Historische Betrachtungen

833.
Wenn in dem Vorhergehenden die Grundsätze der Farbenharmonie vorgetragen worden, so wird es nicht zweckwidrig sein, wenn wir das dort Ausgesprochene in Verbindung mit Erfahrungen und Beispielen nochmals wiederholen.

834.
Jene Grundsätze waren aus der menschlichen Natur und aus den anerkannten Verhältnissen der Farbenerscheinungen abgeleitet. In der Erfahrung begegnet uns manches, was jenen Grundsätzen gemäss, manches, was ihnen widersprechend ist.

835.
Naturmenschen, rohe Völker, Kinder haben grosse Neigung zur Farbe in ihrer höchsten Energie und also besonders zu dem Gelbroten. Sie haben auch eine Neigung zum Bunten. Das Bunte aber entsteht, wenn die Farben in ihrer höchsten Energie ohne harmonisches Gleichgewicht zusammengestellt worden. Findet sich aber dieses Gleichgewicht durch Instinkt oder zufällig beobachtet, so entsteht eine angenehme Wirkung. Ich erinnere mich, dass ein hessischer Offizier, der aus Amerika kam, sein Gesicht nach Art der Wilden mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art von Totalität entstand, die keine unangenehme Wirkung tat.

836.
Die Völker des südlichen Europas tragen zu Kleidern sehr lebhafte Farben. Die Seidenwaren, welche sie leichten Kaufs haben, begünstigen diese Neigung. Auch sind besonders die Frauen mit ihren lebhaftesten Miedern und Bändern immer mit der Gegend in Harmonie, indem sie nicht imstande sind, den Glanz des Himmels und der Erde zu überscheinen.

837.
Die Geschichte der Färberei belehrt uns, dass bei den Trachten der Nationen gewisse technische Bequemlichkeiten und Vorteile sehr grossen Einfluss hatten. So sieht man die Deutschen viel in Blau gehen, weil es eine dauerhafte Farbe des Tuches ist, auch in manchen Gegenden alle Landleute in grünem Zwillich, weil dieser gedachte Farbe gut annimmt. Möchte ein Reisender hierauf achten, so würden ihm bald angenehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen.

838.
Farben, wie sie Stimmungen hervorbringen, fugen sich auch zu Stimmungen und Zuständen. Lebhafte Nationen, z. B. die Franzosen, lieben die gesteigerten Farben, besonders der aktiven Seite, gemässigte, als Engländer und Deutsche, das Stroh- oder Ledergelb, wozu sie Dunkelblau tragen. Nach Würde strebende Nationen, als Italiener und Spanier, ziehen die rote Farbe ihrer Mäntel auf die passive Seite hinüber.

839.
Man bezieht bei Kleidungen den Charakter der Farbe auf den Charakter der Person. So kann man das Verhältnis der einzelnen Farben und Zusammenstellungen zu Gesichtsfarbe, Alter und Stand beobachten.

840.
Die weibliche Jugend hält auf Rosenfarb und Meergrün, das Alter auf Violett und Dunkelgrün. Die Blondine hat zu Violett und Hellgelb, die Brünette zu Blau und Gelbrot Neigung, und sämtlich mit Recht. Die römischen Kaiser waren auf den Purpur höchst eifersüchtig. Die Kleidung des chinesischen Kaisers ist Orange, mit Purpur gestickt. Zitronengelb dürfen auch seine Bedienten und die Geistlichen tragen.

84I.
Gebildete Menschen haben einige Abneigung vor Farben. Es kann dieses teils aus Schwäche des Organs, teils aus Unsicherheit des Geschmacks geschehen, die sich gern in das völlige Nichts flüchtet. Die Frauen gehen nunmehr fast durchgängig weiss und die Männer schwarz.

842.
Überhaupt aber steht hier eine Beobachtung nicht am unrechten Platze, dass der Mensch, so gern er sich auszeichnet, sich auch ebenso gern unter seinesgleichen verlieren mag.

843.
Die schwarze Farbe sollte den veneziariischen Edelmann an eine republikanische Gleichheit erinnern.

844.
Inwiefern der trübe nordische Himmel die Farben nach und nach vertrieben hat, liesse sich vielleicht auch noch untersuchen.

845.
Man ist freilich bei dem Gebrauch der ganzen Farben sehr eingeschränkt, dahingegen die beschmutzten, getöteten sogenannten Modefarben unendlich viele abweichende Grade und Schattierungen zeigen, wovon die meisten nicht ohne Anmut sind.

846.
Zu bemerken ist noch, dass die Frauenzimmer bei ganzen Farben in Gefahr kommen, eine nicht ganz lebhafte Gesichtsfarbe noch unscheinbarer zu machen; wie sie denn Überhaupt genötigt sind, sobald sie einer glänzenden Umgebung das Gleichgewicht halten sollen, ihre Gesichtsfarbe durch Schminke zu erhöhen.

847.
Hier wäre nun noch eine artige Arbeit zu machen übrig, nämlich eine Beurteilung der Uniformen, Livreen, Kokarden und andrer Abzeichen nach den oben aufgestellten Grundsätzen. Man könnte im allgemeinen sagen, dass solche Kleidungen oder Abzeichen keine harmonischen Farben haben dürfen. Die Uniformen sollten Charakter und Würde haben; die Livreen können gemein ins Auge fallend sein. An Beispielen von guter und schlechter Art würde es nicht fehlen, da der Farbenkreis eng und schon oft genug durchprobiert worden ist.