Johann Kepler

geboren 1571, gestorben 1630
Wenn man Keplers Lebensgeschichte mit demjenigen, W was er geworden und geleistet, zusammenhält, so gerät man in ein frohes Erstaunen, indem man sich überzeugt, daß der wahre Genius alle Hindernisse überwindet. Der Anfang und das Ende seines Lebens werden durch Familienverhältnisse verkümmert, seine mittlere Zeit fällt in die unruhigste Epoche, und doch dringt sein glückliches Naturell durch. Die ernstesten Gegenstände behandelt er mit Heiterkeit und ein verwickeltes mühsames Geschäft mit Bequemlichkeit.
Gibt er schriftlich Rechenschaft von seinem Tun, von seinen Einsichten, so ist es, als wenn es nur gelegentlich, im Vorbeigehen geschähe, und doch findet er immer die Methode, die von Grund aus anspricht. Andern sei es überlassen, seine Verdienste anzuerkennen und zu rühmen, welche außer unserm Gesichtskreise liegen; aber uns ziemt es, sein herrliches Gemüt zu bemerken, das überall auf das freudigste durchblickt. Wie verehrt er seinen Meister und Vorgesetzten Tycho! Wie schätzt er die Verdienste dieses Mannes, der sich dem ganzen Himmel gewachsen fühlte, insofern er sich durch die Sinne fassen und durch Instrumente bezwingen ließ. Wie weiß er diesen seinen Lehrer und Vorgänger auch nach dem Tode gegen unfreundliche Angriffe zu verteidigen! Wie gründlich und anmutig beschreibt er, was an dem astronomischen Baue schon geleistet, was gegründet, was aufgeführt, was noch zu tun und zu schmücken sei! Und wie arbeitet er sein ganzes Leben unverrückt an der Vollendung!
Indes war Tycho bei allen seinen Verdiensten doch einer von den beschränkten Köpfen, die sich mit der Natur gewissermaßen im Widerspruch fühlen und deswegen das komplizierte Paradoxe mehr als das einfache Wahre lieben und sich am Irrtum freuen, weil er ihnen Gelegenheit gibt, ihren Scharfsinn zu zeigen, da derjenige, der das Wahre anerkennt, nur Gott und die Natur, nicht aber sich selbst zu ehren scheint, und von dieser letzten Art war Kepler. Jedes klare Verdienst klärt ihn selbst auf; durch freie Beistimmung eilt er es sich zuzueignen. Wie gern spricht er von Kopernikus! Wie fleißig deutet er auf das einzig schöne Aperçu, was uns die Geschichte noch ganz allein erfreulich machen kann, daß die echten Menschen aller Zeiten einander voraus verkünden, aufeinander hinweisen, einander vorarbeiten. Wie umständlich und genau zeigt Kepler, daß Euklides kopernikisiere.
Ebenso verhält er sich zu seinen Zeitgenossen. Dem Johann Baptist Porta erteilt er die anmutigsten Lobsprüche, den herzlichsten Dank für die Entdeckung der Camera obscura, für die dadurch auf einmal erweiterte Einsicht in die Gesetze des Sehens.
Wie sein Sinn, so sein Ausdruck. Geübt im Griechischen und Lateinischen fehlt es ihm an keiner Kenntnis des Altertums, des gründlichen sowohl als des schönen, und er weiß sich nach Belieben auszudrücken. Manchmal läßt er sich zu Unwissenden, ja zu Dummen herab; manchmal sucht er wenigstens allgemein verständlich zu werden. Bei Erzählung von natürlichen Ereignissen ist er klar und deutlich; bald aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindrücke, entschiedenere Teilnahme hervorbringen will, dann fehlt es ihm nicht an Gleichnissen, Anspielungen und klassischen Stellen.
Da er die Sprache völlig in seiner Gewalt hat, so wagt er gelegentlich kühne seltsame Ausdrücke, aber nur dann, wenn der Gegenstand ihm unerreichbar scheint. So verfährt er bei Gelegenheit der Farbe, die
er nur im Vorbeigehen behandelt, weil sie ihm, dem alles Maß und Zahl ist, von keiner Bedeutung sein kann. Er bedient sich so wunderbarer Worte, um ihrer Natur einigermaßen beizukommen, daß wir sie nicht zu übersetzen wagen, sondern im Original hier einschalten: Color est lux in potentia, lux sepulta in pellucidi materia si iam extra visionem consideretur; et diversi gradus in dispositione materiae, caussâ raritatis et densitatis, seu pellucidi et tenebrarum; diversi item gradus luculae, quae materiae est concreta, efficiunt discrimina colorum. Die Auslegung davon läßt sich vielleicht eher in einer andern Sprache wiedergeben; sie ist folgende:
«Denn da die Farben, welche man im Regenbogen sieht, von derselben Art sind wie die der Körper, so müssen sie auch einen gleichen Ursprung haben; jene aber entspringen nur aus den angeführten Ursachen. Denn wie das Auge seinen Platz verläßt, so verändert sich auch die Farbe, und zwar entspringen sie alle an der Grenze des Lichts und des Schattens; woraus erhellet, daß sie aus einer Schwächung des Lichtes und aus einem Überzug der wäßrigen Materie entstehen. Deswegen werden auch die Farben der Körper auf gleiche Weise entspringen, und es wird nur der Unterschied zwischen ihnen sein, daß bei dem Regenbogen das Licht hinzutretend ist, bei den Farben aber eingeboren, auf die Weise, wie in den Teilen vieler Tiere sich Lichter wirklich befinden. Wie nun die Möglichkeit der Wärme im Ingwer von der wirklichen Wärme im Feuer unterschieden ist, so scheint auch das Licht in der gefärbten Materie vom Licht in der Sonne verschieden zu sein. Denn dasjenige ist nur der Fähigkeit nach da, was sich nicht mitteilt, sondern innerhalb der Grenzen seines Gegenstandes gehalten wird, wie das Licht, das in den Farben verborgen ist, solange sie nicht von der Sonne erleuchtet werden. Doch kann man nicht wissen, ob die Farben nicht in tiefer Nacht ihre Lichtlein umherstreuen.»
«Freilich hat dieser Gegenstand die Köpfe der scharfsinnigsten Philosophen auf mancherlei Weise in Übung gesetzt, und wir finden uns gegenwärtig weder im Falle noch imstande, seine Dunkelheit zu enthüllen. Wolltest du mir aber den Einwurf machen, die Finsternis sei eine Privation und könne deshalb niemals etwas Positives, niemals eine aktive Eigenschaft werden, welche nämlich zu strahlen und sich auf den Wänden abzubilden vermöchte, so erwähne ich der Kälte dagegen, welche auch eine reine Privation ist und doch, bezüglich auf die Materie, als wirksame Eigenschaft erscheint.»
Das übrige werden diejenigen, welche bei der Sache interessiert sind, bei ihm selbst nachsehen; nur bemerken wir noch, daß ihm verschiedene Hauptpunkte, die wir in der Rubrik von den physiologischen Farben behandelt haben, nicht unbekannt gewesen; daß nämlich helle und dunkle Bilder von gleichem Maß dem Auge als verschieden groß erscheinen, daß das Bild im Auge eine Dauer habe, daß lebhafte Lichteindrücke farbig abklingen. Erwähnt er auch nur beiläufig dergleichen Erscheinungen, so bemerkt man mit Vergnügen, wie lebendig alles mit seinem Hauptgeschäft zusammenhängt, wie innig er alles, was ihm begegnet, auf sich zu beziehen weiß.