August Piening – Goethe als Dilettant

Aus: GOETHE ALS DILETTANT

von AUGUST PIENING
(Erschienen im Jahre 1911)

….Als ich dieser Tage wieder einmal den 100 jährigen Kalender zur Hand nahm, musste ich an den seligen Pfaff denken, um den vor 100 Jahren der gleiche Kampf tobte zwischen den «Gelehrten vom Fach» und den Laien. Damals liess sich der Professor und Doktor der Physik «Pfaff» also gegen den Laien Herrn von Goethe so vernehmen:
«Der Gegenstand ist zu ernst, denn es gilt die Wahrheit und die Wissenschaft. Der Richterspruch der Männer von Fach hat zwar bereits über den wissenschaftlichen Wert der neuen Farbenlehre des Herrn von Goethe entschieden, doch ist es wichtig, den Faden wieder aufzufassen, weil Herr von Goethe ein rüstiger, beharrlicher Feind ist, der mit einem solchen Eifer an Werk geht, dass es nicht leicht sein wird, ihn völlig zu entwaffnen. Diesen Triumph zu erfechten, erfordert aber gebieterisch das Interesse der Wissenschaft.
Wer eingeweiht ist, der wird empfinden, dass die wissenschaftlich strenge Darstellung der Phänomene die sicherste Grundlage für alle mühsamen Berechnungen gibt, durch welche die Wissenschaft mit voller Sicherheit weit über die Grenzen der Experimente hinaus geht! — Dann muss eine ganz eigene Empfindung in uns entstehen, wenn wir dem Herrn von Goethe in seiner Polemik gegen Newton (1643 – 1727) folgen und sehen, wie er in leidenschaftlicher Erbitterung die Waffen der Sophistik und der Sarkasmen gebraucht. Und wenn wir dann den ruhigen Ernst eines gründlichen Forschers erblicken, dann wenden wir uns mit Unbehagen von Herrn von Goethe und suchen all seine ungerechten Vorwürfe durch die Betrachtung zu vergessen. Dass Newton doch nur für Physiker von Beruf und nicht für Dilettanten geschrieben, und dass die Fachmänner, die das ganze überschauen und in den Geist der Theorie eingedrungen sind, vornehm die erbitterten Angriffe eines Dilettanten ignorieren dürfen. Im Interesse unserer Schüler aber dürfen wir nicht eher ruhen als bis dieser beharrliche Feind völlig besiegt ist.»
Nun wird der Leser knurrend denken: «Wie kann ein Mensch in einer modernen Zeitschrift solch alte Schulweisheit auskramen wollen, noch dazu über ein Thema, über das jeder gebildete Mensch sich längst wissenschaftlich festbewiesene Tatsachen zu eigen gemacht hat. Und dann diese rein wissenschaftliche, also grenzenlos öde Frage, die niemand interessiert.» – Dass für dies Problem fast kein Interesse vorhanden ist, ich weiss es. Besteht aber dies indifferente Gefühl auch nur mit einem Schein von Recht? Ich bezweifle es sehr. Eigentlich sollte kein gebildeter Mensch irgendeinem wissenschaftlichen Problem gleichgültig gegenüberstehn. Man versuche nur einmal, diesem geheimnisvollen Problem näherzukommen. Die grössten Geister der Menschheit stehen sich in ihren Meinungen schroff gegenüber. Es packt uns mit geradezu faszinierendem Interesse.
Auf der einen Seite steht der berühmte Newton mit seiner Schule, zu der sich fast ausnahmslos alle Gelehrten vom Fach bekennen. Auf der anderen Seite steht Goethe, das «Urgebirge», auf dem alle Ströme und Bäche unserer modernen Bildung und unser modernes Wissen entspringen. – Aber nicht erst durch Goethe wurde der Kampf gegen die Newtonsche Theorie geweckt, dieser Kampf ist so alt wie Newtons Licht- und Farbenlehre selbst. Aus diesem ungeheuren Gebiet möchte ich dem Leser einen kleinen Ausschnitt bieten, um zu versuchen, Interesse zu wecken für ein Problem, das zum geheimnisvollsten der Wissenschaft gehört.***
In Newtons Optik heisst der Lehrsatz l :
«Licht von verschiedener Farbe besitzt auch einen verschiedenen Grad von Brechbarkeit.»
Newtons 2. Versuch:
«Ich nahm ein längliches Stück steifen Papiers mit paralellen Seiten, teilte es durch eine Senkrechte in zwei gleiche Teile und bemalte die eine Hälfte mit roter, die andere mit blauer Farbe. Um dies steife Stück Papier wickelte ich einen dünnen Faden schwarzer Seide mehrmals herum, so dass die einzelnen Teile des Fadens wie schwarze Linien auf den Farben erschienen. Dies Papier befestigte ich auf einen schwarzen Hintergrund und stellte dicht vor diese zweifarbige Fläche eine Kerze, um das Papier stark zu beleuchten, denn der Versuch wurde bei Nacht angestellt. Dann stellte ich 6 FUSS und 2-3 Zoll von dem Papier eine 4 1/4 Zoll fassende Linse auf, und jenseits der Linse in der nähmlichen Entfernung von 6 FUSS 2-3 Zoll hielt ich einen weissen Schirm, um so ein Bild des farbigen Papiers auf den Schirm zu projizieren. Sah ich nun deutlich die schwarzen Linien auf dem roten Papier, so waren die schwarzen Linien auf dem blauen Papier undeutlich. Kam ich mit dem Schirm der Linse cirka 1 1/2 Zoll näher, so sah ich scharf die schwarzen Linien auf dem blauen Papier. Jetzt waren sie auf dem roten Papier verschwommen. Mithin wurde bei gleichem Einfall des Blau und Rot auf die Linse, das Blau durch diese so viel stärker gebrochen, dass es um 1 1/2 Zoll näher konvergierte; also ist das Blau stärker brechbar. Was zu beweisen war.»
Soweit Newton. Die hier so bestimmt behaupteten Resultate bestreitet Goethe aber auf das allerentschiedenste. Die Fachleute, die diesen 2. Versuch «nachgeprüft» haben, fanden genau das, was Newton behauptet, und diese «Fachleute» verstiegen sich dann gewöhnlich zu dem Urteil, «dass Goethe die Newtonschen Experimente gar nicht verstanden habe.»
Hier möchte ich wörtlich eine Stelle aus Goethes Polemik anführen:

«Ein jedes von Kerzen erleuchtedes Bild zeigt sich weniger deutlich, als es bei Sonnenschein geschehen würde, und ein solches von Kerzen erleuchtedes Bild soll hier gar noch durch eine Linse gehen, soll ein Abbild hergeben, das deutlich genau sei, um eine bedeutende Theorie darauf zu gründen. Wir haben zwar bemerkt, dass man Schwarz auf Menigrot schon einigermassen sieht, wenn Schwarz auf Indigoblau noch undeutlich zu sehen ist, dass es aber für das Abbild eine Stelle geben könnte, wo Schwarz auf Blau deutlich, das Schwarz auf Menigrot aber undeutlich sei, davon haben wir keine Spur entdecken können, und wir müssen also die Newtonische Assertion bloss als eine beliebige, aus dem vorgefassten Vorurteil entsprungene, bloss mit den Augen des Geistes gesehene Erscheinung halten und angeben. Da der Apparat leicht ist und die Versuche keine Umstände erfordern so sind andere vielleicht glücklicher, etwas zu entdecken, was wenigstens zu des Beobachters Entschuldigung dienen könne.»
Dr. C.H. Pfaff, der meines Wissens die erste grössere Arbeit gegen Goethe herausgab, ist der obigen Aufforderung Goethes mit «fachmännischen Freunden» gefolgt und hat den 2. Versuch Newtons oft wiederholt. Er schreibt:

«Wir haben diesen Versuch aufs neue selbst angestellt. Aus deren Resultaten ergab sich aber die vollkommenste Bestätigung der Newtonischen Behauptungen. War das schwarze Bild auf rotem Grund scharf und bestimmt, dann war das schwarze Bild auf blauem Grunde unbestimmt, gleichsam mit einem Nebenbilde überstrahlt, und wir mussten mit der Tafel etwas um einen halben Zoll der Linse näher rücken, um das scharf begrenzte Bild auf blauem Grunde zu erhalten, dann erschien aber das schwarze Bild auf rotem Grunde undeutlich und unbestimmt, wie mit einem Nebenbilde überstrahlt.»
Wenn Dr. Pfaff und seine Freunde dies nun wirklich «gesehen» haben, dann bleibt mir dafür keine andere Erklärung, wie die, für das «Gesicht» jener Hirtin, die wiederholt in der Grotte zu Lourdes die Mutter Gottes «gesehen» hat.
Auch ich habe jenen 2. Versuch oft wiederholt und habe nie!! etwas anderes gefunden als das, was Goethe gesehen hat. Eigentlich noch weniger, denn mit den heutigen Apparaten ist der Versuch viel leichter – spielend leicht – und mit absoluter Schärfe und Unumstösslichkeit von jedem Menschen mit gesunden Augen zu wiederholen, und ich habe nie gefunden, dass die schwarzen Bilder auf Rot eher zu sehen waren wie auf Blau.
Wenn beide Zeichen auf den farbigen Feldern noch verschwommen sind, dann sieht das kritiklose Auge wohl die schwarzen Zeichen auf Rot deutlicher wie auf Blau, aber nicht schärfer!
Man nehme doch einmal einen gewöhnlichen photographischen Apparat und mache den 2. Versuch mitten im hellsten Sonnenschein peinlich genau nach Newtons Vorschrift. Durch den modernen Apparat haben wir eine ungeheuer bequeme und sichere Handhabe, jene farbigen Bilder auf das allerschärfste einzustellen. Mit einer Präzisität, dass auch nicht der leiseste Zweifel übrig bleibt. Das Resultat wird für jedes gesunde Auge sein, dass Goethe hier völlig im Recht ist. Ich betone immer: «Ein gesundes, scharfes Auge», denn das ist in diesem Falle mehr wert, wie der klügste mathematische Kopf…. Sollte ein Fachmann so liebenswürdig sein, hierauf zu antworten, dann möchte ich nur dringend bitten, völlig beim 2. Versuch zu bleiben und nicht durch die modernen Errungenschaften der Wissenschaft wie: Spektralanalyse, Interferenz, Beugung usw. die Frage zu verwirren, denn diese haben mit dem 2. Newtonischen Versuch und Goethes Polemik nicht das Geringste gemein. Für die wissenschaftliche Widerlegung würde ich nicht – wie ein liberaler Theologe – 100 Mark zahlen, sondern ich würde gern öffentlich meinen Irrtum bekennen, wenn ich dafür nur die leidenschaftlich gesuchte Wahrheit erhalte!
«Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen, tierischen Hilfsorganan ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Licht fürs Licht, damit das innere Licht dem äusseren entgegen trete.» So spricht Goethe in grossartiger Vorausahnung der späteren Entwickelungstheorie. Das ist für einen Fachmann der Physik natürlich «nur» poetisch und nicht mathematisch-physikalisch; trotsdem aber für mich von tiefgründiger, prophetischer Weisheit.
Wenn Prof. Weinel sagt: «Dass Jesus seine Gottessehnsucht gestillt hat, und Jesus für ihn unüberbietbar ist», so nehme ich keinen Anstand zu behaupten, dass jene Worte Boysens: «Goethe war das vollkommenste von der ganzen Geschichte aufzuweisende Beispiel von einem Menschen, welcher zur vollsten Reife intellektueller Mannhaftigkeit heranwuchs! Sein Grundgedanke und die treibende Kraft seines ganzen Lebens, war das Verlangen nach voller und ungetrübter Entfaltung und Betätigung der ganzen Menschennatur, das Ideal reinen und freien Menschentums auf dem Grunde vollendeter, harmonischer Bitdung», mir aus tiefster Seele gesprochen sind. Ich nehme aber auch keinen Anstand zu behaupten, dass jene lächerliche Rektoratsrede des berühmten «Du Bois Reymond», die in dem Urteil gipfelte: («es lässt sich nicht verhehlen, dass die Wissenschaft auch ohne Goethe so weit wäre wie sie ist, ja die deutsche Wissenschaft weiter. Dass die Farbenlehre eine Schrulle, an die Goethe, wie überhaupt an seine naturwissenschaftlichen Schriften, bedauerlicher Weise viel Zeit verschwendete»,) keine Blasphemie ist, wie ein edler Goethe-Verehrer sagte, sondern die dreiste Anmassung eines dünkelhaften Gelehrten. Ich bin der Überzeugung, dass 1000 «Du Bios Raymonds» federleicht wiegen gegen den einen Goethe, und dass sein «Faust» und die Perlen seiner Lyrik schwerer wiegen, mehr für die Kultur der Menschheit bedeuten, wie alle «Gelehrte vom Fach.» Trots mancherlei Irrungen, die das Werk enthält – denn auch Goethe war nicht imstande, den «Gordischen Knoten» zu lösen, – habe ich immer mit Liebe und Verehrung das «Lebenswerk» unseres grössten Denkers und Dichters zur Hand genommen, und reichste Anregung daraus geschöpft. –
Wenn ich nun den zweiten Versuch Newtons zuerst dem Leser vorführte, so geschah es aus dem Grunde, weil gerade dieser Versuch etwas so handgreiflich Unwahres zeigt, dass auch nicht die geringste Vorbildung dazu gehört, diesen einzigartigen Irrtum sofort zu erkennen. Um nun aber ganz das Absurde des zweiten Versuchs zu erkennen, nehme man einmal farbige Bilder auf farbigem Grunde, dann wird dieser Versuch und die daraus gezogene Folgerung ganz lächerlich, denn ein rotes Bild auf blauem Grunde könnte niemals erscheinen und umgekehrt, denn wenn es die rote Grenze beliebte, deutlich zu werden, so hätte die blaue keine Lust, und wenn diese sich endlich dazu bequemte, so wäre es jener nicht gelegen. Projiziere ich aber diese farbigen Bilder auf farbigem Grunde auf die Mattscheibe, so sieht wieder jedes gesunde Auge eine absolut gleichartige Schärfe der Bilder bei gleicher Entfernung. Bei aller Anstrengung des Denkens sucht man vergeblich, sich dieses Rätsel fachmännischer Irrung zu erklären. Es gibt zum Schluss nur eine Lösung. Auch die grössten Gelehrten sehen mitunter die Mutter Gottes in der Grotte zu Lourdes.
Newtons erster Versuch: Er nimmt das zweifarbige Papier, das wir aus dem zweiten Versuch kennen, befestigt dies wieder horizontal auf einen schwarzen Hintergrund, aber ohne die schwarzen Seidenfäden, und betrachtet es dann durch ein Prisma mit dem brechenden Winkel nach unten. Newton fand, dass die blaue Hälfte tiefer gerückt war, wie die rote. Nahm er den brechenden Winkel nach oben, dann war die blaue Hälfte höher gehoben. «Es erfährt also in beiden Fällen das von der blauen Papierhälfte durch das Prisma in das Auge gelangende Licht unter sonst gleichen Umständen eine stärkere Brechung, als das von der roten Hälfte kommende, und ist folglich stärker brechbar.»
Ohne nun über den Wert oder Unwert dieser beiden Versuche zu urteilen, darf man das eine doch wohl ruhig behaupten: Dass nämlich die Überzeugung von der verschiedenen Brechbarkeit dieser roten und blauen Lichter nur durch einfachste, primitivste Anschauung gewonnen wurde, und dass weder feine noch grobe mathematische Rechenkunst notwendig ist, diesen Beweis zu bringen. Der erst Beweis aber wird dem vorurteilslosen Leser schon sagen, dass Newton an den zweiten Versuch bereits mit einer gewissen Selbst-Suggestion heranging, denn sonst wäre es unmöglich gewesen, die mitgeteilten Resultate aus dem zweiten Versuch zu konstruieren.
Jedes helle Bild zeigt, durch das Prisma betrachtet, ober den gelbroten Saum, unten den blau-violetten. (Bei allen Versuchen den brechenden Winkel des Prismas stets nach unten gerichtet gedacht).
Bei dunklen Bildern auf hellem Grund zeigen sich die farbigen Säume stets umgekehrt. Blau oben, Rot unten. Es ist wohl nun jedem einleuchtend, dass ein roter Saum sich oben mit einem roten Bilde vorzüglich verbindet, der blaue Saum unten am roten Bilde aber verkümmert. Umgekehrt ist die Erscheinung am blauen Bilde, und nur dadurch allein ist die Erscheinung bedingt, die den Eindruck macht, als wäre das parallele Band zerrissen und die blaue Hälfte weiter nach unten gerückt. Von den Fachleuten wird diese unsere Erklärung allerdings mitleidig belächelt. Ein scharfes Auge wird aber vor allen Dingen folgendes beim ersten Newtonschen Versuch erkennen: Der rote Saum oben am roten Bilde ist anders nuanciert, heller, leuchtender und lasierend. Am oberen Rande des blauen Bildes aber sehen wir deutlich eine schmutzig-schwarzgrüne Farbe, die für den oberflächlichen Beobachter allerdings nicht bemerkbar sein kann und so den Eindruck erzeugt, dass hier nur die Schwärze des Hintergrundes zu sehen ist. Unten am blau-roten Papier ist es natürlich umgekehrt.
Bei diesem Versuch steht Meinung gegen Meinung und man kann leider nicht den Fachmann beim Ohr nehmen und ihn direkt mit der Nase darauf stossen und ihn zwingen, die Wahrheit zu erkennen. Aber auch hier ist es nicht schwer, die Wahrheit zu finden, wenn man nur den redlichen Willen dazu hat. Man wiederhole nun einmal den ersten Versuch Newtons wie folgt. Der Karton wird zur Hälfte hellrot, die andere Hälfte dunkelrot bemalt und so auf einen Hintergrund von hell- und dunkelroter Farbe befestigt, dass die hellrote Hälfte auf dunkelrotem, und die dunkelrote Hälfte auf hellrotem Grunde liegt. Nun haben wir ein helles Bild auf dunklem, und ein dunkles Bild auf hellem Grunde. Um mit den Newtonianern zu reden, haben wir nun sogar «homogene Lichter» aus der Klasse Rot. Nach diesem Gesetz darf jetzt überhaupt keine verschiedene Brechbarkeit möglich sein. Sehen wir dieses Bild nun aber durch ein Prisma an, so ist der Kartonstreifen, der jetzt nur mit zwei verschiedenen Nuancen von Rot bemalt ist, genau so zerrissen, so verschieden gebrochen, wie der blau-rot bemalte Streifen. Das Resultat ist nur allein mit der Goetheschen Anschauung zu erklären.
Über den ersten Versuch Newtons urteilt Professor Oten im Anfang des 19. Jahrhunderts mit den harten aber gerechten Worten: «Dass die Art des ersten Newtonschen Versuches ein Verstoss sei gegen die ersten Regeln auch der gemeinen Experimentierkunst.» Dr.Pfaff aber, der sich nicht genug tun kann, mitleidig über Goethes Dilettantismus zu lächeln; Pfaff erklärt sich bereit, diesen Versuch auf eine Art anzustellen, dass über die Wahrheit der Newtonschen Anschauung nicht der leiseste Zweifel bleiben soll.» Pfaff nimmt eine geschwärzt Nadel und fährt damit an der oberen Kante des blau-roten Bandes entlang, während er dabei das Band durch das Prisma betrachtet. (Achtung, lieber Leser!) «Die Nadel fällt gleichsam in dem Augenblick, in welchem sie den Rand des roten Vierecks verlässt und zum Rand des blauen übergeht, in eine Vertiefung hinab, als wenn man die Nadel an einem zickzackförmigen Rand entlang führt.» Jetzt möchte ich am liebsten einmal meinem Herzen Luft machen und mit Professor Weinel rufen:
«Diese Unkenntnis schreit zum Himmel!» Schon die unpräzise Art, wie Pfaff den Versuch ausführt, kann nicht strenge genug verurteilt werden, denn die Bewegung der Nadel fordert ja geradezu eine Augentäuschung heraus. Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch imstande ist, mit dem Prisma vor den Augen, diese Bewegung glatt und sicher durchzuführen. Ich nahm zwei gleiche geschwärzte Nadeln und steckte diese leicht und in gleicher Tiefe auf die Ränder der farbigen Vierecke. Betrachtete ich diese nun durch ein Prisma, so sah ich sofort, dass die Nadel am roten Viereck erhöht schien, weil der rote Saum über die Nadel sich hinzog und dadurch die Spitze zudeckte, während der für das blaue Viereck heteregene rote Saum sich nicht entwickeln konnte und klar die Nadel bis zur Spitze frei sehen liess. Dadurch allein! entstand die verblüffende Täuschung für den oberflächlichen Fachmann Pfaff. Wer gute Augen hat und kein voreingenommener kluger mathematischer Kopf ist, sieht bald durch den deckenden roten Saum die Nadel hindurchscheinen. Wer nun weniger scharfe Augen hat, mache den Versuch im Sonnenlicht so, dass die Nadeln ihre Schatten über die farbigen Vierecke werfen, sofort wird jedem die Täuschung zum Bewusstsein kommen. Man kann auch den brechenden Winkel nach oben richten, dann müsste die Nadel gleichfalls nach oben rutschen. Da aber der jetzt sich bildende blaue Saum am oberen Rande des blauen Vierecks lasierend wirkt, so tut uns die Nadel dieses Mal den Gefallen nicht, nach oben zu fliegen, sondern man sieht deutlich im blauen Viereck die Nadel stehen, und nicht mehr am Rande. Im Viereck steht die Nadel aber nur für den oberflächlichen Beschauer. Scharfe Augen sehen sofort, dass die Nadel noch immer am Rande steht, und dass die Täuschung nur durch den blauen Saum hervorgerufen wird, der aber deutlich erkennbar ist an der anderen Nuancierung, und nicht identisch ist mit dem blauen Viereck. Noch auffälliger verrät sich die Täuschung, wenn man ein hellblaues Viereck anstatt eines dunklen nimmt. Mit gleicher «Gründlichkeit» beseitigte Pfaff den Einwand, den schon «Antonius Lucas» – ein Zeitgenosse Newtons -gegen den ersten Versuch erhob.
Lucas bestritt die verschiedene Brechbarkeit und behauptete: Wenn man zwei Stäbchen, das eine blau, das andere rot gefärbt, horizontal auf den Boden eines Kastens legt, dann müsse, wenn man in diesen Kasten Wasser giesst, das blaue Stäbchen, da es doch nach Newton brechbarer sei, eher über dem Rande dem Beobachter sichtbar werden, als das Rote. Das sei aber nicht der Fall, sondern beide Farben kämen gleichzeitig über dem Rande dem Beschauer zu Gesicht. Er hielt dies für einen unumstösslichen Gegenbeweis gegen Newtons Theorie. Goethe greift diesen Versuch mit Behagen auf, modifiziert und vermannigfaltigt ihn und kommt stets zu dem negativen Resultat des Lucas. Der strengwissenschaftliche Pfaff hat diesen Versuch widerholt und auch so!! abgeändert, dass er erst den Kasten mit Wasser füllte und dann zurück ging, um zu sehen, welche Farbe zuerst verschwand. Das Resultat war für Paff und seine Freunde unsicher. Meistens jedoch fiel das Urteil zugunsten der Lehre Newtons aus. So wörtlich zu lesen in Pfaffs Polemik gegen Goethe § 89.
Warum der «strengwissenschaftliche» Fachmann den Versuch so merkwürdig abändert, dass er erst den Kasten mit Wasser füllt und dann zurückschreitet, das ist mir als Laie völlig unverständlich. Hat der Fachmann denn nicht begriffen, dass er durch die schreitende Bewegung eine schwankende Augenaxenstellung bedingt, die direkt eine Augentäuschung herausfordert?? Oder war es Absicht von Paff, dieses «schwankende Resultat» herbeizuführen? Abgesehen von dieser leichtfertigen Art des Fachmannes, womit Pfaff gut geleitete Versuche in augentrügerische abändert, ist mir besonders wichtig, dass nach Pfaff auch der Versuch von Lucas die Richtigkeit der Newtonschen Theorie beweisen soll, und dass die blaue Farbe tatsächlich zuerst über den Rand steigen muss. Ich habe diese Versuche viele Male, aber bedeutend präziser wie der Fachmann Pfaff wiederholt, aber ich habe nie etwas anderes gesehen als das, was Lucas und Goethe gesehen haben. Wäre Pfaff im Recht, dann möchte ich wissen, wie ein weisser Stab sich verhalten soll. Der müsste doch in Farben zerlegt über den Rand steigen! Wer Augen hat, der versuche etwas ähnliches zu finden, er wird sich vergeblich bemühen. Ich wüsste wirklich nicht, wann und wo man dem Fachmann Pfaff mit grösserem Recht den Vorwurf zurückgeben könnte, den er Goethe § 118 macht:
«Sollte sich ihm (Goethe) wirklich etwas von der Art dargeboten haben,so war es gewiss auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, der erste Augenschein, bei welchem er stehen blieb.»
Helmhoitz, einer der grössten «Gelehrten vom Fach», sagt in einem Aufsatz gegen Goethe:
«Er spricht zwar wiederholt seine Nichtbefriedigung durch die Newton’sche Theorie aus, aber ohne dass er auch nur ein einziges Mal bestimmt bezeichnet, worin denn das Ungenügende der Erklährung eigentlich liegen soll. Den Lesenden, der sich gründlich seine Farbenlehre klar zu machen sucht, überschleicht schliesslich ein unheimliches, ängstliches Gefühl, er hört fortdauernd einen Mann von den seltensten geistigen Fähigkeiten leidenschaftlich versichern, hier sei eine augenfällige Absurdität verborgen. Der Leser sucht und sucht, und da er beim besten Willen keine solche finden kann, nicht einmal einen Schein davon, wird ihm endlich zu Mute, als wären seine eigenen Gedanken wie festgenagelt.»
Ich glaube, wenn ein Leser nur das, was Goethe gegen den ersten und zweiten Versuch Newtons zu sagen hat, objektiv beurteilt, dann kann er sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn er dagegen hält, was ich von Helmhoitz anführe.
An vielem Lachen soll man bekanntlich einen rechten Narren erkennen, – siehe das viele Lachen auf der rechten Seite in unserem «Hohen Hause», – deshalb empfehle ich aber doch immer wieder ein befreiendes Lachen gegen gewisse Anwürfe unserer Fachgelehrten. Zwar hilft dies nicht immer, denn wenn ich vom «Junker» Du Bois-Reymond das fachmännische Urteil lese:

«dass Goethe besser getan hätte, seinen Faust Gretchen heiraten zu lassen, sein Kind ehrlich zu machen und die Luftpumpe zu erfinden, anstatt ihn zu den Müttern in die vierte Dimension steigen zu lassen und dass Goethes Farbenlehre trotz den leidenschaftlichen Bemühungen eines langen Lebens, die totgeborene Spielerei eines autodidaktischen Dilettanten ist»,

dann regt sich allerdings die Galle und es hält schwer, die leidenschaftliche Entrüstung in objektive, höfliche Worte zu kleiden.
Als Beweis, wie leicht auch der beste Fachgelehrte sich seine Gedanken «festnageln» kann, möge ein Versuch beweisen, den ich nach Antonius Lucas wie folgt ausführte: Ich nahm einen Apparat zum Nachweis des Brechungsgesetzes. Es ist dies ein halbkreisförmiges Gefäss mit einer ebenen Wand, die aus einer matten Glasplatte gebildet ist. In der Mitte dieser Glaswand befindet sich ein feiner senkrechter durchsichtiger Spalt. Von diesem Spalt färbte ich das obere Drittel rot, das mittlere blau und das untere Drittel liess ich farblos.
Füllte ich nun das Gefäss mit Wasser und liess die Sonne durch diesen Spalt scheinen, dann hatte man an der runden Wand, die nach beiden Seiten in je 90 Grade eingeteilt war, keinen dreifach verschieden abgelenkten Lichtstrahl, auch war der farblose Teil nicht in Farben aufgelöst, sondern ich sah eine haarscharfe senkrechte Linie, die nach dem bekannten Brechungsgesetz abgelenkt war. Ich kann alle optische Hilfsmittel zur Hand nehmen und entdecke doch nicht die leiseste verschiedene Brechbarkeit.
Ich frug bei einem sehr bekannten Physiker schriftlich an, ob bei diesem Versuch sich die bekannte Brechbarkeit zeigen müsse, und bekam darauf zur Antwort ein rundes «Ja»! Ich behauptete nun in einem nächsten Brief, dass ich dieses Experiment oft mit aller Vorsicht gemacht und nie eine verschiedene Brechbarkeit hätte entdecken können. Darauf erhielt ich die Antwort, dass der Versuch, sollte er gelingen, allerdings ungeheuer vorsichtig und mit den feinsten Apparaten gemacht werden müsse. Da war es auch mir plötzlich, als wären die Gedanken des Herrn Professors wie «festgenagelt».
In dem schon angeführten Aufsatz von Helmhoitz sagt dieser:

«Ich weiss nicht, wie jemand leugnen kann, dass die Theorie in sich vollständig konsequent ist, dass ihre Annahmen, wenn man sie einmal zugibt, die Tatsachen vollständig und sogar einfach erklären.»
Ja, die Theorie Newtons erklärt alles wunderbar einfach! Warum ist die Rose rot? Weil sie alle Lichtstrahlen absorbiert und nur die roten reflektiert. Warum ist dieses Glas blau? Weil es die blauen Strahlen teils durchlässt, teils reflektiert und alle übrigen absorbiert. Warum aber erscheint jener Körper bei reflektiertem Licht orange und bei durchscheinendem Licht blau? Weil er die blauen Strahlen durchlässt, die orange Strahlen reflektiert und alle anderen absorbiert. Warum sehe ich Gelb, wenn ich eine violette Fläche fixiert habe? Weil dann das Auge durch Übermüdung für die violetten Strahlen nicht mehr empfänglich ist und nun, nach Abzug von Violett, den «Rest der verschiedenen Lichtstrahlen» sieht.
Bravo, bravo, höchst einfach und anschaulich! Danach ist also dieses Gelb das Produkt der, nach Ausscheidung des Violetten übrig bleibenden 6 homogenen Lichter, Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Indigo. Daraus Gelb zu brauen probiere man doch einmal! Will man sich von der Absurdität dieser Behauptung überzeugen, dann braucht man nach dem Violett nur eine blaue Fläche anzuschauen und man wird ein reines Grün sehen. Ein bündiger Beweis, dass man nicht den Rest des zusammengestzten Lichtes sieht, sondern dass das physiologische Spektrum dem blauen Grunde etwas hinzufügt. Wenn ich die blaue Fläche dem Auge näher bringe, oder davon entferne, so wird die geschaute grüne Fläche bald kleiner, bald gösser, genau nach dem Gesetz der Ausbreitung des Lichtes. Trotzdem findet man aber immer noch in den simpelsten, wie auch hervorragensten Werken der physikalischen Optik diese kindliche Weisheit heruntergeleiert. Mit Empörung habe ich oft gelesen, dass das Wesen der Komplementärfarben zuerst und meisterhaft von dem grossen Helmhoitz dargestellt sei. Das ist mit Verlaub, nicht wahr. Helmhoitz Erklärung ist auch nicht richtig. Die Komplementärfarbe ergibt sich niemals aus dem Rest der übrigen 6 homogenen Lichter. Die beste Erklärung wurde im Gegenteil von dem Laien Goethe und Schopenhauer geliefert, und wenn die Fachgelehrten nur im geringsten objektiv zu urteilen im Stande wären, dann müsste es mit Fug und Recht das Goethische Gesetz genannt werden.
Physiologische oder geforderte Farben nannte Goethe diese Klasse von Farben. Goethe war der erste, der bewies, dass diese Erscheinung nicht bedingt ist durch Übermüdung oder durch einen krankhaften Reizzustand des Auges, sondern durch die natürliche Tätigkeit der Retina. Rot fordert Grün, Orange fordert Blau und Gelb fordert Violett, und umgekehrt.
Diese komplentären Farbenpaare geben chemisch gemischt ein schmutziges Grauschwarz, aber optisch gemischt Weiss. Zwar sollen nach den Fachleuten die 7 Farben des Spektrums dazu gehören, um Weiss zu mischen; dass 2 Farben aber auch schon diese Arbeit verrichten, das bringt die Fachmänner weiter nicht aus ihrer sicheren Ruhe. Als die Fachwissenschaft nach Schopenhauer anfing, mit den Komplementärfarben sich eingehender zu beschäftigen, fand sie, dass auch schon 2 Farben sich zu Weiss ergänzen. Seit der Zeit steht in allen fachwissenschaftlichen Werken zu lesen: «Es ist keineswegs das Zusammenwirken «aller» Spektralfarben notwendig, um Weiss hervorzubringen, es kann auch schon durch die Vereinigung von 2 Farben Weiss entstehen.» Mit grosser Vorliebe wird behauptet, dass Blau und Gelb sich optisch zu weiss ergänzen. Dies ist natürlich ein geradezu rätselhafter Irrtum, denn es sind nicht Blau und Gelb, sondern Blau und Orange, die sich optisch zu Weiss ergänzen. Die Manie der Wissenschaft, diese Tatsache zu bestreiten, entspringt wohl nur daraus, dass man Goethe auf alle Fälle ins Unrecht zu setzen suchte.
Als Goethe den weissen Kreis auf schwarzem Grunde durch ein Prisma betrachtete, sah er oben den violett-blauen, unten den gelb-roten Saum und in der Mitte weiss. Trat er nun zurück, so verbreiteten sich die farbigen Säume über den ganzen Kreis und Gelb verband sich mit dem oberen Blau zu Grün. Die Fachleute lächelten höhnisch und behaupteten, die weisse Mitte entstehe durch die Übereinanderlagerung der noch nicht gänzlich getrennten Farben. Deshalb sei das homogene Grün erst zum Schluss im Stande sich zu offenbaren.
Nun nahm Goethe einen schwarzen Kreis auf hellem Grunde. Er sah jetzt Blau-Violett oben, Rot-Gelb unten und wies nach, dass hier die farbigen Ränder in gleicher Weise sich ausdehnen und Violett mit dem roten Saum sich zu Purpur mischen. Dies war tatsächlich nicht zu leugnen, aber deshalb blieb man doch bei dem homogenen Grün.
Die unbequeme Tatsache, dass Gelb und Blau chemisch gemischt Grün geben, wird gar einfach damit erklärt, dass Gelb die blauen und violetten Strahlen, Blau aber die gelben und roten absorbiert, so dass nun die Mischung der beiden Farbkörper nur noch die grünen Strahlen reflektieren kann.
Ich weiss nicht, was ich bei dieser Erklärung mehr bewundern soll, die «festgenagelten Gedanken», oder die, wie Schopenhauer sagt, «knollige Absurdität».
Hier ist die Gelegenheit, über die «berühmte weisse Mitte» im Spektrum etwas zu sagen. Lasse ich durch eine runde Öffnung das Licht auf ein Prisma fallen, so werden sich auf dem Schirm nur oben und unten farbige Ränder zeigen, wenn der Schirm in ziemlicher Nähe des Prismas aufgestellt wird. Erst wenn ich den Schirm entferne, zeigt sich zuletzt das Grün. Dann, so behauptet die Wissenschaft, haben sich die homogenen Lichter soweit fächerartig ausgebreitet, dass sich die sämtlichen Farben des gespaltenen Lichts offenbaren.
Mit dieser Erklärung der Fachwissenschaft wird Goethe bis auf den heutigen Tag abgefertigt.
Wenn ich ein Prisma dicht vor einer weissen Fläche befestige, dann kann ich zurücktreten, so weit ich will, um dem Licht, das durchs Prisma geht, völlig Gelegenheit zu geben, sich auszubreiten, um seine farbigen Bestandteile zu offenbaren, dann tut das Licht uns leider diesen Gefallen nicht, Die Fläche ist und bleibt farblos.
Habe ich das Prisma dicht vor den Augen und stehe in der Nähe der weissen Fläche, dann sehe ich nur schmale farbige Säume. Trete ich dann aber langsam zurück, ohne die Entfernung zwischen Auge und Prisma zu verändern, dann werden die Säume breiter und die Fläche wird schliesslich ganz gefärbt, ohne dass dem Licht Gelegenheit geboten wurde, sich hinter dem Prisma auszubreiten. Diese einfachen, nicht wegzudisputierenden Tatsachen, machen die tiefgründigen Erklärungen über die «weisse Mitte» zur handgreiflichen Absurdität….
Ein anderer Gegner Newtons machte folgenden Versuch: Das blau-rote Rechteck wurde nicht horizontal, sondern senkrecht so auf den schwarzen Grund befestigt, dass das blaue unten und das rote Rechteck sich oben befand. Betrachte ich dies durch ein Prisma, dann musste das blaue Viereck sich vom roten lösen und es müsste ein leerer schwarzer Raum zwischen den Flächen entstehen, wenn Newton in Recht sei. Der Rezensent bestritt dies energisch. Pfaff wiederholte auch diesen Versuch und konstatiert § 86 tatsächlich:

«Geschieht die Brechung abwärts, so erscheint da, wo Rot und Blau aneinandergrenzen, ein schwarzer Streifen, ein dunkler, farbloser Zwischenraum, wie wenn beide Vierecke von einander getrennt wären.»

Hier muss ich mich wieder an die wenden, die ein paar gesunde, scharfe Augen besitzen. Diesen wird es ein leichtes sein, wenn sie den Versuch im hellsten Sonnenschein wiederholen, zu sehen, dass Pfaffs Erklärungen nur zu verstehen sind, wenn man fanatischen Selbstbetrug annimmt. Denn es gibt wohl kaum so schwache Augen, dass man nicht sehe, was dort in Wirklichkeit vor sich geht. Der leere schwarze Zwischenraum ist weiter nichts, als der schmutzig-graugrüne Saum, den ein Auge, blöd durch Voreingenommenheit, für den schwarzen Hintergrund hält. Wenn das wahr wäre, dann brauchte man nur das farbige Band auf einen weissen Hintergrund zu halten, dann müsste der jetzt entstehende weisse Spalt doch erscheinen, wenn auch in «Farben zerlegt». Ja, der Laienverstand der Fachgelehrten ist wirklich himmelschreiend verbohrt.
Fast sämtliche, von den vielen Versuchen Newtons sind auf diese ersten zwei zurückzuführen. Wer gesunde Augen hat, und Interesse an dieser beispiellosen Verirrung der Wissenschaft, der nehme die Werke der Gegner Newtons zur Hand und lerne sehen und selbst denken.
Diese Arbeit wird dann nicht vergebens getan sein, sie wird zu einer köstlichen Fundgrube individueller Denkfähigkeit, sie macht uns freier auf allen Gebieten des menschlichen Wissens den Fachleuten gegenüber.
Endet diese Tätigkeit dann auch bei der Erkenntnis, dass wir weiter denn je davon entfernt sind, das Geheimnis von Licht und Farbe zu ergründen, so wird das uns nicht mutlos machen, sondern in stolzer Bescheidenheit erst ganz mit der wahren Liebe zur Wissenschaft erfüllen.
Goethe aber wird es mit seiner Farbenlehre ergehen, wie den bahnbrechenden Männern der Naturheilkunde im Kampf gegen die veralterte Allopathie, Der heutige Allopath ist schon ohne sein Wissen völliger «Wasserdoktor» geworden, und dennoch, wenn man die Naturheilkunde zur Sprache bringt, dann kann er nicht verächtlich genug über die verdammten Kurpfuscher sprechen.
Wer nun aber behauptet, dass Goethe der Wissenschaft indirekt wohl viel gegeben, dass die moderne Optik seine Farbenlehre aber unbestreitbar als Irrtum aufdeckt, dem antworte ich: das erstens der gleiche Fall bei Newton zutrifft, das zweitens Goethe der Letzte war, der seine Anschauung als fertig und vollendet anerkannt wissen wollte. Ihm war eigentlich viel wichtiger die Anerkennung seines Rechts gegen Newton. Wie nun Newtons Farbenlehre der neuesten Wissenschaft gegenüber Stand gehalten hat, davon das nächste Mal.-