Einleitung

1 .
Wenn wir in dem ersten Teile den didaktischen Schritt so viel als möglich gehalten und jedes eigentlich Polemische vermieden haben, so konnte es doch hie und da an mancher Missbilligung der bis jetzt herrschenden Theorie nicht fehlen. Auch ist jener Entwurf unserer Farbenlehre seiner innern Natur nach schon polemisch, indem wir eine Vollständigkeit der Phänomene zusammenzubringen und diese dergestalt zu ordnen gesucht haben, dass jeder genötigt sei, sie in ihrer wahren Folge und in ihren eigentlichen Verhältnissen zu betrachten, dass ferner künftig denjenigen, denen es eigentlich nur darum zu tun ist, einzelne Erscheinungen herauszuheben, um ihre hypothetischen Aussprüche dadurch aufzustutzen, ihr Handwerk erschwert werde.

2.
Denn so sehr man auch bisher geglaubt, die Natur der Farbe gefasst zu haben, so sehr man sich einbildete, sie durch eine sichere Theorie auszusprechen, so war dies doch keineswegs der Fall, sondern man hatte Hypothesen an die Spitze gesetzt, nach welchen man die Phänomene künstlich zu ordnen wusste und eine wunderliche Lehre kümmerlichen Inhalts mit großer Zuversicht zu überliefern verstand.

3.
Wie der Stifter dieser Schule, der außerordentliche Newton, zu einem solchen Vorurteil gelangt, wie er es bei sich festgesetzt und andern verschiedentlich mitgeteilt, davon wird uns die Geschichte künftig unterrichten. Gegenwärtig nehmen wir sein Werk vor, das unter dem Titel der Optik bekannt ist, worin er seine Überzeugungen schließlich niederlegte, indem er dasjenige, was er vorher geschrieben, anders zusammenstellte und aufführte. Dieses Werk, welches er in späten Jahren herausgab, erklärt er selbst für eine vollendete Darstellung seiner Überzeugungen. Er will davon kein Wort ab, keins dazu getan wissen und veranstaltet die lateinische Übersetzung desselben unter seinen Augen.

4.
Der Ernst, womit diese Arbeit unternommen, die Umständlichkeit, womit sie ausgeführt war, erregte das größte Zutrauen. Eine Überzeugung, dass dieses Buch unumstößliche Wahrheit enthalte, machte sich nach und nach allgemein, und noch gilt es unter den Menschen für ein Meisterstück wissenschaftlicher Behandlung der Naturerscheinungen.

5.
Wir finden daher zu unserm Zwecke dienlich und notwendig, dieses Werk teilweise zu übersetzen, auszuziehen und mit Anmerkungen zu begleiten, damit denjenigen, welche sich künftig mit dieser Angelegenheit beschäftigen, ein Leitfaden gesponnen sei, an dem sie sich durch ein solches Labyrinth durchwinden können. Ehe wir aber das Geschäft t selbst antreten, liegt uns ob, einiges vorauszuschicken.

6.
Dass bei einem Vortrag natürlicher Dinge der Lehrer die Wahl habe, entweder von den Erfahrungen zu den Grundsätzen oder von den Grundsätzen zu den Erfahrungen seinen Weg zu nehmen, versteht sich von selbst; dass er sich beider Methoden wechselweise bediene, ist wohl auch vergönnt, ja manchmal notwendig. Dass aber Newton eine solche gemischte Art des Vortrags zu seinem Zweck advokatenmäßig missbraucht, indem er das, was erst eingeführt, abgeleitet, erklärt, bewiesen werden sollte, schon als bekannt annimmt und sodann aus der großen Masse der Phänomene nur diejenigen heraussucht, welche scheinbar und notdürftig zu dem einmal Ausgesprochenen passen, dies liegt uns ob, anschaulich zu machen und zugleich darzutun, wie er diese Versuche ohne Ordnung, nach Belieben anstellt, sie keineswegs rein vorträgt, ja, sie vielmehr nur immer vermannigfaltigt und übereinander schichtet, so dass zuletzt der beste Kopf ein solches Chaos lieber gläubig verehrt, als dass er sich zur unabsehlichen Mühe verpflichtete, jene streitenden Elemente versöhnen und ordnen zu wollen. Auch würde dieses völlig unmöglich sein, wenn man nicht vorher, wie von uns mit Sorgfalt geschehen, die Farbenphänomene in einer gewissen natürlichen Verknüpfung nacheinander aufgeführt und sich dadurch in den Stand gesetzt hätte, eine künstliche und willkürliche Stellung und Entstellung derselben anschaulicher zu machen. Wir können uns nunmehr auf einen natürlichen Vortrag sogleich beziehen und so in die größte Verwirrung und Verwicklung ein heilsames Licht verbreiten. Dieses ganz allein ist’s, wodurch die Entscheidung eines Streites möglich wird, der schon über hundert Jahre dauert und, so oft er erneuert worden, von der triumphierenden Schule als verwegen, frech, ja als lächerlich und abgeschmackt weggewiesen und unterdrückt wurde.

7.
Wie nun eine solche Hartnäckigkeit möglich war, wird sich unsern Lesern nach und nach aufklären. Newton hatte durch eine künstliche Methode seinem Werk ein dergestalt strenges Ansehn gegeben, dass Kenner der Form es bewunderten und Laien davor erstaunten. Hinzu kam noch der ehrwürdige Schein einer mathematischen Behandlung, womit er das Ganze aufzustützen wusste.

8.
An der Spitze nämlich stehen Definitionen und Axiome, welche wir künftig durchgehen werden, wenn sie unsern Lesern nicht mehr imponieren können. Sodann finden wir Propositionen, welche das immer wiederholt festsetzen, was zu beweisen wäre; Theoreme, die solche Dinge aussprechen, die niemand schauen kann; Experimente, die unter veränderten Bedingungen immer das Vorherige wiederbringen und sich mit großem Aufwand in einem ganz kleinen Kreise herumdrehen; Probleme zuletzt, die nicht zu lösen sind, wie das alles in der weiteren Ausführung umständlich darzutun ist.

9.
Im Englischen führt das Werk den Titel: Optics, or a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light. Obgleich das englische Wort optics ein etwas naiveres Ansehen haben mag als das lateinische optice und das deutsche Optik, so drückt es doch ohne Frage einen zu großen Umfang aus, den das Werk selbst nicht ausfüllt. Dieses handelt ausschließlich von Farbe, von farbigen Erscheinungen. Alles übrige, was das natürliche oder künstliche Sehen betrifft, ist beinahe ausgeschlossen, und man darf es nur in diesem Sinne mit den optischen Lektionen vergleichen, so wird man die große Masse eigentlich mathematischer Gegenstände, welche sich dort findet, vermissen.

10.
Es ist nötig, hier gleich zu Anfang diese Bemerkung zu machen; denn eben durch den Titel ist das Vorurteil entstanden, als wenn der Stoff und die Ausführung des Werkes mathematisch sei, da jener bloß physisch ist und die mathematische Behandlung nur scheinbar; ja, beim Fortschritt der Wissenschaft hat sich schon längst gezeigt, dass, weil Newton als Physiker seine Beobachtungen nicht genau anstellte, auch seine Formeln, wodurch er die Erfahrungen aussprach, unzulänglich und falsch befunden werden mussten; welches man überall, wo von der Entdeckung der achromatischen Fernröhre gehandelt wird, umständlich nachlesen kann.

11.
Diese sogenannte Optik, eigentlicher Chromatik, besteht aus drei Büchern, von welchen wir gegenwärtig nur das erste, das in zwei Teile geteilt ist, polemisch behandeln. Wir haben uns bei der Übersetzung meistens des englischen Originals in der vierten Ausgabe, London 1730, bedient, das in einem natürlichen, naiven Stil geschrieben ist. Die lateinische Übersetzung ist sehr treu und genau, wird aber durch die römische Sprachweise etwas pomphafter und dogmatischer.

12.
Da wir jedoch nur Auszüge liefern und die sämtlichen Newtonischen Tafeln nachstechen zu lassen keinen Beruf fanden, so sind wir genötigt, uns öfters auf das Werk selbst zu beziehen, welches diejenigen unserer Leser, die bei der Sache wahrhaft interessiert sind, entweder im Original oder in der Übersetzung zur Seite haben werden.

13.
Die wörtlich übersetzten Stellen, in denen der Gegner selbst spricht, haben wir mit kleinerer Schrift, unsre Bemerkungen aber mit der größeren, die unsre Leser schon gewohnt sind, abdrucken lassen.

14.
Übrigens haben wir die Sätze, in welche unsre Arbeit sich teilen ließ, mit Nummern bezeichnet. Es geschieht dieses hier, so wie im Entwurf der Farbenlehre, nicht um dem Werke einen Schein höherer Konsequenz zu geben, sondern bloß um jeden Bezug, jede Hinweisung zu erleichtern, welches dem Freunde sowohl als dem Gegner angenehm sein kann. Wenn wir künftig den Entwurf zitieren, so setzen wir ein E. vor die Nummer des Paragraphen.