Julius Cäsar Scaliger

(Von 1484 bis 1558)

Dieser merkwürdige Mann brachte seine Jugend am Hof, sein Jünglingsalter im Militärstande zu, suchte später als Arzt seinen Lebensunterhalt und war wegen seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit vor vielen seiner Zeitgenossen berühmt. Ein starkes Gedächtnis verhalf ihm zu vielem Wissen; doch tut man ihm wohl nicht unrecht, wenn man ihm eigentlichen Geschmack und Wahrheitssinn abspricht. Dagegen war er, bei einem großen Vorgefühl seiner selbst, von dem Geiste des Widerspruchs und Streitlust unablässig erregt.

Cardan, dessen wir später gedenken werden, publiziert eine seiner Arbeiten unter dem Titel: De subtilitate. Scaliger findet es gelegen, sich daran zu üben, und verfaßte ein großes Buch gegen ihn, worin er ihm zeigt, daß man mehr wissen, genauer bemerken, subtiler unterscheiden und bestimmter vortragen könne. Dieses Werk ist seinem Inhalte nach schätzbar genug: denn es sind eigentlich nur in Streitform zusammengestellte Kollektaneen, wodurch wir unterrichtet werden, wie manches damals bekannt war und wie vieles die Wißbegierigen schon interessierte.

Was Scaliger über die Farben in der dreihundertfünfundzwanzigsten Exerzitation vorzubringen weiß, läßt sich in zwei Hauptabschnitte teilen, in einen theoretischen und einen etymologischen. In dem ersten wiederholt er, was die Alten von den Farben gesagt, teils beifällig, teils mißfällig; er hält sich auf der Seite des Aristoteles, die Platonischen Vorstellungsarten wollen ihm nicht einleuchten. Da er aber keinen eigentlichen Standpunkt hat, so ist es auch nur ein Hin- und Widerreden, wodurch nichts ausgemacht wird.

Bei dieser Gelegenheit läßt sich jene Betrachtung anstellen, die uns auch schon früher entgegendrang: welch eine andre wissenschaftliche Ansicht würde die Welt gewannen haben, wenn die griechische Sprache lebendig geblieben wäre und sich anstatt der lateinischen verbreitet hätte.

Die weniger sorgfältigen arabischen und lateinischen Übersetzungen hatten schon früher manches Unheil angerichtet, aber auch die sorgfältigste Übersetzung bringt immer etwas Fremdes in die Sache, wegen Verschiedenheit des Sprach gebrauchs.

Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem natürlichen, heitern, geistreichen, ästhetischen Vortrag glücklicher Naturansichten viel geschickter. Die Art, durch Verba, besonders durch Infinitiven und Partizipien zu sprechen, macht jeden Ausdruck läßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts bestimmt, bepfählt und festgesetzt, es ist nur eine Andeutung, um den Gegenstand in der Einbildungskraft hervorzurufen.

Die lateinische Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der Substantiven entscheidend und befehlshaberisch. Der Begriff ist im Wort fertig aufgestellt, im Worte erstarrt, mit welchem nun als einem wirklichen Wesen verfahren wird. Wir werden später Ursache haben, an diese Betrachtungen wieder zu erinnern.
Was den zweiten etymologischen Teil betrifft, so ist derselbe schätzenswert, weil er uns mit vielen lateinischen Farbenbenennungen bekannt macht; wodurch wir den Thylesius und andre supplieren können.

Wir fügen hier eine Bemerkung bei, jedoch mit Vorsicht, weil sie uns leicht zu weit führen könnte. In unserm kleinen Aufsatz über die Farbenbenennungen der Griechen und Römer (…) haben wir auf die Beweglichkeit der

Farbenbenennungen bei den Alten aufmerksam gemacht; doch ist nicht zu vergessen, wie viele derselben bei ihrem Ursprunge sogleich fixiert worden: denn gerade durch diesen Widerstreit des Fixen und Beweglichen wird die Anwendung der Farbenbenennungen bis auf den heutigen Tag noch immer schwierig.

So einfach auch die Farben in ihrer ersten elementaren Erscheinung sein mögen, so werden sie doch unendlich mannigfaltig, wenn sie aus ihrem reinen und gleichsam abstrakten Zustande sich in der Wirklichkeit manifestieren, besonders an Körpern, wo sie tausend Zufälligkeiten ausgesetzt sind. Dadurch entspringt eine Individualisierung bis ins Grenzenlose, wohin keine Sprache, ja alle Sprachen der Welt zusammengenommen, nicht nachreichen.

Nun sind aber die meisten Farbenbenennungen davon ausgegangen, daß man einen individuellen Fall als ein Beispiel ergriffen, um, nach ihm und an ihm, andre ähnliche zu bezeichnen. Wenn uns nun das Altertum dergleichen Worte schon genugsam überliefert, so ist in der Folge der Zeit, durch eine ausgebreitetere Kenntnis der Welt, natürlicher Körper, ja so vieler Kunstprodukte bei jeder Nation ein neuer Zuwachs von Terminologie entstanden, die, immer aufs neue wieder auf bekannte und unbekannte Gegenstände angewendet, neue Bedenklichkeiten, neue Zweifel und Irrungen hervorbringt, wobei denn doch zuletzt nichts weiter übrig bleibt, als den Gegenstand, von dem die Rede ist, recht genau zu kennen, und ihn womöglich in der Einbildungskraft zu behalten.