209.
Wir haben in dem vorigen gesehen, dass alle Farbenerscheinung bei Gelegenheit der Refraktion darauf beruht, dass der Rand eines Bildes gegen das Bild selbst oder über den Grund gerückt, dass das Bild gleichsam über sich selbst oder über den Grund hin geführt werde. Und nun zeigt sich auch, bei vermehrter Verrückung des Bildes, die Farbenerscheinung in einem breitern Maße, und zwar bei subjektiven Versuchen, bei denen wir immer noch verweilen, unter folgenden Bedingungen.<
210.
Erstlich, wenn das Auge gegen parallele Mittel eine schiefere Richtung annimmt. Zweitens, wenn das Mittel aufhört, parallel zu sein, und einen mehr oder weniger spitzen Winkel bildet. Drittens durch das verstärkte Maß des Mittels; es sei nun, dass parallele Mittel am Volumen zunehmen, oder die Grade des spitzen Winkels verstärkt werden, doch so, dass sie keinen rechten Winkel erreichen. Viertens durch Entfernung des mit brechenden Mitteln bewaffneten Auges von dem zu verrückenden Bilde. Fünftens durch eine chemische Eigenschaft, welche dem Glase mitgeteilt, auch in demselben erhöht werden kann.
211.
Die größte Verrückung des Bildes, ohne dass desselben Gestalt bedeutend verändert werde, bringen wir durch Prismen hervor, und dies ist die Ursache, warum durch so gestaltete Gläser die Farbenerscheinung höchst mächtig werden kann. Wir wollen uns jedoch bei dem Gebrauch derselben von jenen glänzenden Erscheinungen nicht blenden lassen, vielmehr die oben festgesetzten einfachen Anfänge ruhig im Sinne behalten.
212.
Diejenige Farbe, welche bei Verrückung eines Bildes vorausgeht, ist immer die breitere, und wir nennen sie einen Saum; diejenige Farbe, welche an der Grenze zurückbleibt, ist die schmälere, und wir nennen sie einen Rand.
213.
Bewegen wir eine dunkle Grenze gegen das Helle, so geht der gelbe breitere Saum voran, und der schmälere gelbrote Rand folgt mit der Grenze. Rücken wir eine helle Grenze gegen das Dunkle, so geht der breitere violette Saum voraus und der schmälere blaue Rand folgt.
214.
Ist das Bild groß, so bleibt dessen Mitte ungefärbt. Sie ist als eine unbegrenzte Fläche anzusehen, die verrückt, aber nicht verändert wird. Ist es aber so schmal, dass unter obgedachten vier Bedingungen der gelbe Saum den blauen Rand erreichen kann, so wird die Mitte völlig durch Farben zugedeckt. Man mache diesen Versuch mit einem weißen Streifen auf schwarzem Grunde; über einem solchen werden sich die bei den Extreme bald vereinigen und das Grün erzeugen. Man erblickt alsdann folgende Reihe von Farben:Gelbrot
Gelb
Grün
Blau
Blaurot
215.
Bringt man auf weiß Papier einen schwarzen Streifen, so wird sich der violette Saum darüber hin breiten und den gelbroten Rand erreichen. Hier wird das dazwischen liegende Schwarz, so wie vorher das dazwischen liegende Weiß, aufgehoben und an seiner Stelle ein prächtig reines Rot erscheinen, das wir oft mit dem Namen Purpur bezeichnet haben. Nunmehr ist die Farbenfolge nachstehende:
Blau
Blaurot
Purpur
Gelbrot
Gelb
216.
Nach und nach können in dem ersten Falle (214) Gelb und Blau dergestalt übereinander greifen, dass diese beiden Farben sich völlig zu Grün verbin den und das farbige Bild folgendermaßen erscheint:
Gelbrot
Grün
Blaurot
Im zweiten Falle (215) sieht man unter ähnlichen Umständen nur:
Blau
Purpur
Gelb
Welche Erscheinung am schönsten sich an Fensterstäben zeigt, die einen grauen Himmel zum Hintergrunde haben.
217.
Bei allem diesem lassen wir niemals aus dem Sinne, dass diese Erscheinung nie als eine fertige, voll endete, sondern immer als eine werdende, zunehmende und in manchem Sinn bestimmbare Erscheinung anzusehen sei. Deswegen sie auch bei Negation obiger fünf Bedingungen (210) wieder nach und nach abnimmt und zuletzt völlig verschwindet.