Newtons Rekapitulation der ersten zehn Versuche

206.
Wenn wir es von unserer Seite für nötig und vorteilhaft hielten, nach den acht ersten Versuchen eine Übersicht derselben zu veranlassen, so tut Newton dasselbige auf seine Weise nach dem zehnten, und indem wir ihn hier zu beobachten alle Ursache haben, finden wir uns in dem Falle, unsern Widerspruch abermals zu artikulieren. In einem höchst verwickelten Perioden drängt er das nicht Zusammengehörende neben- und übereinander, dergestalt, dass man nur mit innerster Kenntnis seines bisherigen Verfahrens und mit genauester Aufmerksamkeit dieser Schlinge entgehen kann, die er hier, nachdem er sie lange zurecht gelegt, endlich zusammenzieht. Wir ersuchen daher unsere Leser, dasjenige nochmals mit Geduld in anderer Verbindung anzuhören, was schon öfter vorgetragen worden; denn es ist kein ander Mittel, seinen bis zum Überdruss wiederholten Irrtum zu vertilgen, als dass man das Wahre gleichfalls bis zum Überdruss wiederhole.

207.
Findet man nun bei allen diesen mannigfaltigen Experimenten, man mache den Versuch mit reflektiertem Licht, und zwar sowohl mit solchem, das von natürlichen Körpern (Exper. 1, 2), als auch mit solchem, das von spiegelnden (Exper. 9) zurückstrahlt;

208.
Hier bringt Newton unter der Rubrik des reflektierten Lichtes Versuche zusammen, welche nichts gemein miteinander haben, weil es ihm darum zu tun ist, die Reflexion in gleiche Würde und Wirkung mit der Refraktion, was Farben hervorbringen betrifft, zu setzen. Das spiegelnde Bild im neunten Experiment wirkt nicht anders als ein direktes, und sein Spiegeln hat mit Hervorbringung der Farbe gar nichts zu tun.* Die natürlichen gefärbten Körper des ersten und zweiten Experiments hingegen kommen auf eine ganz andere Weise in Betracht. Ihre Oberflächen sind spezifiziert, die Farbe ist an ihnen fixiert, das daher reflektierende Licht macht diese ihre Eigenschaften sichtbar, und man will nur, wie auch schon früher geschehen, durch das Spiel der Terminologie hier abermals andeuten, dass von den natürlichen Körpern farbige Lichter, aus dem farblosen Hauptlicht durch gewisse Eigenschaften der Oberfläche herausgelockte Lichter, reflektieren, welche sodann eine diverse Refraktion erdulden sollen. Wir wissen aber besser, wie es mit diesem Phänomen steht, und die drei hier angeführten Experimente imponieren uns weder in ihrer einzelnen falschen Darstellung noch in ihrer gegenwärtigen erzwungenen Zusammenstellung.

209.
oder man mache denselben mit gebrochenem Licht, es sei nun, bevor die ungleich gebrochenen Strahlen durch Divergenz (Auseinandertreten (Hrsg.)) voneinander abgesondert sind, bevor sie noch die Weiße, welche aus ihrer Zusammensetzung entspringt, verloren haben, also bevor sie noch einzeln, als einzelne Farben erscheinen (Exper. 5);

210.
Bei dieser Gelegenheit kommen uns die Nummern unserer Paragraphen sehr gut zustatten; denn es würde Schwierigkeit haben, am fünften Versuche das, was hier geäußert wird, aufzufinden. Es ist eigentlich nur bei Gelegenheit des fünften Versuches angebracht, und wir haben schon dort auf das Einpaschen dieses konterbanden Punktes alle Aufmerksamkeit erregt. Wie künstlich bringt Newton auch hier das Wahre gedämpft herein, damit es ja sein Falsches nicht überleuchte. Man merke sein Bekenntnis! Die Brechung des Lichtes ist also nicht allein hinreichend, um die Farben zu sondern, ihnen ihre anfängliche Weiße zu nehmen, die ungleichen Strahlen einzeln als einzelne Farben erscheinen zu machen; es gehört noch etwas anderes dazu, und zwar eine Divergenz. Wo ist von dieser Divergenz bisher auch nur im mindesten die Rede gewesen? Selbst an der angeführten Stelle (i 12) spricht Newton wohl von einem gebrochnen und weißen Lichte, das noch rund sei, auch dass es gefärbt und länglich erscheinen könne; wie aber sich eins aus dem andern entwickele, eins aus dem andern herfließe, darüber ist ein tiefes Stillschweigen. Nun erst in der Rekapitulation spricht der kluge Mann das Wort Divergenz als im Vorbeigehen aus, als etwas, das sich von selbst versteht. Aber es versteht sich neben seiner Lehre nicht von selbst, sondern es zerstört solche unmittelbar. Es wird also oben (112) und hier abermals zugestanden, dass ein Licht, ein Lichtbild, die Brechung erleiden und nicht völlig farbig erscheinen könne. Wenn dem so ist, warum stellen denn Newton und seine Schüler Brechung und völlige Farbenerscheinung als einen und denselben Akt vor? Man sehe die erste Figur unserer siebenten Tafel, die durch alle Kompendien bis auf den heutigen Tag wiederholt wird; man sehe so viele andere Darstellungen, sogar die ausführlichsten, z. B. in Martins Optik. wird nicht überall Brechung und vollkommene Divergenz aller sogenannten Strahlen gleich am Prisma vorgestellt? Was heißt denn aber eine nach vollendeter Brechung eintretende spätere Divergenz? Es heißt nur gestehen, dass man unredlich zu Werke geht, dass man etwas einschieben muss, was man nicht brauchen und doch nicht leugnen kann.

211.
Auch oben (I 12) geht Newton unredlich zu Werke, indem er das gebrochene Lichtbild für weiß und rund angibt, da es zwar in der Mitte weiß, aber doch an den Rändern gefärbt und schon einigermaßen länglich erscheint. Dass die Farbenerscheinung bloß an den Rändern entstehe, dass diese Ränder divergieren, dass sie endlich übereinander greifen und das ganze Bild bedecken, dass hierauf alles ankomme, dass durch dieses simple Phänomen die Newtonische Theorie zerstört werde, haben wir zu unserem eigenen Überdruss hundertmal wiederholt. Allein wir versäumen hier die Gelegenheit nicht, eine Bemerkung beizubringen, wodurch der Starrsinn der Newtonianer einigermaßen entschuldigt wird. Der Meister nämlich kannte recht gut die Umstände, welche seiner Lehre widerstrebten. Er verschwieg sie nicht, er verhüllte, er versteckte sie nur; doch erwähnt war derselben. Brachte man nun nachher den Newtonianern einen solchen Umstand als der Lehre widerstreitend vor, so versicherten sie, der Meister habe das alles schon gewusst, aber nicht darauf geachtet, seine Theorie immerfort für gegründet und unumstößlich gehalten, und so müssten denn doch wohl diese Dinge von keiner Bedeutung sein. Was uns betrifft, so machen wir auf das Bekenntnis: Refraktion tue es nicht allein, sondern es gehöre Divergenz dazu, aber und abermals aufmerksam, indem wir uns in der Folge des Streites noch manchmal darauf werden beziehen müssen.

212.
oder nachdem sie voneinander gesondert worden und sich gefärbt zeigen (Exper. 6, 7, 8);

213.
Wem durch unsere umständliche Ausführung nicht klar geworden, dass durch gedachte drei Experimente nicht das mindeste geleistet und dargetan ist, mit dem haben wir weiter nichts mehr zu reden

214.
man experimentiere mit Licht, das durch parallele Oberflächen hindurchgegangen, welche wechselseitig ihre Wirkung aufheben (Exper. 10):

215.
Ein Sonnenbild, das rechtwinklig durch parallele Oberflächen hindurchgegangen ist, findet sich wenig verändert und bringt, wenn es nachher durch ein Prisma hindurchgeht, völlig diejenige Erscheinung hervor, welche ein unmittelbares leistet. Das zehnte Experiment ist wie so viele andere nichts als eine Verkünstelung ganz einfacher Phänomene, vermehrt nur die Masse dessen, was überschaut werden soll, und steht auch hier in dieser Rekapitulation ganz müßig.

216.
Findet man, sage ich, bei allen diesen Experimenten immer Strahlen, welche, bei gleichen Inzidenzen auf dasselbe Mittel, ungleiche Brechungen erleiden,

217.
Niemals findet man Strahlen, man erklärt nur die Erscheinungen durch Strahlen; nicht eine ungleiche, sondern eine nicht ganz reine, nicht scharf abgeschnittene Brechung eines Bildes findet man, deren Ursprung und Anlass wir genugsam entwickelt haben. Dass Newton und seine Schule dasjenige mit Augen zu sehen glauben, was sie in die Phänomene hineintheoretisiert haben, das ist es eben, worüber man sich beschwert.

218.
und das nicht etwa durch Zersplitterung oder Erweiterung der einzelnen Strahlen,

219.
Hier wird eine ganz unrichtige Vorstellung ausgesprochen. Newton behauptet nämlich, dem farbigen Lichte begegne das nicht, was dem weißen Lichte begegnet; welches nur der behaupten kann, der unaufmerksam ist und auf zarte Differenzen nicht achtet. Wir haben umständlich genug gezeigt, dass einem farbigen Bilde eben das bei der Brechung begegne, was einem weißen begegnet, dass es an den Rändern gesetzmäßig prismatisch gefärbt werde.

220.
noch durch irgendeine zufällige Ungleichheit der Refraktion (Exper. 5 u. 6);

221.
Dass die Farbenerscheinung bei der Refraktion nicht zufällig, sondern gesetzmäßig sei, dieses hat Newton ganz richtig eingesehen und behauptet. Die Geschichte wird uns zeigen, wie dieses wahre Apercu seinem falschen zur Base gedient; wie uns denn dort auch noch manches wird erklärbar werden.

222.
findet Man ferner, dass die an Brechbarkeit verschiedenen Strahlen voneinander getrennt und sortiert werden können, und zwar sowohl durch Refraktion (Exper, 3) als durch Reflexion (Exper. 10),

223.
Im dritten Experiment sehen wir die Farbenreihe des Spektrums; dass das aber getrennte und sortierte Strahlen seien, ist eine bloße hypothetische und, wie wir genugsam wissen, höchst unzulängliche Erklärungsformel. Im zehnten Experiment geschieht nichts, als dass an der einen Seite ein Spektrum verschwindet, indem an der andern Seite ein neues entsteht, das sich jedoch weder im ganzen noch im einzelnen keineswegs von dem ersten herschreibt, nicht im mindesten mit demselben zusammenhängt.

224.
und dass diese verschiedenen Arten von Strahlen jede besonders bei gleichen inzidenzen ungleiche Refraktion erleiden, indem diejenigen, welche vor der Scheidung mehr als die andern gebrochen wurden, auch nach der Scheidung mehr gebrochen werden (Exper. 6 u. ff.);

225.
Wir haben das sogenannte experimentum crucis, und was Newton demselben noch irgend zur Seite stellen mag, so ausführlich behandelt und die dabei vorkommenden verfänglichen Umstände und verdeckten Bedingungen so sorgfältig ins plane und klare gebracht, dass uns hier nichts zu wiederholen übrig bleibt, als dass bei jenem Experiment, welches uns den wahren Weg weisen soll, keine diverse Refrangibilität im Spiel ist, sondern dass eine wiederholte fortgesetzte Refraktion nach ihren ganz einfachen Gesetzen immer fort- und weiterwirkt.

226.
findet man endlich, dass, wenn man das Sonnenlicht durch drei oder mehrere kreuzweis gestellte Prismen nach und nach hindurchgeht, diejenigen Strahlen, welche in dem ersten Prisma mehr gebrochen waren als die andern, auf dieselbe Weise und in demselben Verhältnis in allen folgenden Prismen abermals gebrochen werden:

227.
Hier ist abermals ein Kreuz, an das der einfache Menschensinn geschlagen wird; denn es ist auch hier derselbe Fall wie bei dem experimentum crucis. Bei diesem ist es eine wiederholte fortgesetzte Refraktion auf geradem Wege im Sinne der ersten; beim fünften Versuch aber ist es eine wiederholte fortgesetzte Refraktion nach der Seite zu, wodurch das Bild in die Diagonale und nachher zu immer weiterer Senkung genötigt wird, wobei es denn auch wegen immer weiterer Verrückung an Länge zunimmt.

228.
so ist offenbar, dass das Sonnenlicht eine heterogene Mischung von Strahlen ist, deren einige beständig mehr refrangibel sind als andre; welches zu erweisen war.

229.
Uns ist nur offenbar, dass das Sonnenbild so gut wie jedes andre helle oder dunkle, farbige oder farblose, insofern es sich vom Grunde auszeichnet, durch Refraktion an dem Rand ein farbiges Nebenbild erhält, welches Nebenbild unter gewissen Bedingungen wachsen und das Hauptbild zudecken kann.

230.
Dass Newton aus lauter falschen Prämissen keine wahre Folgerung ziehen konnte, versteht sich von selbst. Dass er durch seine zehn Experimente nichts bewiesen, darin sind gewiss alle aufmerksamen Leser mit uns einig. Der Gewinn, den wir von der zurückgelegten Arbeit ziehen, ist erstlich, dass wir eine falsche, hohle Meinung los sind, zweitens, dass wir die Konsequenz eines früher (E. 178356) abgeleiteten Phänomens deutlich einsehen, und drittens, dass wir ein Muster von sophistischer Entstellung der Natur kennenlernten, das nur ein außerordentlicher Geist wie Newton, dessen Eigensinn und Hartnäckigkeit seinem Genie gleich kam, aufstellen konnte. Wir wollen nun, nachdem wir so weit gelangt, versuchen, ob wir zunächst unsere Polemik uns und unsern Lesern bequemer machen können.