I. Prismatische Erscheinungen im allgemeinen

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Das Prisma, ein Instrument, welches in den Morgenländern so hoch geachtet wird, dass sich der chinesische Kaiser den ausschließenden Besitz desselben gleichsam als ein Majestätsrecht vorbehält, dessen wunderbare Erscheinungen uns in der ersten Jugend auffallen und in jedem Alter Verwunderung erregen, ein Instrument, auf dem beinahe allein die bisher angenommene Farbentheorie beruht, ist der Gegenstand, mit dem wir uns zuerst beschäftigen werden.

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Das Prisma ist allgemein bekannt, und es ist kaum nötig zu sagen, dass solches ein länglicher gläserner Körper sei, dessen beide Endflächen aus gleichen, parallel stehenden Triangeln gebildet sind. Parallele Ränder gehen rechtwinklig von den Winkeln beider Endflächen aus, verbinden diese Endflächen und bilden drei gleiche Seiten.

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Gewöhnlich sind die Dreiecke, durch welche die Gestalt des Prismas bestimmt wird, gleichseitig und folglich auch alle Winkel derselben gleich und jeder von sechzig Graden. Es sind diese zum Gebrauch ganz bequem und können bei unsern Versuchen nicht entbehrt werden. Doch wird es auch nötig sein, solche Prismen anzuwenden, deren Basis ein gleichschenkliger spitzwinkliger Triangel ungefähr von fünfzehn bis zwanzig Graden ist. Rechtwinklige und stumpfwinklige Prismen lassen wir vorerst unberührt.

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Wenn wir ein gewöhnliches gleichseitiges Prisma vor die Augen nehmen, so erscheinen uns die Gegenstände auf eine mannigfaltige Weise gefärbt; die Erscheinung ist blendend und manchen Augen schmerzhaft. Ich muss daher wünschen, dass diejenigen, welche an meinen Bemühungen Anteil nehmen möchten und nicht gewohnt sind, durch das Prisma zu sehen, zuerst ihr Auge daran üben, teils um sich an die Erscheinung zu gewöhnen, teils die Verwunderung, welche die Neuheit derselben erregt, einigermaßen abzustumpfen. Denn sollen Versuche methodisch angestellt und in einer Reihe vorgetragen werden, so ist es nötig, dass die Seele des Beobachters aus der Zerstreuung sich sammle und von dem Staunen zur Betrachtung übergehe.

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Man nehme also zuerst das Prisma vor, betrachte durch dasselbe die Gegenstände des Zimmers und der Landschaft; man halte den Winkel, durch den man sieht, bald oberwärts, bald unterwärts; man halte das Prisma horizontal oder vertikal, und man wird immer dieselbigen Erscheinungen wahrnehmen. Die Linien werden im gewissen Sinne gebogen und gefärbt sein; schmale kleine Körper werden ganz farbig erscheinen und gleichsam farbige Strahlen von ihnen ausfahren; man wird Gelb, Rot, Grün, Blau, Violett und Pfirsichblüt bald hier und da erblicken; alle Farben werden harmonieren; man wird eine gewisse Ordnung wahrnehmen, ohne sie genau bestimmen zu können, und ich wünsche, dass man diese Erscheinungen so lange betrachte, bis man selbst ein Verlangen empfindet, das Gesetz derselben näher einzusehen und sich aus diesem glänzenden Labyrinthe herauszufinden. Alsdann erst wünschte ich, dass man zu den nachstehenden Versuchen überginge und sich gefallen ließe, der Demonstration mit Aufmerksamkeit zu folgen und das, was erst Spiel war, zu einer ernsthaften Beschäftigung zu machen.