285.
In der frühern Zeit, da man noch manches, was in der Natur regelmäßig und konstant war, für ein bloßes Abirren für zufällig hielt, gab man auf die Farben weniger acht welche bei Gelegenheit der Refraktion entstehen, und hielt sie für eine Erscheinung, die sich von besondern Nebenumständen herschreiben möchte.
286.
Nachdem man sich aber überzeugt hatte, dass diese Farbenerscheinung die Refraktion jederzeit begleite, so war es natürlich, dass man sie auch als innig und einzig mit der Refraktion verwandt ansah, und nicht anders glaubte, als dass das Maß der Farbenerscheinung sich nach dem Maße der Brechung richten und beide gleichen Schritt miteinander halten müssten.
287.
Wenn man also nicht gänzlich, doch einigermaßen, das Phänomen einer stärkeren oder schwächeren Brechung der verschiedenen Dichtigkeit der Mittel zuschrieb, wie denn auch reinere atmosphärische Luft, mit Dünsten angefüllte, Wasser, Glas nach ihren steigenden Dichtigkeiten die sogenannte Brechung, die Verrückung des Bildes vermehren: so musste man kaum zweifeln, dass auch in selbiger Maße die Farbenerscheinung sich steigern müsse, und man glaubte völlig gewiss zu sein, dass bei verschiedenen Mitteln, welche man im Gegensinne der Brechung zueinander brachte, sich, so lange Brechung vorhanden sei, die Farbe zeigen, sobald aber die Farbe verschwände, auch die Brechung aufgehoben sein müsse.
288.
In späterer Zeit hingegen ward entdeckt, dass dieses als gleich angenommene Verhältnis ungleich sei, dass zwei Mittel das Bild gleich weit verrücken, und doch sehr ungleiche Farbensäume hervorbringen können.
289.
Man fand, dass man zu jener physischen Eigenschaft, welcher man die Refraktion zuschrieb, noch eine chemische hinzu zu denken habe (210); wie wir solches künftig, wenn wir uns chemischen Rücksichten nähern, weiter auszuführen denken, so wie wir die nähern Umstände dieser wichtigen Entdeckung in der Geschichte der Farbenlehre aufzuzeichnen haben. Gegenwärtig sei Folgendes genug.
290.
Es zeigt sich bei Mitteln von gleicher oder wenigstens nahezu gleicher Brechungskraft der merkwürdige Umstand, dass ein Mehr und Weniger der Farbenerscheinung durch eine chemische Behandlung hervorgebracht werden kann; das Mehr wird nämlich durch Säuren, das Weniger durch Alkalien bestimmt. Bringt man unter eine gemeine Glasmasse Metalloxyde, so wird die Farbenerscheinung solcher Gläser, ohne dass die Refraktion merklich verändert werde, sehr erhöht. Dass das Mindere hingegen auf der alkalischen Seite liege, kann leicht vermutet werden.
291.
Diejenigen Glasarten, welche nach der Entdeckung zuerst angewendet worden, nennen die Engländer Flint- und Crownglas, und zwar gehört jenem ersten die stärkere, diesem zweiten die geringere Farbenerscheinung an.
292.
Zu unserer gegenwärtigen Darstellung bedienen wir uns dieser beiden Ausdrücke als Kunstwörter und nehmen an, dass in beiden die Refraktion gleich sei, das Flintglas aber die Farbenerscheinung um ein Drittel stärker als das Crownglas hervorbringe; wobei wir unserm Leser eine gewissermaßen symbolische Zeichnung zur Hand geben.
293.
Man denke sich auf einer schwarzen Tafel, welche hier, des bequemeren Vortrags wegen, in Kasen geteilt ist, zwischen den Parallellinien a b und c d fünf weiße Vierecke. Das Viereck Nr. 1 stehe vor dem nackten Auge unverrückt auf seinem Platz.
294.
Das Viereck Nr. z aber sei, durch ein vor das Auge gehaltenes Prisma von Crownglas g, um drei Kasen verrückt und zeige die Farbensäume in einer gewissen Breite; ferner sei das Viereck Nr. 3, durch ein Prisma von Flintglas h, gleichfalls um drei Kasen heruntergerückt, dergestalt dass es die farbigen Säume nunmehr um ein Drittel breiter als Nr. 2 zeige.
295.
Ferner stelle man sich vor, das Viereck Nr. 4 sei eben wie das Nr. 2 durch ein Prisma von Crownglas erst drei Kasen verrückt gewesen, dann sei es aber durch ein entgegengestelltes Prisma h von Flintglas wieder auf seinen vorigen Fleck, wo man es nun sieht, gehoben worden.
296.
Hier hebt sich nun die Refraktion zwar gegeneinander auf; allein da das Prisma h bei der Verrückung durch drei Kasen um ein Drittel breitere Farbensäume, als dem Prisma g eigen sind, hervorbringt, so muss, bei aufgehobener Refraktion, noch ein Überschuss von Farbensaum übrig bleiben, und zwar im Sinne der scheinbaren Bewegung, welche das Prisma h dem Bilde erteilt, und folglich umgekehrt, wie wir die Farben an den herabgerückten Nummern 2 und 3 erblicken. Dieses Überschießende der Farbe haben wir Hyperchromasie genannt, woraus sich denn die Achromasie unmittelbar folgern lässt.
297.
Denn gesetzt, es wäre das Viereck Nr. 5 von seinem ersten supponierten Platze, wie Nr. 2, durch ein Prisma von Crownglas g um drei Kasen herunter gerückt worden, so dürfte man nur den Winkel eines Prismas von Flintglas h verkleinern, solches im umgekehrten Sinne an das Prisma g anschließen, um das Viereck Nr. 5 zwei Kasen scheinbar hinauf zu heben; wobei die Hyperchromasie des vorigen Falles wegfiele, das Bild nicht ganz an seine erste Stelle gelangte und doch schon farblos erschiene. Man sieht auch an den fortpunktierten Linien der zusammengesetzten Prismen unter Nr. 5, dass ein wirkliches Prisma übrig bleibt, und also auch auf diesem Wege, sobald man sich die Linien krumm denkt, ein Okularglas entstehen kann; wodurch denn die achromatischen Ferngläser abgeleitet sind.
298.
Zu diesen Versuchen, wie wir sie hier vortragen, ist ein kleines aus drei verschiedenen Prismen zusammengesetztes Prisma, wie solche in England verfertigt werden, höchst geschickt. Hoffentlich werden künftig unsre inländischen Künstler mit diesem notwendigen Instrumente jeden Naturfreund versehen.