Johann Theophilus Desaguliers

*1683

Die Philosophen des Altertums, welche sich mehr für den Menschen als für die übrige Natur interessierten, betrachteten diese nur nebenher und theoretisierten nur gelegentlich über dieselbe. Die Erfahrungen nahmen zu, die Beobachtungen wurden genauer und die Theorie eingreifender; doch brachten sie es nicht zur Wiederholung der Erfahrung, zum Versuch.
Im sechzehnten Jahrhundert, nach frischer Wiederbelebung der Wissenschaften, erschienen die bedeutenden Wirkungen der Natur noch unter der Gestalt der Magie, mit vielem Aberglauben umhüllt, in welchen sie sich zur Zeit der Barbarei versenkt hatten. Im siebzehnten Jahrhundert wollte man, wo nicht erstaunen, doch sich immer noch verwundern, und die angestellten Versuche verloren sich in seltsame Künsteleien.
Doch war die Sache immer ernsthafter geworden. Wer über die Natur dachte, wollte sie auch schauen. Jeder Denker machte nunmehr Versuche, aber auch noch nebenher. Gegen das Ende dieser Zeit traten immer mehr Männer auf, die sich mit einzelnen Teilen der Naturwissenschaft beschäftigten und vorzüglich diese durch Versuche zu ergründen suchten.
Durch diese lebhafte Verbindung des Experimentierens und Theoretisierens entstanden nun diejenigen Personen, welche man, besonders in England, Natural- und Experimentalphilosophen nannte, so wie es denn auch eine Experimentalphilosophie gab. Ein jeder, der die Naturgegenstände nur nicht gerade aus der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte, wer nur einigermaßen konsequent aufmerksam auf die Erscheinungen war, der hatte schon ein gewisses Recht zu jenem Ehrennamen, den man freilich in diesem Sinne vielen beilegen konnte. Jedes allgemeine Räsonnement, das tief oder flach, zart oder krud, zusammenhängend oder abgerissen, über Naturgegenstände vorgebracht wurde, hieß Philosophie. Ohne diesen Missbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreiflich, wie die Londoner Sozietät den Titel Philosophische Transaktionen für die unphilosophischste aller Sammlungen hätte wählen können.
Der Hauptmangel einer solchen unzulänglichen Behandlung blieb daher immer, dass die theoretischen Ansichten so vieler Einzelnen vorwalteten und dasjenige, was man sehen sollte, nicht einem jeden gleichmäßig erschien. Uns ist bekannt, wie sich Boyle, Hooke und Newton benommen.
Durch die Bemühungen solcher Männer, besonders aber der Londoner Sozietät, ward inzwischen das Interesse immer allgemeiner. Das Publikum wollte nun auch sehen und unterrichtet sein. Die Versuche sollten zu jeder Zeit auf eines jeden Erfordern wieder dargestellt werden, und man fand nun, dass Experimentieren ein Metier werden müsse.
Dies ward es zuerst durch Hawksbee. Er machte in London öffentliche Versuche der Elektrizität, Hydrostatik und Luftlehre, und enthielt sich vielleicht am reinsten von allem Theoretischen. Keill ward sein Schüler und Nachfolger. Dieser erklärte sich aber schon für Newtons Theorie. Hätte er die Farbenlehre behandelt, wie Hauksbee die Lehre von der Elektrizität, so würde alles ein anderes Ansehen gewonnen haben. Er wirkte in Oxford bis 1710.
Auf Keill folgte Desaguliers, der von ihm, seinem Meister, die Fertigkeit, Newtonische Experimente rezeptgemäß nach zubilden, sowie die Neigung zu dieser Theorie geerbt hatte, und dessen Kunstfertigkeit man anrief, wenn man Versuche sichten, durch Versuche etwas beweisen wollte.
Desaguliers ward berühmt durch sein Geschick zu experimentieren. s’Gravesande sagt von ihm: cuius peritia in instituendis experimentis nota est. Er hatte hinreichende mathematische Kenntnisse sowie auch genugsame Einsicht in das, was man damals Naturphilosophie nannte.

Desaguliers gegen Mariotte

Die Acta Eruditorum hatten 1706 S. 60 Nachricht von der Optik Newtons gegeben, durch einen gedrängten Auszug, ohne die mindeste Spur von Beifall oder Widerspruch.
Im Jahre 1713 S. 447 erwähnen sie, bei Gelegenheit von Rohaults Physik, jenes von Mariotte ausgesprochenen Einwurfs, und äußern sich darüber folgendermaßen: «Wenn es wahr ist, dass ein aus dem Spektrum abgesondertes, einzelnes farbiges Licht bei einer zweiten Brechung aufs neue an seinen Teilen Farben zeigt, so periklitiert die Newtonische Lehre. Noch entscheidender würde das Mariottische Experiment sein, wenn das ganze blaue Licht in eine andere Farbe verwandelt worden wäre.»
Man sieht wohl, dass dieser Zweifel sich von einer Person herschreibt, die mit der Sache zwar genugsam bekannt ist, sie aber nicht völlig durchdrungen hat. Denn jedes einfärbige Bild kann so gut als ein schwarzes, weißes oder graues, durch die verbreiterten Säume zugedeckt und seine Farbe dadurch aufgehoben, keineswegs aber in eine einzelne andere Farbe verwandelt werden. Genug, ein Aufruf dieser Art war von zu großer Bedeutung für Newton selbst und seine Schule, als dass nicht dadurch hätten Bewegungen hervorgebracht werden sollen. Dieses geschah auch, und Desaguliers stellte 1715 die Versuche gegen Mariotte an. Das Verfahren ist uns in den Philosophischen Transaktionen Nr. 348 S. 433 aufbewahrt.
Wir müssen uns Gewalt antun, indem wir von diesem Aufsatz Rechenschaft geben, aus der historischen Darstellung nicht wieder in die polemische Behandlung zu verfallen. Denn eigentlich sollte man Desaguliers gleichfalls Schritt vor Schritt, Wort vor Wort folgen, um zu zeigen, dass er wie sein Meister, ja noch schlimmer als dieser, sich bei den Versuchen benommen. Unbedeutende unnütze Nebenumstände werden hervorgehoben, die Hauptbedingungen des Phänomens spät und nur wie im Vorübergehen erwähnt, es wird versichert, dass man dieses und jenes leisten wolle, geleistet habe und sodann, als wenn es nichts wäre, zum Schlusse eingestanden, dass es nicht geschehen sei, dass eins und anderes noch beiher sich zeige und gerade das, wovon eben die Rede war, dass es sich nicht zeigen dürfe.
Gegen Mariotte soll bewiesen werden, dass die Farben des Spektrums, wenn sie recht gesondert seien, keine weitere Veränderung erleiden, aus ihnen keine andere Farben hervorgehen, an ihnen keine andere Farbe sich zeige, Um nun die prismatischen Farben auf diesen hohen Grad zu reinigen, wird der Newtonische elfte Versuch des ersten Teils als genugtuend angeführt, die dort vorgeschlagene umständliche Vorrichtung zwar als beschwerlich und verdrießlich (troublesome) angegeben und, wie auch Newton schon getan, mit einer bequemern ausgetauscht, und man glaubt nun, es solle direkt auf den Gegner losgehen, es werde dasjenige, was er behauptet, umgestoßen, dasjenige, was er geleugnet, bewiesen werden.
Allein Desaguliers verfährt völlig auf die Newtonische Manier und bringt ganz unschuldig bei: er wolle auch noch einige begleitende Versuche (concomitant) vorführen. Nun ist aber an diesem elften Experiment gar nichts zu begleiten: wenn es bestehen könnte, müsste es für sich bestehen. Desaguliers› Absicht aber ist, wie man wohl einsieht, die ganze Newtonische Lehre von vornherein festzusetzen, damit das, was am elften Versuche fehlt, gegen die schon gegründete Lehre unbedeutend scheinen möge: eine Wendung, deren sich die Schule fortdauernd bedient hat. Er bringt daher nicht einen, sondern neun Versuche vor, welche sämtlich mit gewissen Versuchen der Optik korrespondieren, die wir deswegen nur kürzlich anzeigen und unsern Lesern dasjenige, was wir bei jedem einzelnen im polemischen Teile zur Sprache gebracht, zur Erinnerung empfehlen.
1. Versuch mit einem roten und blauen Bande nebeneinander, durchs Prisma angesehen. Der erste Versuch des ersten Teils mit einigen Veränderungen. Dieser wegen seiner Scheinbarkeit Newtonen so wichtige Versuch, dass er seine Optik damit eröffnet, steht auch hier wieder an der Spitze. Der Experimentator hält sich bei ganz unnötigen Bedingungen auf, versichert, der Versuch des Auseinanderrückens der beiden Bänder sei vortrefflich geraten, und sagt erst hinterdrein: wenn der Grund nicht schwarz ist, so gerät der Versuch nicht so gut. Dass der Grund hinter den Bändern schwarz sei, ist die unerlässliche Bedingung, welche obenan stehen müsste. Ist der Grund heller als die Bänder, so gerät der Versuch nicht etwa nur nicht so gut, sondern er gerät gar nicht; es entsteht etwas Umgekehrtes, etwas ganz anders. Man wird an dieser ausflüchtenden Manier doch wohl sogleich den echten Jünger Newtons erkennen.
2. Ein ähnliches Experiment mit den beiden Papierstreifen durch die Farben des Spektrums gefärbt, vergleicht sich mit dem dreizehnten Versuche des ersten Teils.
3. Das Bild dieser letzten, violetten und gelbroten Streifen durch eine Linse auf ein Papier geworfen, sodann derselbe Versuch mit gefärbten Papieren, kommt mit dem zweiten Versuch des ersten Teils überein.
4. Verschiedene Längen und Direktionen des prismatischen Bildes nach den verschiedenen Einfallswinkeln des reinen Lichts aufs Prisma. Was hier ausgeführt und dargestellt ist, würde zum dritten Versuch des ersten Teils gehören.
5. Das objektive Spektrum wird durch das Prisma angesehen, es scheint heruntergerückt und weiß. Ist der elfte Versuch des zweiten Teils.
6. Das Spektrum geht durch die Linse durch und erscheint im Fokus weiß. Ist ein Glied des zehnten Versuchs des zweiten Teils.
7. Das eigentliche Experimentum Crucis, das sechste des ersten Teils. Hier gesteht er, was Mariotte behauptet hat, dass die zu einzelnen Bildchen separierten prismatischen Farben, wenn man sie mit dem Prisma ansieht, wieder Farbenränder zeigen.
8. Nun schreitet er zu der komplizierten Vorrichtung des elften Experiments des ersten Teils, um ein Spektrum zu machen, das seiner Natur nach viel unsicherer und schwanken der ist als das erste.
9. Mit diesem macht er nun ein Experiment, welches mit dem vierzehnten des ersten Teils zusammenfällt, um zu zeigen, dass nunmehr die farbigen Lichter ganz gereinigt, einfach, homogen gefunden worden. Dies sagt er aber nur: denn wer ihm aufmerksam nachversucht, wird das Gegenteil finden.
Das, was Desaguliers getan, teilt sich also in zwei Teile: die sieben ersten Versuche sollen die diverse Refrangibilität beweisen und in dem Kopf des Schauenden festsetzen; unter der achten und neunten Nummer hingegen, welche erst gegen Mariotte gerichtet sind, soll das wirklich geleistet sein, was versprochen worden. Wie kaptios und unredlich auch er hier zu Werke gehe, kann man daraus sehen, dass er wiederholt sagt: mit dem Roten gelang mir’s sehr gut, und so auch mit den übrigen. Warum sagt er denn nicht: es gelang mir mit allen Farben? oder warum fängt er nicht mit einer andern an? Alles dieses ist schon von uns bis zum Überdruss im polemischen Teile auseinandergesetzt. Besonders ist es in der supplementaren Abhandlung über die Verbindung der Prismen und Linsen bei Experimenten ausführlich geschehen und zugleich das elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden.
Aber hier macht sich eine allgemeine Betrachtung nötig. Das, was Desaguliers gegen Mariotte und später gegen Rizzetti versucht und vorgetragen, wird von der Newtonischen Schule seit hundert Jahren als ein Schlussverfahren angesehen. Wie war es möglich, dass ein solcher Unsinn sich in einer Erfahrungswissenschaft einschleichen konnte? Dieses zu beantworten, müssen wir darauf aufmerksam machen, dass, wie sich in die Wissenschaften ethische Beweggründe, mehr als man glaubt, einschlingen, ebenso auch Staats und Rechtsmotive und -maximen darin zur Ausübung gebracht werden. Ein schließliches Aburteilen, ohne weitere Appellation zuzulassen, geziemt wohl einem Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Verbrecher vor die Geschworenen gebracht, von diesen schuldig befunden und sodann aufgehangen worden, so fällt es uns nicht leicht ein, die Revision eines solchen Prozesses zu verlangen, ob es gleich Fälle genug gegeben hat, wo das Andenken eines schmählich Hingerichteten durch Recht und Urteil rehabilitiert worden. Nun aber Versuche, von einer Seite so bedeutend, von der andern so leicht und bequem anzustellen, sollen, weil sie vor hundert Jahren, in England, von einer zwar ansehnlichen aber weder theoretisierend noch experimentierend völlig taktfesten Gesellschaft angestellt worden, nunmehr als ein für allemal abgetan, abgemacht und fertig erklärt und die Wiederholung derselben für unnütz, töricht, ja anmaßlich ausgeschrieen werden! Ist hierbei nur der mindeste Sinn, was Erfahrungswissenschaft sei, worauf sie beruhe, wie sie wachsen könne und müsse, wie sie ihr Falsches nach und nach von selbst wegwerfe, wie durch neue Entdeckungen die alten sich ergänzen und wie durch das Ergänzen die älteren Vorstellungsarten, selbst ohne Polemik, in sich zerfallen?
Auf die lächerlichste und unerträglichste Weise hat man von eben diesen Desaguliersschen Experimenten späterhin einsichtige Naturforscher weggeschreckt, gerade wie die Kirche von Glaubensartikeln die naseweisen Ketzer zu entfernen sucht. Betrachtet man dagegen, wie in der neuern Zeit Physiker und Chemiker die Lehre von den Luftarten, der Elektrizität, des Galvanism mit unsäglichem Fleiß, mit Aufwand und mancherlei Aufopferungen bearbeitet, so muss man sich schämen, im chromatischen Fach beinahe allein mit dem alten Inventarium von Traditionen, mit der alten Rüstkammer ungeschickter Vorrichtungen sich in Glauben und Demut begnügt zu haben.