218.
Ehe wir nun weiter gehen, haben wir die erst gedachten ziemlich einfachen Phänomene aus dem Vorhergehenden abzuleiten, oder wenn man will, zu erklären, damit eine deutliche Einsicht in die folgen den, mehr zusammengesetzten Erscheinungen dem Liebhaber der Natur werden könne.
219.
Vor allen Dingen erinnern wir uns, dass wir im Reiche der Bilder wandeln. Beim Sehen überhaupt ist das begrenzt Gesehene immer das, worauf wir vorzüglich merken; und in dem gegenwärtigen Falle, da wir von Farbenerscheinung bei Gelegenheit der Refraktion sprechen, kommt nur das begrenzt Gesehene, kommt nur das Bild in Betrachtung.
220.
Wir können aber die Bilder überhaupt zu unsern chromatischen Darstellungen in primäre und sekundäre Bilder einteilen. Die Ausdrücke selbst bezeichnen, was wir darunter verstehen, und Nachfolgendes wird unsern Sinn noch deutlicher machen.
221.
Man kann die primären Bilder ansehen, erstlich als ursprüngliche, als Bilder, die von dem anwesenden Gegenstande in unserm Auge erregt werden, und die uns von seinem wirklichen Dasein versichern. Diesen kann man die sekundären Bilder entgegensetzen, als abgeleitete Bilder, die, wenn der Gegenstand weggenommen ist, im Auge zurückbleiben, jene Schein- und Gegenbilder, welche wir in der Lehre von physiologischen Farben umständlich abgehandelt haben.
222.
Man kann die primären Bilder zweitens auch als direkte Bilder ansehen, welche wie jene ursprünglichen unmittelbar von dem Gegenstande zu unserm Auge gelangen. Diesen kann man die sekundären als indirekte Bilder entgegensetzen, welche erst von einer spiegelnden Fläche aus der zweiten Hand uns überliefert werden. Es sind dieses die katoptrischen Bilder, welche auch in gewissen Fällen zu Doppelbildern werden können.
223.
Wenn nämlich der spiegelnde Körper durch sichtig ist und zwei hintereinander liegende parallele Flächen hat, so kann von jeder Fläche ein Bild ins Auge kommen, und so entstehen Doppelbilder, insofern das obere Bild das untere nicht ganz deckt, welches auf mehr als eine Weise der Fall ist. Man halte eine Spielkarte nahe vor einen Spiegel. Man wird alsdann zuerst das starke lebhafte Bild der Karte erscheinen sehen; allein den Rand des ganzen sowohl als jedes einzelnen darauf befindlichen Bildes mit einem Saume verbrämt, welcher der Anfang des zweiten Bildes ist. Diese Wirkung ist bei verschiedenen Spiegeln, nach Verschiedenheit der Stärke des Glases und nach vorgekommenen Zufälligkeiten beim Schleifen, gleichfalls verschieden. Tritt man mit einer weißen Weste auf schwarzen Unterkleidern vor manchen Spiegel, so erscheint der Saum sehr stark, wobei man auch sehr deutlich die Doppelbilder der Metallknöpfe auf dunklem Tuche erkennen kann.
224.
Wer sich mit andern, von uns früher angedeuteten Versuchen (80) schon bekannt gemacht hat, der wird sich auch hier eher zurecht finden. Die Fensterstäbe, von Glastafeln zurückgeworfen, zeigen sich doppelt und lassen sich bei mehrerer Stärke der Tafel und vergrößertem Zurückwerfungswinkel gegen das Auge völlig trennen. So zeigt auch ein Gefäß voll Wasser mit flachem spiegelndem Boden die ihm vorgehaltnen Gegenstände doppelt, und nach Verhältnis mehr oder weniger voneinander getrennt; wobei zu bemerken ist, dass da, wo beide Bilder einander decken, eigentlich das vollkommen lebhafte Bild entsteht, wo es aber auseinander tritt und doppelt wird, sich nun mehr schwache, durchscheinende und gespensterhafte Bilder zeigen.
225.
Will man wissen, welches das untere und welches das obere Bild sei, so nehme man gefärbte Mittel, da denn ein helles Bild, das von der untern Fläche zurückgeworfen wird, die Farbe des Mittels, das aber von der obern zurückgeworfen wird, die geforderte Farbe hat. Umgekehrt ist es mit dunklen Bildern; weswegen man auch hier schwarze und weiße Tafeln sehr wohl brauchen kann. Wie leicht die Doppelbilder sich Farbe mitteilen lassen, Farbe hervorrufen, wird auch hier wieder auffallend sein.
226.
Drittens kann man die primären Bilder auch als Hauptbilder ansehen und ihnen die sekundären als Nebenbilder gleichsam anfügen. Ein solches Nebenbild ist eine Art von Doppelbild, nur dass es sich von dem Hauptbilde nicht trennen lässt, ob es sich gleich immer von demselben zu entfernen strebt. Von solchen ist nun bei den prismatischen Erscheinungen die Rede.
227.
Das unbegrenzt durch Refraktion Gesehene zeigt keine Farbenerscheinung (195). Das Gesehene muss begrenzt sein. Es wird daher ein Bild gefordert; dieses Bild wird durch Refraktion verrückt, aber nicht vollkommen, nicht rein, nicht scharf verrückt, sondern unvollkommen, dergestalt, dass ein Nebenbild entstehet.
228.
Bei einer jeden Erscheinung der Natur, besonders aber bei einer bedeutenden, auffallenden, muss man nicht stehen bleiben, man muss sich nicht an sie heften, nicht an ihr kleben, sie nicht isoliert betrachten, sondern in der ganzen Natur umhersehen, wo sich etwas Ähnliches, etwas Verwandtes zeigt: denn nur durch Zusammenstellen des Verwandten entsteht nach und nach eine Totalität, die sich selbst ausspricht und keiner weitern Erklärung bedarf.
229.
Wir erinnern uns also hier, dass bei gewissen Fällen Refraktion unleugbare Doppelbilder hervorbringt, wie es bei dem sogenannten Isländischen Kristalle der Fall ist. Dergleichen Doppelbilder entstehen aber auch bei Refraktion durch große Bergkristalle und sonst; Phänomene, die noch nicht genugsam beobachtet sind.
230.
Da nun aber in gedachtem Falle (227) nicht von Doppel-, sondern von Nebenbildern die Rede ist, so gedenken wir einer von uns schon dargelegten, aber noch nicht vollkommen ausgeführten Erscheinung. Man erinnere sich jener frühern Erfahrung, dass ein helles Bild mit einem dunklen Grunde, ein dunkles mit einem hellen Grunde schon in Absicht auf unsre Retina in einer Art von Konflikt stehe (16). Das Helle erscheint in diesem Falle größer, das Dunkle kleiner.
231.
Bei genauer Beobachtung dieses Phänomens lässt sich bemerken, dass die Bilder nicht scharf vom Grunde abgeschnitten, sondern mit einer Art von grauem, einigermaßen gefärbtem Rande, mit einem Nebenbild erscheinen. Bringen nun Bilder schon in dem nackten Auge solche Wirkungen hervor, was wird erst geschehen, wenn ein dichtes Mittel dazwischen tritt. Nicht das allein, was uns im höchsten Sinne lebendig erscheint, übt Wirkungen aus und erleidet sie; sondern auch alles, was nur irgendeinen Bezug aufeinander hat, ist wirksam aufeinander, und zwar oft in sehr hohem Maße.
232.
Es entstehet also, wenn die Refraktion auf ein Bild wirkt, an dem Hauptbilde ein Nebenbild, und zwar scheint es, dass das wahre Bild einigermaßen zurückbleibe und sich dem Verrücken gleichsam widersetze. Ein Nebenbild aber in der Richtung, wie das Bild durch Refraktion über sich selbst und über den Grund hin bewegt wird, eilt vor, und zwar schmäler oder breiter, wie oben schon ausgeführt worden (212-216).
233.
Auch haben wir bemerkt (224), dass Doppelbilder als halbierte Bilder, als eine Art von durchsichtigem Gespenst erscheinen, so wie sich die Doppelschatten jedesmal als Halbschatten zeigen müssen. Diese nehmen die Farbe leicht an und bringen sie schnell hervor (69). Jene gleichfalls (80). Und eben der Fall tritt auch bei den Nebenbildern ein, welche zwar von dem Hauptbilde nicht ab-, aber auch als halbierte Bilder aus demselben hervortreten und daher so schnell, so leicht und so energisch gefärbt erscheinen können.
234.
Dass nun die prismatische Farbenerscheinung ein Nebenbild sei, davon kann man sich auf mehr als eine Weise überzeugen. Es entsteht genau nach der Form des Hauptbildes. Dieses sei nun gerade oder im Bogen begrenzt, gezackt oder wellenförmig, durchaus hält sich das Nebenbild genau an den Umriss des Hauptbildes.
235.
Aber nicht allein die Form des wahren Bildes, sondern auch andre Bestimmungen desselben teilen sich dem Nebenbilde mit. Schneidet sich das Hauptbild scharf vom Grunde ab, wie Weiß auf Schwarz, so erscheint das farbige Nebenbild gleichfalls in seiner höchsten Energie. Es ist lebhaft, deutlich und gewaltig. Am allermächtigsten aber ist es, wenn ein leuchtendes Bild sich auf einem dunkeln Grunde zeigt, wozu man verschiedene Vorrichtungen machen kann.
236.
Stuft sich aber das Hauptbild schwach von dem Grunde ab, wie sich graue Bilder gegen Schwarz und Weiß oder gar gegeneinander verhalten, so ist auch das Nebenbild schwach und kann bei einer geringen Differenz von Tinten beinahe unmerklich werden.
237.
So ist es ferner höchst merkwürdig, was an farbigen Bildern auf hellem, dunklem oder farbigem Grunde beobachtet wird. Hier entsteht ein Zusammentritt der Farbe des Nebenbildes mit der realen Farbe des Hauptbildes, und es erscheint daher eine zusammengesetzte, entweder durch Übereinstimmung begünstigte oder durch Widerwärtigkeit verkümmerte Farbe.
238.
Überhaupt aber ist das Kennzeichen des Doppel- und Nebenbildes die Halbdurchsichtigkeit. Man denke sich daher innerhalb eines durchsichtigen Mittels, dessen innere Anlage nur halbdurchsichtig, nur durchscheinend zu werden schon oben ausgeführt ist (148), man denke sich innerhalb desselben ein halbdurchsichtiges Scheinbild, so wird man dieses sogleich für ein trübes Bild ansprechen.
239.
Und so lassen sich die Farben bei Gelegenheit der Refraktion aus der Lehre von den trüben Mitteln gar bequem ableiten. Denn wo der voreilende Saum des trüben Nebenbildes sich vom Dunklen über das Helle zieht, erscheint das Gelbe; umgekehrt wo eine helle Grenze über die dunkle Umgebung hinaustritt, erscheint das Blaue (150, 151).
240.
Die voreilende Farbe ist immer die breitere. So greift die gelbe über das Licht mit einem breiten Saume; da wo sie aber an das Dunkle grenzt, entsteht, nach der Lehre der Steigerung und Beschattung, das Gelbrote als ein schmälerer Rand.
241.
An der entgegengesetzten Seite hält sich das gedrängte Blau an der Grenze, der vorstehende Saum aber, als ein leichtes Trübes über das Schwarze verbreitet, lässt uns die violette Farbe sehen, nach eben denselben Bedingungen, welche oben bei der Lehre von den trüben Mitteln angegeben worden und welche sich künftig in mehreren andern Fällen gleichmäßig wirksam zeigen werden.
242.
Da eine Ableitung wie die gegenwärtige sich eigentlich vor dem Anschauen des Forschers legitimieren muss, so verlangen wir von jedem, dass er sich nicht auf eine flüchtige, sondern gründliche Weise mit dem bisher Vorgeführten bekannt mache. Hier werden nicht willkürliche Zeichen, Buchstaben und was man sonst belieben möchte, statt der Erscheinungen hingestellt; hier werden nicht Redensarten überliefert, die man hundertmal wiederholen kann, ohne etwas dabei zu denken, noch jemanden etwas dadurch denken zu machen; sondern es ist von Erscheinungen die Rede, die man vor den Augen des Leibes und des Geistes gegenwärtig haben muss, um ihre Abkunft, ihre Herleitung sich und andern mit Klarheit entwickeln zu können.