Katoptrische Farben

366.
Wenn wir von katoptrischen Farben sprechen, so deuten wir damit an, dass uns Farben bekannt sind, welche bei Gelegenheit einer Spiegelung erscheinen. Wir setzen voraus, dass das Licht sowohl als die Fläche, wovon es zurückstrahlt, sich in einem völlig farblosen Zustand befinde. In diesem Sinne gehören diese Erscheinungen unter die physischen Farben. Sie entstehen bei Gelegenheit der Reflexion, wie wir oben die dioptrischen der zweiten Klasse bei Gelegenheit der Refraktion hervortreten sahen. Ohne jedoch weiter im allgemeinen zu verweilen, wenden wir uns gleich zu den besondern Fällen und zu den Bedingungen, welche nötig sind, dass gedachte Phänomene sich zeigen.

367.
Wenn man eine feine Stahlsaite vom Röllchen abnimmt, sie ihrer Elastizität gemäß verworren durcheinander laufen lässt und sie an ein Fenster in die Tageshelle legt, so wird man die Höhen der Kreise und Windungen erhellt, aber weder glänzend noch farbig sehen. Tritt die Sonne hingegen hervor, so zieht sich diese Hellung auf einen Punkt zusammen, und das Auge erblickt ein kleines glänzendes Sonnenbild, das, wenn man es nahe betrachtet, keine Farbe zeigt. Geht man aber zurück und fasst den Abglanz in einiger Entfernung mit den Augen auf, so sieht man viele kleine, auf die mannigfaltigste Weise gefärbte Sonnenbilder, und ob man gleich Grün und Purpur am meisten zu sehen glaubt, so zeigen sich doch auch, bei genauerer Aufmerksamkeit, die übrigen Farben.

368.
Nimmt man eine Lorgnette und sieht dadurch auf die Erscheinung, so sind die Farben verschwunden sowie der ausgedehntere Glanz, in dem sie erscheinen, und man erblickt nur die kleinen leuchtenden Punkte, die wiederholten Sonnenbilder. Hieraus erkennt man, dass die Erfahrung subjektiver Natur ist und dass sich die Erscheinung an jene anschließt, die wir unter dem Namen der strahlenden Höfe eingeführt haben (100).

369.
Allein wir können dieses Phänomen auch von der objektiven Seite zeigen. Man befestige unter eine mäßige Öffnung in dem Laden der Camera obscura ein weißes Papier und kalte, wenn die Sonne durch die Öffnung scheint, die verworrene Drahtsaite in das Licht, so dass sie dem Papier gegenüber steht. Das Sonnenlicht wird auf und in die Ringe der Drahtsaite fallen, sich aber nicht wie im konzentrierenden menschlichen Auge auf einem Punkte zeigen, sondern, weil das Papier auf jedem Teile seiner Fläche den Abglanz des Lichtes aufnehmen kann, in haarförmigen Streifen, welche zugleich bunt sind, sehen lassen.

370.
Dieser Versuch ist rein katoptrisch: denn da man sich nicht denken kann, dass das Licht in die Oberfläche des Stahls hineindringe und etwa darin verändert werde, so überzeugen wir uns leicht, dass hier bloß von einer reinen Spiegelung die Rede sei, die sich, insofern sie subjektiv ist, an die Lehre von den schwachwirkenden und abklingenden Lichtern anschließt, und insofern sie objektiv gemacht werden kann, auf ein außer dem Menschen Reales sogar in den leisesten Erscheinungen hindeutet.

371.
Wir haben gesehen, dass hier nicht allein ein Licht, sondern ein energisches Licht, und selbst dieses nicht im Abstrakten und Allgemeinen, sondern ein begrenztes Licht, ein Lichtbild nötig sei, um diese Wirkung hervorzubringen. Wir werden uns hiervon bei verwandten Fällen noch mehr überzeugen.

372.
Eine polierte Silberplatte gibt in der Sonne einen blendenden Schein von sich, aber es wird bei dieser Gelegenheit keine Farbe gesehen. Ritzt man hingegen die Oberfläche leicht, so erscheinen bunte, besonders grüne und purpurne Farben, unter einem gewissen Winkel, dem Auge. Bei ziselierten und guilloschierten Metallen tritt auch dieses Phänomen auffallend hervor; doch lässt sich durchaus bemerken, dass wenn es erscheinen soll, irgendein Bild, eine Abwechselung des Dunklen und Hellen, bei der Abspiegelung mitwirken müsse, so dass ein Fensterstab, der Ast eines Baumes, ein zufälliges oder mit Vorsatz aufgestelltes Hindernis eine merkliche Wirkung hervorbringt. Auch diese Erscheinung lässt sich in der Camera obscura objektivieren.

373.
Lässt man ein poliertes Silber durch Scheidewasser dergestalt anfressen, dass das darin befindliche Kupfer aufgelöst und die Oberfläche gewissermaßen rauh werde, und lässt alsdann das Sonnenbild sich auf der Platte spiegeln, so wird es von jedem unendlich kleinen erhöhten Punkte einzeln zurückglänzen und die Oberfläche der Platte in bunten Farben erscheinen. Ebenso, wenn man ein schwarzes ungeglättetes Papier in die Sonne hält und aufmerksam darauf blickt, sieht man es in seinen kleinsten Teilen bunt in den lebhaftesten Farben glänzen.

374.
Diese sämtlichen Erfahrungen deuten auf eben dieselben Bedingungen hin. In dem ersten Falle scheint das Lichtbild von einer schmalen Linie zurück, in dem zweiten wahrscheinlich von scharfen Kanten, in dem dritten von sehr kleinen Punkten. Bei allen wird ein lebhaftes Licht und eine Begrenzung desselben verlangt. Nicht weniger wird zu diesen sämtlichen Farberscheinungen erfordert, dass sich das Auge in einer proportionierten Ferne von den reflektierenden Punkten befinde.

375.
Stellt man diese Beobachtungen unter dem Mikroskop an, so wird die Erscheinung an Kraft und Glanz unendlich wachsen: denn man sieht alsdann die kleinsten Teile der Körper, von der Sonne beschienen, in diesen Reflexionsfarben schimmern, die, mit den Refraktionsfarben verwandt, sich nun auf die höchste Stufe ihrer Herrlichkeit erheben. Man bemerkt in solchem Falle ein wurmförmig Buntes auf der Oberfläche organischer Körper, wovon das Nähere künftig vorgelegt werden soll.

376.
Übrigens sind die Farben, welche bei der Reflexion sich zeigen, vorzüglich Purpur und Grün, woraus sich vermuten lässt, dass besonders die streifige Erscheinung aus einer zarten Purpurlinie bestehe, welche an ihren beiden Seiten teils mit Blau, teils mit Gelb eingefasst ist. Treten die Linien sehr nahe zusammen, so muss der Zwischenraum grün erscheinen; ein Phänomen, das uns noch oft vorkommen wird.

377.
In der Natur begegnen uns dergleichen Farben öfters. Die Farben der Spinneweben setzen wir denen, die von Stahlsaiten widerscheinen, völlig gleich, ob sich schon daran nicht so gut als an dem Stahl die Undurchdringlichkeit beglaubigen lässt, weswegen man auch diese Farben mit zu den Refraktionserscheinungen hat ziehen wollen.

378.
Beim Perlemutter werden wir unendlich feine, nebeneinanderliegende organische Fibern und Lamellen gewahr, von welchen, wie oben beim geritzten Silber, mannigfaltige Farben, vorzüglich aber Purpur und Grün, entspringen mögen.

379.
Die changeanten Farben der Vogelfedern werden hier gleichfalls erwähnt, obgleich bei allem Organischen eine chemische Vorbereitung und eine Aneignung der Farbe an den Körper gedacht werden kann, wovon bei Gelegenheit der chemischen Farben weiter die Rede sein wird.

380.
Dass die Erscheinungen der objektiven Höfe auch in der Nähe katoptrischer Phänomene liegen, wird leicht zugegeben werden, ob wir gleich nicht leugnen, dass auch Refraktion mit im Spiele sei. Wir wollen hier nur einiges bemerken, bis wir nach völlig durchlaufenem theoretischen Kreise eine vollkommnere Anwendung des uns alsdann im allgemeinen Bekannten auf die einzelnen Naturerscheinungen zu machen imstande sein werden.

381.
Wir gedenken zuerst jenes gelben und roten Kreises an einer weißen oder graulichen Wand, den wir durch ein nah gestelltes Licht hervorgebracht (88). Das Licht, indem es von einem Körper zurückscheint, wird gemäßigt, das gemäßigte Licht erregt die Empfindung der gelben und ferner der roten Farbe.

382.
Eine solche Kerze erleuchte die Wand lebhaft in unmittelbarer Nähe. Je weiter der Schein sich verbreitet, desto schwächer wird er; allein er ist doch immer die Wirkung der Flamme, die Fortsetzung ihrer Energie, die ausgedehnte Wirkung ihres Bildes. Man könnte diese Kreise daher gar wohl Grenzbilder nennen, weil sie die Grenze der Tätigkeit ausmachen und doch auch nur ein erweitertes Bild der Flamme darstellen.

383.
Wenn der Himmel um die Sonne weiß und leuchtend ist, indem leichte Dünste die Atmosphäre erfüllen, wenn Dünste oder Wolken um den Mond schweben, so spiegelt sich der Abglanz der Scheibe in denselben. Die Höfe, die wir alsdann erblicken, sind einfach oder doppelt, kleiner oder größer, zuweilen sehr groß, oft farblos, manchmal farbig.

384.
Einen sehr schönen Hof um den Mond sah ich den 15. November 1799 bei hohem Barometerstande und dennoch wolkigem und dunstigem Himmel. Der Hof war völlig farbig, und die Kreise folgten sich wie bei subjektiven Höfen ums Licht. Dass er objektiv war, konnte ich bald einsehen, indem ich das Bild des Mondes zuhielt und der Hof dennoch vollkommen gesehen wurde.

385.
Die verschiedene Größe der Höfe scheint auf die Nähe oder Ferne des Dunstes von dem Auge des Beobachters einen Bezug zu haben.

386.
Da leicht angehauchte Fensterscheiben die Lebhaftigkeit der subjektiven Höfe vermehren und sie gewissermaßen zu objektiven machen, so ließe sich vielleicht mit einer einfachen Vorrichtung, bei recht rasch kalter Winterzeit, hiervon die nähere Bestimmung auffinden.

387.
Wie sehr wir Ursache haben, auch bei diesen Kreisen auf das Bild und dessen Wirkung zu dringen, zeigt sich bei dem Phänomen der sogenannten Nebensonnen. Dergleichen Nachbarbilder finden sich immer auf gewissen Punkten der Höfe und Kreise und stellen das wieder nur begrenzter dar, was in dem ganzen Kreise immerfort allgemeiner vorgeht. An die Erscheinung des Regenbogens wird sich dieses alles bequemer anschließen.

388.
Zum Schlusse bleibt uns nichts weiter übrig, als dass wir die Verwandtschaft der katoptrischen Farben mit den paroptischen einleiten.
Die paroptischen Farben werden wir diejenigen nennen, welche entstehen, wenn das Licht an einem undurchsichtigen farblosen Körper herstrahlt. Wie nahe sie mit den dioptrischen der zweiten Klasse verwandt sind, wird jedermann leicht einsehen, der mit uns überzeugt ist, dass die Farben der Refraktion bloß an den Rändern entstehen. Die Verwandtschaft der katoptrischen und paroptischen aber wird uns in dem folgenden Kapitel klar werden.