eigene Wesen der erkannten Wahrheit anzugleichen -, das etwa ist der Beitrag, den der Wille zur Meditation leistet nicht verschieden vom Vorgang des Reifens. Die Entwicklung der Wissenschaft und der Philosophie kann als eine grosse Meditation aufgefasst werden.
Nun bleibt die ungelöste Aufgabe, eine der Meditationsstufe der Quantenmechanik entsprechende Philosophie wirklich durchzuführen.
Es war aber vielleicht erlaubt, diese vorläufigen Betrachtungen als Bitte um Zusammenarbeit und Kritik jetzt schon vorzulegen. -»
4. Am weitesten auf Goethe zu geht W. Heitler (23); er schreibt zusammengefasst etwa:
«Weniger durch philosophische Argumente, als durch Schaffung einer eigenen Farbenlehre, stellte Goethe einen Gegenpol zur Physik dar.
Mit der Selbstbeschränkung nur auf das Messbare hat sich die Physik vom Menschen entfernt. In dem bloss quantitativen Aspekt ist bewusst jedes menschliche Element ausgeschaltet. Dadurch ist diese Wissenschaft lebensfremd bis lebensfeindlich geworden.
Jedes Experiment, mindestens im Bereich der Atomphysik, ist ein Eingriff, der das Objekt verändert, Ein Experiment am Licht wie es Newton ausführte, ändert gerade das, was Goethe im Licht sah: das uns unmtittelbar anrührende Naturphänomen, bis zu seinen künstlerisch-ästhetischen Wirkungen hin.
Kann man, ja darf man dem Lebensspender Licht totes mechanisches Wesen unterschieben, oder gar behaupten, es sei dieses Wesen? Mag es wohl als Folterung der Natur gelten, wenn wir in unseren Experimenten nur den quantitativmechanistischen Aspekt von ihr fordern?
Diese nicht-menschliche, sogar anti-menschliche Haltung war der tiefste Grund für Goethe’s Polemik gegen das Vorgehen der Physiker. Den Abgrund, den wir selbst aufgerissen haben, können auch nur wir selbst überbrücken, durch die Einsicht, dass in jeder ganzen Erkenntnis auch der Mensch als Ganzes unentbehrlich ist. Goethe’s Naturbetrachtung erstreckt sich bis zur «sinnlich-sittlichen Wirkung», also bis auf das menschliche Innenleben.
Alle wissenschaftlichen Bemühungen Goethe’s gehen vom ganzen Menschen aus. In einer ganzheitlichen Wissenschaft müssen folglich alle menschlichen Fähigkeiten hervortreten und ihre Rolle spielen. Das ist bei Goethe in erster Linie die Anschauung, nicht das analysierende Denken. Die Anschauung der Natur hat Goethe zu unerreichter Höhe entwickelt: «Anschauende Urteilskraft» – (Titel eines ganz kurzen Aufsatzes) charakterisiert die Methode in zwei Worten am besten.
Gegenstand der Untersuchung ist die Farbe, wie sie von uns gesehen wird; das Ziel: Gesetzmässigkeiten zwischen Farbphänomenen aufzudecken; also wie in jeder Naturwissenschaft: Erfahrungstatsachen miteinander zu verbinden. Der Unterschied liegt im Begriff «Phänomen»: Bei Goethe die gesehene Farbe selber, nicht der erst gedanklich erschlossene «Träger des Lichtes» -, die Wellen.
Goethe hat uns vordemonstriert dass saubere, klare Wissenschaft auch im Bereich des rein Qualitativen wie im reinen Bereich der Gestalten möglich ist. Die Farbe gehört zur äusseren Welt ebenso wie auch zu unserer inneren Erfahrung: Beide sind «ein Eines».
Die Anschauung eines Ganzen wird als wissenschaftliche Methode gefordert und beansprucht. Durch die Erkenntnis der «Urbilder» nehmen wir teil am Schaffen der Natur, also an ihrem eigensten geistigen Gehalt. Vor allem müssen wir Goethe zustimmen, dass die «Urbilder», der «Bauplan» usw. geistige Realitäten sind, zugänglich unserem Erkennen, und die wir als Teil des geistigen Inhaltes der Naturdinge ansehen müssen. Wenn wir wollen, können wir sie als Abglanz des Schöpfergeistes betrachten, der sie geschaffen hat -, womit wir der Goethe’schen Auffassung als göttlichem Organ etwas näher kommen.»
Literaturstellen:
1) R. Steiner «1. Naturwissenschaftlicher Kursus: Lichtlehre». 10 Vorträge, Waldorfschule Stuttgart, 23.12.1920. Herausg. Naturwissenschaftliche Sektion am Goetheanum, Dornach 1925.
Wir haben den von W. J. Stein verlesenen Satz im Wortlaut dieser ersten Auflage wiedergegeben. Der ungekürzte Wortlaut aus den «Einleitungen zu Goethe’s naturwissenschaftlichen Schriften» findet sich in der 2. Auflage des «Lichtkurses», GA 320, Dornach 1964, unter «Hinweise», S. 194 /5.
(2) Goethe: Zahme Xenien VII.
(3) Maximen und Reflexionen [?]150.
(4) Karl Rittersbacher «Der Naturforscher Goethe in Selbstzeugnissen». Verlag Die Kommenden, Freiburg 1968.
(5) Goethe «Glückliches Ereignis» – Goethe’s naturwissenschaftlichen Schriften. Herausg. R. Steiner, 1. Bd., S. 108 unter «Verfolg».
(6) Goethe «Wanderjahre» 2. 9.
(7) Goethe an Knebel 1799.
(8) Goethe an Schiller 1798.
(9) Goethe an Jacobi 1794.
(10) Goethe «Sprüche in Prosa» 997.
(11) Ebenda, 810.
(12) Goethe an C. D. v. Buttek 1827.
(13) J. Bramsch «Das Wasser-Analogen der Elektrotechnik und R. Steiner’s Spektrum der Natur». Math.-Phys. Korrespondenz Nr. 126, Weihnachten 1982.
(14) R. Steiner «1. naturwissenschaftlicher Kurs», 2. Aufl. GA 320. Dornach 1964. – Diskussionsvotum vom 8.8.1921, S. 9.
(15) Ebenda, Vortrag, S. 42.
(16) Manfred Richter «Das Schrifttum über Goethe’s Farbenlehre». Berlin 1938. Nennt 60 Titel schon aus Goethe’s Lebzeiten. (17) H. von Helmholtz «Goethe’s Vorahnungen kommender naturwissenschaftlicher Ideen». – Rede, gehalten in der Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft zu Weimar, den 11.6.1892
Julius Schiff, Breslau «Naturwissenschaftliche Gleichnisse in Goethe’s Dichtungen, Briefen und literarischen Schriften. – Auf Anregung von Arnold Berliner über W. Wien’s Vortrag «Goethe und die Physik», s. «Naturwissenschaften 11, 928, 1923».
Beides in «Die Naturwissenschaften» Heft 13 vom 25.3.1923, S. 213 und 223.
(18) M. Gebhardt «Goethe als Physiker – ein Weg zum unbekannten Goethe». Grote’sche Verl.-Buchh., Berlin 1932.
(19) R. Matthaei «Die Farbenlehre im Goethe-Nationalmuseum» (in Weimar)>. Verlag Gustav Fischer, Jena 1941.
(20) Werner Heisenberg «Die Goethe’sche und die Newton’sche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik» in «Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft-». 4. Aufl., Verlag S. Hirzel, Leipzig 1943.
(21) Werner Heisenberg «Der Teil und das Ganze», Piper Verlag 1969/81.
(22)C. F von Weizsäcker «Zum Weltbild der Physik». 3. Auflage. Verlag Hirzel 1945. Aus 1,5 «Die physikalische Methode» und III,4 «Meditationsstufen».

(23) Walter Heitler «Der Mensch und die naturwissenschaftliche Erkenntnis». Verlag Vieweg, Braunschweig 1966.
Walter Heitler «Naturphilosophische Streifzüge». Vieweg, Braunschweig 1970.

Walter Heitler «Die Natur und das Göttliche». Verlag Klett und Balmer, Zug 1974.

Joachim Bramsch: Die Methode der Goethe’schen Farbenlehre als Hoffnung auf eine neue Physik – Teil 2, in: Mathernatisch-Physikalische Korrespondenz, Nr. 157, Johanni 1990, S. 5 – 24.

TEIL II

11. Die Richtung: Der geisteswissenschaftliche Weg
1. Wenn man als Ingenieur oder Physiker versucht, bloss von den Grundlagen seiner beruflichen Vorbildung und Tätigkeit her, diesen Forderungen anerkannter Wissenschaftler zu folgen, zeigt sich sehr bald, dass dies gar nicht so ohne weiteres geht, dass einem eine ganze Reihe von Fähigkeiten fehlt, um sich in Goethe’s Anschauungsweise hineinzuleben Der künstlerische Sinn, der wesentlich nur durch eigene Betätigung, durch treues Üben gewonnen wird das Leben mit der Natur, nach deren eigenen Bedingungen, nicht nur durch Sich-Ergehen, Sich-Erfreuen, Sich-Erholen, Sich-Bereichern; – eine weite und tiefe Allgemeinbildung, die erst Menschen- und Welterkenntnis ermöglicht -. Da bemerkt man die weltanschauliche Unsicherheit jenes bloss wissenschaftlichen Denkens, das So kann es kommen, dass man sich in und zwischen zwei Welten bewegt, die man nicht recht in sich vereinen kann, und beginnt, nach einer einheitlichen Weltanschauung zu suchen. Findet man sie in der Geisteswissenschaft Rudolf Steiner’s, wie sie in der anthroposophischen Bewegung gepflegt wird, so kommt man auf einem langen, arbeitsreichen, fruchtbaren Übungsweg in die Lage, sich seinem Beruf und dessen Grundlagen von einer ganz neuen Seite und mit ganz neuen Impulsen wieder zuzuwenden.
Das sichere Fundament bilden die grundlegenden Schriften R. Steiner’s zu Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft. Sie hier aufzuzählen, hiesse «Eulen nach Athen tragen». Aus der Fülle darauf fussender Arbeiten sei für das gegenwärtige Ziel auf die Schriften G. Unger’s hingewiesen, die «jeden an der modernen Physik Interessierten zu naturphilosophischen Auseinandersetzungen und ideeller Vertiefung anregen können» -, «die allein das Gegengewicht sein kann gegen die schon lange zutageliegenden Niedergangserscheinungen des menschlichen Denkens mit all ihren kulturellen, sozialen und moralischen Auswirkungen» (24). Aus diesen und anderen Schriften ist vieles auch in den hier vorliegenden Versuch des Verfassers eingeflossen, ohne dass alles durch Zitate belegt werden kann.
2. Nicht nur aus dem gleichen, oben genannten Grunde, sondern vor allem weil es den Rahmen dieses Versuches hier weit übersteigen würde, kann auf die ebenfalls zahlreichen Veröffentlichungen der Naturwissenschaftlichen Sektion nicht eingegangen werden; nur auf ein bemerkenswertes Phänomen sei hier hingewiesen: Gerade der Physiker und Ingenieur, der es ja mit dem aus der Natur herausgeholten Unbelebten zu tun hat, kann bemerken, wie – neben dem Künstlerischen – die Darstellungen aus den Reichen des Belebten sein eigenes Denken, Fühlen und Wollen so beleben, dass er Kräfte sogar für die eigene Berufstätigkeit gewinnen kann.
Auch hier sei für das Ziel des vorliegenden Versuches nur auf weniges hingewiesen: Auf die «Elemente der Naturwissenschaft» und auf das im Zusammenhang mit ihnen entstandene Sammelwerk « Erscheinungsformen des Aetherischen». Daraus greifen wir heraus:
G. Maier (25) betrachtet die Trübe als Wirkensart, die vier Elemente als differenzierte Folge verschiedener Formen der Naturbetrachtung, die mit Tätigkeiten wie: «Verfremden, Sammeln, Verbinden, Teilnehmen, Sich-Verhalten» zusammenhängen. Dem entsprechen Stufen unterschiedlicher Betrachtungweisen, durch die wir uns selbst «durch zunehmenden Einsatz unseres Willens von der bloss feststellenden Haltung über das verständnisvolle Eingehen zum uns verwandelnden Miterleben» entwickeln können. Wir «stehen dann vor der Aufgabe, moralische Fähigkeiten zu entwickeln».
Bei der räumlichen Gliederung in der sichtbaren Welt kommt es zu verschiedenen Auffassungsmöglichkeiten und ihrer Ordnung untereinander. Nach einer Betrachtung des Erscheinungszusammenhanges unter verschiedenen Bedingungen stellt er «Naturgesetz und Urphänomen» gegenüber: «Im gedanklichen Verfolgen des Physikalischen kommt man zur Berechenbarkeit, wird aber dabei immer weiter aus der Sinneswelt hinausgeführt. Im Urphänomen belässt man den Zusammenhang der Erfahrung in der ursprünglichen Gedankenform. – Für Goethe war das Element der Übereinstimmung, der Wahrheit, tragend für die Schönheit der Natur.»
J. Bockemühl (26) betrachtet «Elemente und Aetherarten nicht nur (als) Teil einer Ordnung der Welt, sondern auch (als) Organismus sich ergänzender Betrachtungsweisen, in den man sich einleben kann. Mit diesen Begriffen können wir uns den Wirksamkeiten der Welt nähern. Damit begeben wir uns auf den Weg zu einem imaginativen Anschauen der Welt.»
«Dabei hat der Begriff, als ‹gefundene Ordnung› erlebt, abschliessenden Charakter; als «spezifische Beleuchtung» erlebt, verwachsen wir durch ihn mit der Welt.»
«So finden wir in der Art, wie ein Wahrgenommenes zu seiner Umgebung in Beziehung tritt, eine Gliederung der Welt in den Elementen Erde, Wasser, Luft und Wärme. – Dieser äusserlich erlebten Gliederung entsprechen Schichten unserer Ideenfähigkeit, und es ergeben sich Schichten des Aetherischen: Wir finden zum Erscheinungszusammenhang den Verwandlungszusammenhang und den Sinnzusammenhang hinzu.»
«Die Denktätigkeit ist auf einen Sinnzusammenhang gerichtet, von dem als Schatten wir den festen Begriff in uns tragen. In den Verwandlungen finden wir ein Durchgehendes, das ihnen eine Richtung gibt. Wir erkennen einen Verwandlungszusammenhang, der etwas Fliessendes, Rhythmisches an sich hat. Den Wahrnehmungen können wir eine gesteigerte Aufmerksamkeit, eine gerichtete Aufnahmebereitschaft, entgegenbringen. In sie kann unsere Denktätigkeit eintreten wie das Licht in die Luft. Durch dieses Erhellende kommen wir zu einem räumlich gegenwärtigen Erscheinungszusammenhang.»
«Wo sich das aussen Gegebene und die Denktätigkeit innen begegnen und verbinden, erleben wir das Impulsierende der Welt wie das Wärmeelement. Das Ideelle tritt willensartig auf: als Wärmeäther.
«Wird das Ideelle bildhafte Erscheinung, als weisheitsvoller Zusammenhang, erleben wir es als Lichtäther. Wirkt das Ideelle im Verwandlungszusammenhang ordnend, im Stofflichen verwandelnd, finden wir es als chemischen, Klang-(oder Zahlen)äther.
Im Lebenszusammenhang individualisiert sich das Ideelle sinnhaft geworden als Lebens- oder Sinnäther.»
Wir sind uns der Problematik solcher zusammengekürzter, zusammenfassender Auszüge durchaus bewusst, halten sie aber als Vorbereitung, als Hintergrund für die folgenden Betrachtungen als gerechtfertigt.
III. Mögliche Schritte
Versuchen wir nun, uns auf den Weg der Goethe’schen Methode zu begeben. Stellen wir einige Sätze voran, gleichsam wie Axiome, die manchem selbstverständlich, vielleicht sogar überflüssig erscheinen mögen. Sie werden aber in der Praxis häufig nicht beachtet.
So kommen wir zu dem ersten, oben angeführten zentralen Satz Goethe’s:
«Die Phänomene zu erhaschen, sie zu Versuchen zu fixieren, die Erfahrungen zu ordnen und die Vorstellungsarten darüber kennenzulernen -»
1 «Die Phänomene zu erhaschen … »
-1- Phänomen im Goethe’schen Sinne kann nur das sein, für dessen Wahrnehmung man auch das Wahrnehmungsorgan – wenigstens grundsätzlich – angeben kann. «Die Phänomene sind das, was sie sind, nur für die respektiven Sinne» sagt Goethe (27).
Dabei genügen nicht mehr die «5 Sinne» ehemals herkömmlicher Art; man muss Rudolf Steiner’s Lehre von den 12 Sinnen zugrundelegen (28). Auch Goethe kennt mehr als die «5 Sinne»: «So spricht die Natur hinabwärts zu anderen Sinnen: zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen … » (29). Doch sind damit keine physischen, sondern höhere gemeint.
-2.- Ein Phänomen ist ein Vorgang, kein Zustand: «Ein Helles, durch Trübes gesehen … »: «sehen» ist eine Tätigkeit, ein Vorgang. «Wenn helles Licht durch ein unbeleuchtetes Trübes scheint … »: «scheinen» ist eine Tätigkeit ein Vorgang.
-3.- Vom Wahrgenommenen zu unterscheiden ist das gedanklich Erschlossene -, so von der gesehenen Farbe der gedanklich erschlossene «Träger des Lichtes» -, die Wellen. Die «Lichtwellen», als elektromagnetische, sind keine Phänomene, sondern mathematische Vorstellungen.
-4.- Der Gang Goethe’s durch die sechs Abteilungen des didaktischen Teiles entspricht dem Wesen nicht nur der Farben, sondern dem aller Bereiche sinnlicher Wahrnehmung. Z. B. bei α, ß-, γ-Strahlen beginne man also mit den unmittelbaren Wahrnehmungen, wie sie Becquerel beschreibt bis zu den Wirkungen auf seinen Organismus hin. – Bei starken elektromagnetischen Wechselfeldern, wie von Rundfunksendem, gehört auch die Beobachtung aus der Frühzeit dieser Technik dazu, dass in ihrer Nähe Brieftauben die Orientierung verloren, und dass Zugvögel ihre Nähe meiden. – (Solche Versuche haben wir als junge Ingenieure an uns selbst gemacht. Da werden andere als «die 5 Sinne» angesprochen, aber für diese liegen dann Phänomene vor. )
-5.- Damit kommen wir zu der Frage. In welchen Gebieten der Physik hat der Mensch Wahrnehmungen der unteren, der mittleren, der oberen Sinne? Darauf werden keine pauschalen Antworten oder gelegentliche Beispiele gesucht, sondern konkrete Angaben bei konkreten Erscheinungen eines ganzen Gebietes, bis in die atomare und subatomare Physik hinein.
Werden darauf befriedigende Antworten gefunden, dann wird es möglich, sinnlich-sittliche Wirkungen auch in diesen Gebieten zu erspüren, was durch eigene künstlerische Tätigkeit erübt werden kann.
-6.- Erst dann gehe man auf die Darstellungen über, die sonst fast ausschliesslich in der Wissenschaft im Vordergrund stehen: die physikalisch-theoretischen und die mathematischen. Diese gehören überwiegend in die 4. und 5. Abteilung: «Allgemeine Ansichten nach Innen> und «Nachbarliche Verhältnisse».
-7.- Auch in diesen Gebieten der modernen Physik beginne man schon beim ersten, vorläufigen Ordnen von Phänomenen nach Goethe mit den physiologischen, also denen, die dem gesunden Wahmehmungsorgan des Menschen angehören. Dann durchwandere man die Naturreiche – Tiere, Pflanzen, Mineralien – und kehre zurück zum Menschen, zur sinnlich-sittlichen Wirkung. Würde man diese in Lehrbüchern wirklich durchführen, dann erzöge man Schüler und Studenten zu Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Natur und zu einer Physik ohne ihren Missbrauch durch eine entartete Technik. (42)
1.2. «… sie zu Versuchen zu fixieren … »
Will man an die Phänomene der modernen Physik herankommen, so kann man entweder selbst Versuche machen, oder ihre Beschreibungen in der Fachliteratur aufsuchen. Da kommt man beidemale bald in Schwierigkeiten.
>-1.- Die Experimente sind so aufwendig an Zeit und Geld, dass sie ausserhalb darauf eingerichteter Institute oder Schulen, die meist ihr festes Programm haben, nur in einzelnen grundlegenden Beispielen durchgeführt werden können. Es kommt aber darauf an, sich in die Phänomene einzuleben, und das geht nur durch wiederholendes Üben.
>-2.- Die Darstellungen in Lehrbüchern geben fast nie eine Beschreibung der Phänomene – (das wollen sie auch gar nicht) – sondern die daraus gedanklich erschlossenen Vorstellungen und Begriffe. Bereits in Schulbüchern spricht man von Strahlen, Wellen, Teilchen, die ja keine Phänomene sind. Andernfalls müsste es doch möglich sein, einen der 12 Sinne als Wahrnehmungsorgan dafür anzugeben.
>-3.- In der Hochschulliteratur findet man den Ausdruck «Observable», d. h. wörtlich «Bemerkbare, Beobachtbare». Das sind aber keine Phänomene, sondern (zusammengefasst): «Eine Observable ist eine physikalische Beobachtungsgrösse, dargestellt durch einen quantenmechanischen Operator, der für eine physikalische Interpretation geeignet ist, und dessen Erwartungswert einem Messergebnis entspricht.» (30) Das ist sozusagen der mathematische Ausdruck für die erfüllte Hoffnung, zu einer mathematischen Struktur ein bestätigendes Messergebnis zu finden.
>-4.- Ein Messergebnis ist aber auch kein Phänomen in Goethe’s Sinn, sondern das Ergebnis eines «Abwägens eines Mehr gegen ein Weniger» des gleichen Phänomens, der gleichen Qualität». Die «Messkunst» gehört also teils zu den «Ansichten nach innen»: «Wie leicht die Erscheinung entstehe und vergehe», «Wie fest sie bleibe» usw. Besonders aber zu den «Nachbarlichen Verhältnissen», zum «Verhältnis zur Mathematik». Darauf weist auch R. Steiner hin: «Gegenstand der Mathematik ist die Grösse; das, was ein Mehr oder Weniger zulässt. Die Grösse ist aber nichts an sich selbst Bestehen (31).
>-5.- Am nächsten an die Phänomene kommt man bei eigener Praktikumsarbeit, in guten Praktikumsanleitungen oder in getreuen Berichten über die ersten Entdeckungen, möglichst von den Entdeckern selbst. Das 18. und 19. Jahrhundert bieten eine Fülle liebevoller, anschaulicher Beschreibungen, die heute noch oder wieder sehr lesenswert sind.
Unausschöpfbare Fundgruben bilden «Oswald’s Klassiker» oder die Originalarbeiten in Fachzeitschriften. Diese aufzusuchen ist für den Anfänger fast unmöglich und auch für den Fachmann sehr zeitraubend. Deshalb sind zusammenfassende Beschreibungen grundlegender Versuche rnit weiterführenden Literaturangaben so sehr zu begrüssen; z. B. die von Walcher-Riezler-Kopitzki oder für unsere Zwecke hier besonders Bodenstedt (32).
Dabei bieten sich vielfach Gelegenheiten zu der Übung, aus den Messvorgängen und Ergebnissen die eigentlichen Phänomene zu rekonstruieren, sozusagen «ins Phänomenologische zu übersetzen».
1.3. «… die Erfahrungen zu ordnen und die Vorstellungsarten darüber kennen zu lernen…»
Das ist in der klassischen und in der modernen Physik gründlich geschehen, und charakteristisch daran ist gerade das Fixiert-Sein.
>-1.- Die obengenannten «Observablen» sind eines der vielen Beispiele dafür: Aus der elektromagnetischen Theorie des Lichtes kommt man zu mathematischen Strukturen, aus denen man die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Auftretens von (bekannten oder unbekannten) beobachtbaren und messbaren Versuchsergebnissen gedanklich erschliesst. Aus der Geschlossenheit dieser Theorien bestimmt man dann, welche Fragen und Antworten als zulässig zu gelten haben und welche nicht.
Diese Fixierung wird dann von Zeit zu Zeit durch unerwarte und deshalb aufsehenerregende, neue Versuchsergebnisse durchbrochen und aufgelockert. Selbst als führend anerkannte Physiker können sich dann oft nicht umstellen, und um die letzte Jahrhundertwende glaubten manche, sie sähen ihre Welt zusammenstürzen. Immer wieder sprach man von «Krisen»; aber vielleicht sind sie in Wirklichkeit «Glückliche Ereignisse», Möglichkeiten zu neuen Geburten.
Schon darum ist nötig, was Goethe im «Historischen Teil» seiner Farbenlehre vielseitig und gründlich getan hat: «die Vorstellungsarten darüber kennen zu lernen».
>-2.- Für das Ordnen von Erfahrungen und für das Zusammenwirken von Vorstellungsarten seien zwei Beispiele betrachtet: Messungen der Wellenlänge und Bohr’s Atommodell.
Beim Aufstellen von Theorien geht man oft von zwei Seiten aus, einer empirischen und einer hypothetischen, die man zusammenzuschliessen versucht. Dabei bemerkt man eine «Nahtstelle», an der sich ein Widerspruch bildet, den man bewusst in Kauf nimmt, um zu einer geschlossenen Theorie zu kommen.
1. Beispiel: Bei Messungen der Wellenlänge des Lichtes mittels 4 Beugungsgitter erhält man auf einem Bildschirm, im Abstand D vom Gitter, z. B. 4 m, Interferenzstreifen in regelmässigen Abständen d voneinander, z. B. beim gelben Natrium-Licht 24 cm. Daraus berechnet man den tan eines Winkels α, den der durch die Apparatur hergestellte und vom Gitter abgebeugte «Lichtstrahl» mit der Richtung des ursprünglichen Lichtweges bildet, hier tan α = d/ D = 24 cm/ 400 cm = 0,060; daraus α = 3°26’1,8″. (Zum Vergleich: arc sin 0,060 = 3°26’24,6″; Abweichung ∆ = 1,85%o. )
Anderseits erhält man aus der Interferenz am Gitter, mit den regelmässigen Abständen a der Spalte untereinander, hier z. B. a = 10 μm als Gangunterschied Δs = k.λ zwischen dem abgebeugten und dem direkten Strahl: sin α = (k.λ,)/a, und mit k = 1 das Beugungsbild 1. Ordnung. sin α = λ/a und daraus λ = a sin α.
Nun kann man bei sehr kleinen Winkeln wie hier sin α = tan α setzen, ohne den Fehler unzulässig gross werden zu lassen, und erhält: (k.λ) = a = d/D, und mit k = 1: λ = (a.d)/D = 0,60 μm = 600 nm.
Nun mache man sich geduldig wirklich einmal klar, was hier eigentlich geschieht:
In dieser Gleichsetzung von sin = tan liegt die oben angedeutete «Nahtstelle»: Auf der einen Seite eine mathematische Funktion, tan, berechnet aus wirklich gemessenen Längen, d und D -; auf der anderen Seite eine mathematische Funktion, sin α, berechnet aus der Kombination einer messbaren, a, und einer vorgestellten Länge, λ, die aus einem allgemeinen Prinzip, dem von Huyghens, gedanklich erschlossen wurde.
Um einem hier sofort aufspringenden Missverständnis zu begegnen:
Es handelt sich hier nicht darum, ein vielfach bewährtes Prinzip unbegründet zu verwerfen, oder gar eine «Ungenauigkeit» zu bekritteln, sondern um die Bildung eines Bewusstseinsaktes: Was tue ich eigentlich, wenn ich eine aus «wirklichen Messungen» berechnete mathematische Grösse oder Funktion einer ähnlichen oder verwandten gleichsetze, die ich dadurch berechnet habe, dass ich gedanklich erschlossene, vorgestellte Grössen und Vorgänge in mathematische Beziehungen zueinander gebracht habe?
Mit anderen Worten: In welchem Verhältnis zueinander stehe von mir Wahrgenommenes und die Ergebnisse meiner Denktätigkeit? – Oder: Wie verhalten sich Wahrnehmen und Denken zueinander.
Und dann: Was heisst «wirkliche Messungen»? Wenn ich Längen messe, vergleiche ich Längen mit Längen; da bleibe ich in derselben physikalisch-messtechnischen «Dimension», in derselben Qualität, innerhalb deren ich ein «Weniger» hier, ein «Mehr» dort vergleiche. Da bewege ich mich vor allem in den Wahrnehmungen des Tastsinnes, des (Eigen)Bewegungssinnes, des Gleichgewichtssinnes. An diese gehe ich dann durch jene, oben dargestellte Betrachtungsweisen (25,26) heran, durch die wir «Schichten unserer Ideenfähigkeit» finden, und zu «Erscheinungs-, Verwandlungs- und Sinnzusammenhängen» kommen.
Das ist auf der anderen Seite jener «Nahtstelle» ganz anders: Da fehlen die Wahrnehmungen; sie werden durch Vorstellungen ersetzt, die nach dem Muster von Wahrnehmungen gebildet sind. Diese Vorstellungen werden dann als «Wirklichkeit» proklamiert, ohne zu bedenken, dass eine solche erst aus Wahrnehmung und Begriff entsteht.
Wir dürfen also zwei mathematisch gleiche Gebilde in ihren Wirklichkeitsgehalt und in ihrem Erkenntniswert dann gar nicht gleichsetzen, wenn das eine aus einer «wirklichen Messung», das andere aus einem «vorgestellten Prinzip» berechnet worden ist.
2. Beispiel: Ein ganz anderes, und doch verwandtes Problem ist die Schaffung des Bohr’schen Atommodells und die Entwicklung der atomaren und subatomaren Physik: Aus der klassischen Himmelsmechanik übertrug man die Theorien über das Planetensystem der Sonne auf die Rotation der als Oscillatoren gedachten Atome und deren elektromagnetische Schwingungen als Ursache für die Spektrallinien, die sichtbaren wie die unsichtbaren.
Hier trat die «Nahtstelle» auf, als man die planetenbahnähnlich gedachten Elektronenbahnen mit der klassischen Elektrodynamtik verbinden wollte: «Zur Ermöglichung des stationären Umlaufes gehört jedenfalls, dass die Bewegung widerstandslos erfolge, d. h. dass sie frei von Ausstrahlung sei» schreibt Sommerfeld (33) und fährt fort: «Wir sahen, dass das beschleunigte Elektron Energie ausstrahlt, deren Betrag von der Beschleunigung abhängt. Auch die gleichförmige Rotation ist eine beschleunigte Bewegung (wegen Änderung der Richtung, bei ungeänderter Grösse der Geschwindigkeit). Auch das rotierende Elektron sollte, nach der klassischen Elektrodynamik, Energie ausstrahlen. In unseren Atommodellen setzen wir uns also in bewussten Widerspruch zur gewöhnlichen Elektrodynamik» (S. 81).
Seit den Zwanzigerjahren hat sich viel gewandelt in der modernen Physik, aber der Widerspruch zwischen klassischer und nach-klassischer Physik wurde, ebenso wie sein tiefer Hintergrund, nicht nur bewusst beibehalten, sondern sogar als charakteristisches Kriterium erkannt und anerkannt.
Hier heisst die Bewusstseinsfrage: Was tue ich eigentlich, wenn ich versuche, Vorstellungen und Begriffe aus der klassischen Physik in die atomare und subatomare Physik zu übertragen? Hier haben wir einen anderen Typus wissenschaftlichen Vorgehens, von dem R. Steiner im 1. Vortrag des «Lichtkurses» (15, S. 27) sagt: «Man fragt mich viel danach, welche Berechtigung eigentlich vorliegt, von dem Bekannten in das Unbekannte hineinzukommen». – Aber hier ist ein Bewusstseinswandel bereits im Gange, und so fordern als führend anerkannte Physiker, wie im Ersten Teil über «Die Situation der Gegenwart» bereits dargestellt nicht nur zu neuen Wegen, sondern zu denen der Goethe’schen Methode auf.
Die «Nahtstelle» liegt hier also nicht zwischen der Wahrnehmungs- und der Gedankenseite, sondern zwischen zwei Seiten wissenschaftlicher Gedankenbildung.
«Die Goetheanistische Methode muss hier ergänzt werden durch symptomatologische Untersuchung der auftretenden Gedankenformen» heisst es dementsprechend über «Die Modelle und die Atome» bei G. Unger(24).

2 Transformationsgruppen und Aetherarten. (Ein Beispiel und eine Reihe von Fragen)
2. 1. Im Jahre 1931 erschien im Band «Mathesis» (34) ein Artikel von Ernst Blümel: «Mathematische Transformationen und die 4 Aggregatzustände». Dort wird dargestellt, wie man die orthogonalen Transformationen dem festen, die speziellen affinen dem flüssigen Zustand zuordnen kann. Das wird erweitert für die Gase auf allgemeine affine, für die Wärme auf CremonaTransformationen, die nicht mehr linear sind, sondern quadratisch.
Danach wird versucht diese Betrachtungen in das Gebiet der 4 Aetherarten fortzusetzen, indem E. Blümel eine Fragenbeantwortung R. Steiner’s aufgreift: «Statt einen Koordinatenanfangspunkt zu nehmen und zentrifugal hinauszugehen -, die unendliche Sphäre als Koordinatenursprung zu nehmen und zentripetal hineinzugehen. Da bekommt man gleitende oder «schabende Bewegungen, und damit das auch qualitativ gegensätzliche Koordinatensystem, sobald man ins Aetherische kommt.» (35) -, und fortfährt: «Damit betreten wir ein neues Gebiet von Transformationen…, Sophus Lie hat auf diese Gebilde seine umfassende Theorie der Berührungstransformationen aufgebaut und insbesondere das Linienelement und das Flächenelement als neue Raumelemente eingeführt. Beachtenswert ist dabei die Änderung des Dimensionsbegriffes.» … «Wir können diese Ergänzung unseres (gewohnten) Raumes als ‹Gegenraum› auffassen und glauben, damit einem Gedanken näher zu kommen, den R. Steiner wiederholt bei Fragenbeantwortungen geäussert hat.» Es folgt dann zusammenfassend eine Übersicht, von der wir hier nur die erste Zeile übernehmen:
«Gebiet der 4 Aetherarten: Gesetz der Erhaltung der Kraft (Energie); Dualitäten; Berührungstransformationen; in erster Annäherung: Projektive Transformationen.>
2.2. Die Probleme um Raum und Gegenraum sind ja dann sehr weitreichend und fruchtbringend schon im Bande «Mathesis» behandelt und später weiter ausgebaut worden; sowohl nach der mathematischen, wie nach der naturphilosophischen Seite (36).
Für die gegenwärtige Fragestellung seien jedoch zunächst einige Arbeiten aus den «Mathematisch- Astronomischen Blättern – Neue Folge» herausgezogen (36, 37): In «Methodische Grundlagen zu einer projektiven Quantenphysik» gibt P. Gschwind zum Schluss einen «Ausblick» (S. 72/73) und schreibt nach einer Überschau der quantenphysikalischen Zusammenhänge: «Ein grundsätzlich anderer Ansatz ist der der Projektiven Geometrie mit geometrischen Strukturen, die bereits als Gesamtgestalten solche, sonst auseinanderliegende Fakten [] zusammen aufweisen, und nicht erst zusammenbringen.»
Das wird auf den folgenden Seiten, besonders [S.] 78/79, näher besprochen und zusammengefasst: « … erkennen wir die ebenenhafte Natur des Impulses, die punkthafte Natur des Ortes, und schliesslich den Zusammenhang der elektromagnetischen Grössen mit dem Linienteil der Quadriquatemionen.» – Also Darstellung in zwei getrennten Anteilen: den einen für die mechanischen, den anderen für die elektromagnetischen Vorgänge!
In «Der lineare Komplex» hatte P. Gschwind bereits ausgeführt, «dass der lineare Komplex sich … als eine Entität offenbart, die eigentlich ausserräumlich zu denken ist». (37) So sind auch Schrödinger’s Wellenpakete «als mathematische Beschreibungen von Raum-Gegenraum-Wechselwirkungen zu betrachten … Das Übergeordnete ist hier die ausserräumliche Raum-GegenraumSchwingung». (Bestätigt das nicht den Satz R. Steiner’s: «Die Schwingung ist die Offenbarung des Lichtes im Aether»? (38». Und weiter: «… dass man das sogenannte bewegte Teilchen auffasst als eine sich bewegende Extremlage einer solchen «Schwingung». Diese Extremlage wäre ein sich bewegender Abdruck eines Ausserräumlichen im Räumlichen».
2.3. Wir glauben, dass hier Wesentliches zwar «programmatisch», aber doch deutlich dargestellt ist und sehen uns durch diese und die Blümel’sche Arbeit zu folgenden Fragen angeregt:
1) Kann man auf Grundlage dieser und verwandter Transformationen und Strukturen die Anregung von E. Blümel über die 4 Aetherarten wieder aufgreifen und weiter ausbauen?
2) Kann man, entsprechend den oben dargestellten beiden Anteilen der Quadriquaternionen, in jedem der 4 so gewonnenen Ausdrücke je zwei Anteile finden, sodass die Anteile der einen Art dem Licht-, Klang- und Lebensätherischen, die Anteile der anderen Art dem Elektrischen, dem Magnetischen und der «3. Kraft» entsprechen?
3) Müssen im Wärmegebiet, das zwei Aspekte in einem birgt, die beiden Anteile der wie oben gewonnenen Ausdrücke so zueinander stehen können, dass sie jenen «zwei Aspekte in einem» entsprechen?
4) Man kann gerade an den Gebilden der Projektiven Geometrie, als ersten in der Mathematik, eine Realität eigener Art erfahren und sich von da aus in andere Schichten mathematischer Realität einleben. Man kann sie dann auch sinnlichsittlich auf sich wirken lassen. Man kann daher im Sinne Goethe’s fragen: Welche sinnlich-sittlichen Wirkungen kann ich an jenen Gebilden erleben, wie sie z. B. damals von E. Blümel und jetzt von P. Gschwind dargestellt wurden? Ist dieses Sinnlich-Sittliche in sich differenziert, ähnlich wie jene Transformationen und Strukturen? Entsprechen sie einander und bilden sie dadurch Kennzeichen für einander -, auch dafür, was von ihnen auf Überphysisches, und was auf Unterphysisches hinweist?
3 Linienspektren und Periodensystem. (Ein Versuch und weitere Fragen) -1.- Wendet man nach den vorangegangenen Betrachtungen und Fragen den Blick noch einmal auf die Veröffentlichungen im Rahmen der mathematisch-astronomischen und der naturwissenschaftlichen Sektionen am Goetheanum, besonders die der letzten Jahre, so kann auch eine ganz andere Hoffnung wieder aufleben: Die, eine Antwort auf die Fragen zu findenLassen sich nach der Methode der Goethe’schen Farbenlehre, insbesondere wie sie von R. Steiner neugebildet und von anthroposophischen Naturwissenschaftlern weiter entwickelt wurde und wird, sowohl das Periodensystem der chemischen Elemente, als auch die Ergebnisse der Spektroskopie, dann aber auch die Zusammenhänge zwischen beiden, neu darstellen? Das heisst etwas konkreter: Das Periodensystem lässt sich verhältnismässig leicht aus den beobachtbaren Eigenschaften der chemischen Elemente aufstellen. Das begann 1817 mit den Triaden Döbereiner’s, der seine Professur in Jena Goethe verdankte. Ihre Freundschaft basierte auf dem gemeinsamen Interesse an Goethe ’s umfangreicher Mineraliensammlung, deren Stücke Döbereiner chemisch untersuchte. Weitere solche Gruppierungen wurden von anderen gefunden, bis 1868/69 D. J. Mendelejeff und Lothar Meyer unabhängig voneinander das Periodensystem aufstellen konnten. Bis dahin war es, im Sinne Goethe’s ausgesprochen, im wesentlichen ein «Ordnen der Erfahrungen». Um etwa eben diese Zeit – man nennt meisten 1860/61 – wurde von Kirchhoff und Bunsen die Spektralanalyse begründet, die, zunächst ebenfalls empirisch, die Spektren der verschiedensten Stoffe darstellten. Auch das Aufsuchen von Zusammenhängen zwischen beiden war zunächst ein «Ordnen der Erfahrungen». Die Aufstellung der elektromagnetischen Wellentheorie des Lichtes durch Maxwell seit 1865, und ihre Bestätigung durch die Hertz’schen Versuche bis 1887, führten dazu, die Spektrallinien als Wirkungen von Oscillatoren zu betrachten und diese in den Atomen, bzw. Molekülen zu suchen. Die Einführung der Wellenlängen, bzw. Wellenzahlen als verbindenden Masstab für Spektrallinien und Atome, machten es Balmer 1885 möglich, die erste Formel für Linienserien eines chemischen Elementes des Wasserstoffes, aufzustellen – und zwar, wie zu beachten ist, empirisch – also ohne Grundlage einer schon bestehender mathematischen Theorie. Hier also ist die Grenze zwischen «Ordnen der Erfahrungen» und «gedanklichem Erschliessen». Zu den optischen kamen die Röntgenspektren, und die Entwicklung führte 1919 zu dem ersten grossen Wurf, zu Sommerfeld’s «Atombau und Spektrallinien» (33), wo es im Vorwort heisst: «Mehr haben die 7 Jahre Röntgenspektroskopie zur Klärung beigetragen, indem hier das Problem des Atoms an seine Wurzel erfasst und das Innere des Atoms beleuchtet wird. Was wir aus der Sprache der Spektren heraushören, ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms, ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse, eine bei aller Mannigfaltigkeit zunehmende Ordnung und Harmonie … Alle ganzzahligen Gesetze der Spektrallinien fliessen letzten Endes aus der Quantentheorie. Sie ist das geheimnisvolle Organon, auf dem die Natur die Spektralmusik spielt und nach dessen Rhythmus sie den Bau der Atome und Kerne regelt.» Erst später kamen Sommerfeld. erhebliche Zweifel. Man stelle sich deutlich vor sein Bewusstsein, wie gross der Abstand zu Goethe, seiner Methode und deren Ergebnissen geworden ist und wie dennoch ein Rest antiker Ideen von Sphärenharmonie wie ein erratischer Block dasteht. Kann nicht diese Entwicklung ebensogut eine «sinnlich-sittliche Wirkung» hervorrufen, und kann diese nicht den Versuch rechtfertigen, die moderne Physik mit Goethe’s Augen neu zu schauen?
-2.- Damit stehen wir – unter anderem – vor der Aufgabe, statt der (gedanklich erschlossenen) Wellenlängen einen anderen Mass[s]tab für die Linienspektren einzuführen. Diesen finden wir in der Projektiven Geometrie; da kann man in einem ersten Ansatz an Schrittmass und Wachstumsmass denken oder an atmende und kreisende Involution, bzw. an multiplikative, additive oder periodische Skalen. Beim Versuch, dies konkret und praktisch anzugreifen, kommt man aber bald zu Komplikationen – doch zu solchen kam auch die heutige Spektralanalyse in ihrer Entwicklung: «Um 1913 erschien eine Erklärung der optischen Spektren der Elemente noch ziemlich hoffnungslos». (39) Diese Komplikationen liegen hauptsächlich in der Natur der Sache. Die meist aus der Theorie bekannten und als Elektronen- und Energiezustände inte[r]pretierten Terrne s, p, d, f sind ursprünglich unmittelbar an den Linienserien abgelesen: scharfe, prinzipale, diffuse, fundamentale, nach dem Aussehen der Linien, bzw. der Bedeutung dieser Serien.
Jedes Gesamtspektrum eines Elernentes lässt sich in solche Serien ordnen; innerhalb jeder Serie nehmen die Abstände der Linien nach Violett hin gesetzmässig ab: Die Linien häufen sich gegen eine, meist nur durch Extrapolation zugängliche Seriengrenze.
In ihnen findet man die verschiedensten Rhythmen, teils längs der «Zeilen», teils längs der «Spalten» des Periodensysterns. In beiden Richtungen steigt die Vielfalt zunächst linear.
Darüber hinaus wächst längs der «Zeilen» die Multiplizität, d. h. in der 1., 111., V, VII. Gruppe kommen zu den Dubletts weiterhin: Quartetts, Sextetts, Oktetts hinzu; und in der 11., IV., VI., VIII. Gruppe zu den Singuletts Tripletts entsprechend: Quintetts, Septetts, Nonetts (Rydberg’scher Wechselsatz).
Dabei sind die Wellenzahlen-Differenzen A-y (in cm ?) bei den s-Termen konstant und nehmen von Serie zu Serie in immer stärkerem Masse ab. Das Aufspaltungsmass für das A-y der Grundserie gleicher Multipletts entsprechender Elemente wächst etwa mit der 4. Potenz der Ordnungszahl (also auch innerhalb einer Spalte von «oben» nach «unten»). So erhält das Eisenspektrum, das in der ang[e]wandten spektrochemischen Analyse als eine Art Leitspektrum dient, seinen komplizierten Linienreichtum auch daher, dass die zusammengehörenden Linien eines und desselben Multipletts weit über das ganze Spektrum verteilt sind.
Sehr merkwürdig ist dabei, dass in der Eisengruppe, den Elementen Nr. 26, 27, 28, die Bindungsenergie je Nukleon ein, wenn auch flaches, Minimum erreicht.
Zu diesen ideellen Anordnungsgesetzen kommt eine Reihe von Modifikationen: Das «Kombinationsprinzip» von W. Ritz, mehrere «Auswahlregeln» von Sommerfeld, Pauli[, ] Rubinowicz u. a. Dabei sind vom wellen mechanischen Standpunkte aus Übergangsverbote die Regel und «erlaubte» 0 bergänge die Ausnahme, nämlich dann, wenn gewisse Eigenfunktionen bestimmte Bedingungen erfüllen. Diese « Verbote» gelten aber nicht sehr streng, sondern können durch «Störungen», wie starke elektrische Felder, ausser Kraft gesetzt werden.
Diese vielen, wenn auch geregelten, Ausnahmen legen die Frage nahe, ob nicht ein Teil der Komplikationen daher rührt, dass man, in Analogie zu Harmoniegesetzen, die Nenner der Terme ganzzahlig haben wollte. Da dies bei komplizierteren Wellenzahlen-Zusammenhängen durchaus nicht der Fall ist, sah man sich gezwungen, Korrekturglieder einzuführen. Da wäre nun zu untersuchen, ob man durch Einführen projektiver Koordinaten (die ihren Masstab ja «in sich» tragen, während die Wellen-Skala «von aussen» aufgeprägt ist) zu ganz anders gearteten Harmoniegesetzen gelangen könnte. (Grundsätzliche, messtechnische und Berechnungsschwierigkeiten dürfte das kaum bereiten. Vor Einführung der Wellenlängen wurden ganz willkürliche Skalen benutzt. Bunsen und Kirchhoff verwendeten 1859 eine Skala so, dass der eine die gelbe DLinie auf Teilstrich 50, der andere auf 100 legte. H. W. Vogel dagegen[] nahm die D-Linie als «Null» der Skala, die er nach Violett hin positiv, nach Rot hin negativ zählte. Erst Reynolds legte 1863 zwei Marken fest: Li mit «Null», Sr mit 100, usw., usf.)
Noch eine andere Frage legen die grossartigen, auch periodischen Gesetzmässigkeiten vieler physikalischer und technischer Eigenschaften nahe: Stellt die Ordnung nach den «Leitfäden» von Kernladung und Kenmasse trotz allem nicht doch auch eine Einseitigkeit dar? Zu welcher Ordnung kommt man, wenn man jeweils das Verhältnis der chemischen Elemente zu Wärme und Licht, zu den Aggregatzuständen, zu elastischen Eigenschaften, zu Elektrizität, Magnetismus usw. als «Leitfaden» nimmt? Grundlagen dazu findet man bereits 1936 bei W. Walter Meissner (40).
Das Periodensystem. erfuhr dann viele und sehr verschiedenartige Ausgestaltungen und Darstellungen, von denen gut ein halbes Hundert van Spronsen (40) historisch geordnet und kritisch beleuch[]tet hat. Grosse Schwierigkeiten bieten dabei immer wieder die Lanthaniden, die Actiniden und die Supraleiter, sie einzuordnen -, sodass dies als ein wesentliches Kriterium für den Wert einer solchen Darstellung angesehen wird. Darüber hinaus gibt es von anthroposophischer Seite mehrere solcher zusammenschauender Übersichten aus geisteswissenschaftlicher Blickrichtung (41). Sie alle bieten – in Gruppen oder einzeln – sehr verschiedene Aspekte einer umfassenden Gesetzmässigkeit, sodass man Sommerfeld’s Begeisterung über die «Sphärenharmonie in ihnen» durchaus verstehen kann. Doch würde, sie zu besprechen, mehrere eigene Arbeiten erfordern.
Kehren wir zum Schluss noch einmal zum Anfang zurück, zu Goethe’s Satz: «Die Phänomene zu erhaschen…»:
Was bei den Linienspektren als Phänomene auftritt, sind Erlebnisse des (Eigen-)Bewegungssinnes: Indem ich meinen Blick vor Linie zu Linie springen lasse, mache ich Schritte in bestimmten, gleichbleibenden, abnehmenden oder wechselnden Abständen. Dabei erlebe ich ganz verschiedene Rhythmen, wie bei Tanz, Gymnastik, Eurythmie und an diesen eine «sinnlich-sittliche Wirkung». Untersuche ich die Bedingungen, unter denen sie erscheinen und verschwinden, komme ich zu den «Ansichten nach innen»; messe ich sie aus und stelle Berechnungen darüber an, komme ich zu den «nachbarlichen Verhältnissen» und zwar hier zu dem «zur Mathematik».
In all diesem kann ich dann übend lernen, Erscheinungs-, Verwandlungs- und Sinn-Zusammenhänge aufzusuchen. Dabei werden wir auch zu «Urphänomenen» kommen. Doch ist dies ein weites und fruchtbares Feld, das freilich ein Einzelner nicht alleine beackern kann.
Literaturstellen:
(24) Georg Unger «Physik am Scheideweg – Kritische Aufsätze». Hybernia Verlag, Dornach-Basel 1948.
Georg Unger «Vom Bilden physikalischer Begriffe – III: Grundbegriffe der modernen Physik». Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1967.
Georg Unger «Die Rettung des Denkens» . Verlag Freies Geistesleben 1978.
Georg Unger «Kernenergie und Geisteswissenschaft». Phil.-Anthr. Verlag, Dornach 1979.
(25) Georg Maier «Zum Begriff Trübe». Elemente der Naturwissenschaft Heft 19, 1973,2.
Georg Maier «Die Elemente als Stufen der Naturbetrachtung». Elemente der Naturwissenschaft Heft 13,1972,2.
Georg Maier «Vom Erscheinungszusammenhang des Weltbildes am Licht». Beiträge zur Anthroposophie, Band 1. Verlag Freies Geistesleben 1977.
(26) Jochen Bockemühl «Elemente und Aether». Beiträge zur Anthroposophie, Band 1, 1977.
(27) Goethe, Gespräche. Mit Riemer 1809.
(28) Rudolf Steiner «Zur Sinneslehre – Themen aus dem Gesamtwerk». Ausgewählt und herausgegeben von Chr. Lindenberg 1981.
Hans Erhard Lauer «Die 12 Sinne des Menschen». Zbinden, Basel 1953. In beiden reichhaltige Quellennachweise aus dem Werk Rudolf Steiner’s.
(29) Goethe «Entwurf einer Farbenlehre». 1810, Vorwort in «Goethe’s naturwissenschlichen Schriften» herausgg. von Rudolf Steiner, 3. Band, S. 78.
(30) H. Frauenfelder und E. M. Henley «Teilchen und Kerne – Subatomare Physik». Verlag Oldenbourg, München 1979.
A. Messiah «Quantenmechanik» Band 1 und 2. Verlag W. de Gruyter, Berlin und New York 1976 und 79.
(31) Rudolf Steiner «Eineitung zu Goethe’s naturwissenschaftlichen Schriften – XII: «Goethe und die Mathematik».
(32) W. Walcher «Praktikum der Physik». Teubner Studienbücher – Physik. Verlag B. G. Teubner, Stuttgart 1974.
W. Riezler und K. Kopitzki «Kernphysikalisches Praktikum». Mit einer Einführung in die messtechnischen Grundlagen. Teubner’s Physikal.-Techn. Sammlung 1963.
B. Bodenstedt «Experimente der Kernphysik und ihre Deutung», Teil 1, 2, 3. Bibliograph. Institut Mannheim 1978/79.
(33) A. Sommerfeld «Atombau und Spektrallinien». 3. Aufl. Verlag Vieweg, Braunschweig 1922.
W. Finkelnburg «Einführung in die Atomphysik» 2. Aufl. 1951 und 12. Aufl. 1976. Springer Verlag, Berlin.
(34) «Mathesis – Beiträge zur Weiterbildung der Mathematik im Sinne der Geisteswissenschaft». Orient-Occident Verlag, Stuttgart 1931. Herausgegeben von der Mathematisch-Astronomischen Sektion am Goetheanum, Dornach.
(35) Rudolf Steiner «Die Bedeutung der Anthroposophie im Geistesleben der Gegenwart» Fragenbeantwortung, S. 152 – 163. Dornach 1957.
(36) George Adams «Von dem ätherischen Raume». Verlag Freies Geistesleben 1964. «Grundfragen der Naturwissenschaft». Verlag Freies Geistesleben 1979.
H. Börnsen «Naturwissenschaft an der Schwelle». Freies Geistesleben 1964.

E. Marti «Die vier Aether». Freies Geistesleben 1974.

P. E. Schiller «Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft» 1957.

«Vom Wesen der Wärme» 1961. Beides in Phil.-Anthr. Verlag, Dornach.
(37) Peter Gschwind «Der lineare Komplex» 1977. «Methodisch Grundlagen zu einer projektiven Quantenphysik» 1979. Beides in «Math.-Astr. Blätter», herausgeg. von der Mathematisch-Astronomischen Sektion am Goetheanum.
(38) Rudolf Steiner «l. Naturwissenschaftlicher Kurs». GA 320, Dornach 1964. Anhang S. 192 – 193  «Fragenbeantwortung aus dem Jahre 1919 «Über das Wesen einiger naturwissensch. Grundbegriffe», Frage IV.
(39) Friedrich Hund «Geschichte der physikalischen Begriffe. 2. Teil, S. 148. B. j. Hochschultaschenbücher, Bd. 543 und 544, Mannheim 1978.
Heinrich Kayser «Handbuch der Spectroscopie», 8 Bände, Hirzel 1900 – 1934. Hier besonders: 1. Band, Kap. 1 «Geschichte der Spectroscopie» (Vergl. auch 33)
(40) K. Wilhelm Meissner «Spektroskopie» Göschen, Bd. 109[?] Berlin 1935.
W. Walter Meissner «Chemischer Grundatlas – Ein Handbuch für geschichtliche, technische und allgemeine Chemie und Mineralogie». Universitäts-Verlag R. Noske, Leipzig 1936
Walter Heitler «Elementare Wellenmechanik». Verlag Vieweg, Braunschweig 1961.
J. W. van Spronsen, « The Periodis System of Chemical Elements – A History of the First Hundred Years». Verlag Elsevier, Amsterdam 1969.
(41) E. Bindel, A. Blickle «Zahlengesetze in der Stoffeswelt und in der Erdenentwicklung». Beiträge zur Substanzforschung, Bd. 1. Dornach 1952.
Rud. Hauschka «Substanzlehre». Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt 1942.
Fr. Kipp in «Naturwissenschaften», 30,1942,679, wiedergegeben in Gerh. Ott «Grundriss einer Chemie nach phänomenologischer Methode», Bd II, S. 202. Verlag Zbinden, Basel 1962.
H. Knauer «Erdenantlitz und Erdenstoffe». Phil.-Anthr. Verlag, Dornach 1961.
(42) P. Buck und M. von Mackensen «In Naturphänomenen leben – mit anderen Augen Neues entdecken» und «Klang, Helligkeit und Wärme – Phänomenologischer Physikunterricht aus Praxis und Theorie der Waldorfschule». Beide im Verlagsprospekt der Buchhandlung Freies Geistesleben angezeigt, aber bei Fertigstellung dieses Manuskriptes noch nicht erhältlich.