Da uns, wenn wir an irgendeinem Geschehenen teilnehmen, nichts willkommenst sein kann, als dass Personen welche mitgewirkt, uns die besondern Umstände offenbaren mögen, wie dieses oder jenes Ereignis seinen Ursprung genommen, und dies sowohl von der politischen als wissenschaftlichen Geschichte gilt; auch in beiden nichts so klein geachtet werden mag, das nicht irgendeinem Nachkommen den einmal bedeutend sein könnte: so habe ich nicht unterlassen wollen, nachdem ich dem Lebensgange so mancher andern nachgespürt, gleichfalls aufzuzeichnen, wie ich zu diesen physischen und besonders chromatischen Untersuchungen gelangt bin; welches um so mehr erwartet werden darf, weil eine solche Beschäftigung schon manchem als meinem übrigen Lebensgange fremd erschienen ist.
Die Menge mag wohl jemanden irgendein Talent zugestehen, worin er sich tätig bewiesen und wobei das Glück sich ihm nicht abhold gezeigt; will er aber in ein andres Fach übergehen und seine Künste vervielfältigen, so scheint es, als wenn er die Rechte verletze, die er einmal der öffentlichen Meinung über sich eingeräumt, und es werden daher seine Bemühungen in einer neuen Region selten freundlich und gefällig aufgenommen.
Hierin kann die Menge wohl einigermaßen recht haben: denn es hat jedes einzelne Beginnen so viele Schwierigkeiten, dass es einen ganzen Menschen, ja mehrere zusammen braucht, um zu einem erwünschten Ziele zu gelangen. Allein dagegen hat man wieder zu bedenken, dass die Tätigkeiten, in einem höhern Sinne, nicht vereinzelt anzusehen sind, sondern dass sie einander wechselweise zu Hülfe kommen und dass der Mensch, wie mit andern also auch mit sich selbst, öfters in ein Bündnis zu treten und daher sich in mehrere Tüchtigkeiten zu teilen und in mehreren Tugenden zu üben hat.
Wie es mir hierin im ganzen ergangen, würde nur durch eine umständliche Erzählung mitgeteilt werden können, und so mag das Gegenwärtige als ein einzelnes Kapitel jenes größern Bekenntnisses angesehen werden, welches abzulegen mir vielleicht noch Zeit und Mut übrig bleibt.
Indem sich meine Zeitgenossen gleich bei dem ersten Erscheinen meiner dichterischen Versuche freundlich genug gegen mich erwiesen, und mir, wenn sie gleich sonst mancherlei auszusetzen fanden, wenigstens ein poetisches Talent mit Geneigtheit zuerkannten, so hatte ich selbst gegen die Dichtkunst ein eignes wundersames Verhältnis, das bloß praktisch war, indem ich einen Gegenstand, der mich ergriff, ein Muster, das mich aufregte, einen Vorgänger, der mich anzog, so lange in meinem innern Sinn trug und hegte, bis daraus etwas entstanden war, das als mein angesehen werden mochte und das ich, nachdem ich es jahrelang im stillen ausgebildet, endlich auf einmal, gleichsam aus dem Stegreife und gewissermaßen instinktartig, auf das Papier fixierte. Daher denn die Lebhaftigkeit und Wirksamkeit meiner Produktionen sich ableiten mag.
Da mir aber sowohl in Absicht auf die Konzeption eines würdigen Gegenstandes als auf die Komposition und Ausbildung der einzelnen Teile, sowie was die Technik des rhythmischen und prosaischen Stils betraf, nichts Brauchbares, weder von den Lehrstühlen noch aus den Büchern entgegenkam, indem ich manches Falsche zwar zu verabscheuen, das Rechte aber nicht zu erkennen wusste und deshalb selbst wieder auf falsche Wege geriet, so suchte ich mir außerhalb der Dichtkunst eine Stelle, auf welcher ich zu irgendeiner Vergleichung gelangen und dasjenige, was mich in der Nähe verwirrte, aus einer gewissen Entfernung übersehen und beurteilen könnte.
Diesen Zweck zu erreichen, konnte ich mich nirgends besser hinwenden als zur bildenden Kunst. Ich hatte dazu mehrfachen Anlass: denn ich hatte so oft von der Verwandtschaft der Künste gehört, welche man auch in einer gewissen Verbindung zu behandeln anfing. Ich war in einsamen Stunden früherer Zeit auf die Natur aufmerksam geworden, wie sie sich als Landschaft zeigt, und hatte, da ich von Kindheit auf in den Werkstätten der Maler aus- und einging, Versuche gemacht, das, was mir in der Wirklichkeit er schien, so gut es sich schicken wollte, in ein Bild zu verwandlen; ja ich fühlte hiezu, wozu ich eigentlich keine Anlage hatte, einen weit größern Trieb als zu demjenigen, was mir von Natur leicht und bequem war. So gewiss ist es, dass die falschen Tendenzen den Menschen öfters mit größerer Leidenschaft entzünden als die wahrhaften, und dass er demjenigen weit eifriger nachstrebt, was ihm misslingen muss, als was ihm gelingen könnte.
Je weniger also mir eine natürliche Anlage zur bildenden Kunst geworden war, desto mehr sah ich mich nach Gesetzen und Regeln um; ja ich achtete weit mehr auf das Technische der Malerei als auf das Technische der Dichtkunst: wie man denn durch Verstand und Einsicht dasjenige auszufüllen sucht, was die Natur Lückenhaftes an uns gelassen hat.
Je mehr ich nun durch Anschauung der Kunstwerke, insofern sie mir im nördlichen Deutschland vor die Augen kamen, durch Unterredung mit Kennern und Reisenden, durch Lesen solcher Schriften, welche ein lange pedantisch vergrabenes Altertum einem geistigern Anschauen entgegenzuheben versprachen, an Einsicht gewissermaßen zunahm, desto mehr fühlte ich das Bodenlose meiner Kenntnisse und sah immer mehr ein, dass nur von einer Reise nach Italien etwas Befriedigendes zu hohen sein möchte.
Als ich endlich nach manchem Zaudern über die Alpen gelangt war, so empfand ich gar bald, bei dem Zudrang so vieler unendlichen Gegenstände, dass ich nicht gekommen sei, um Lücken auszufüllen und mich zu bereichern, sondern dass ich von Grund aus anfangen müsse, alles bisher Gewähnte wegzuwerfen und das Wahre in seinen einfachsten Elementen aufzusuchen. Zum Glück konnte ich mich an einigen von der Poesie herüber gebrachten, mir durch inneres Ge fühl und langen Gebrauch bewährten Maximen fest halten, so dass es mir zwar schwer, aber nicht unmöglich ward, durch ununterbrochnes Anschauen der Natur und Kunst, durch lebendiges, wirksames Gespräch mit mehr oder weniger einsichtigen Kennern, durch stetes Leben mit mehr oder weniger praktischen oder denkenden Künstlern, nach und nach mir die Kunst überhaupt einzuteilen, ohne sie zu zerstückeln, und ihre verschiedenen, lebendig ineinander greifen den Elemente gewahr zu werden.
Freilich nur gewahr zu werden und festzuhalten, ihre tausendfältigen Anwendungen und Ramifikationen aber einer künftigen Lebenszeit aufzusparen. Auch ging es mir, wie jedem, der reisend oder lebend mit Ernst gehandelt, dass ich in dem Augenblicke des Scheidens erst einigermaßen mich wert fühlte, herein zutreten. Mich trösteten die mannigfaltigen und un entwickelten Schätze, die ich mir gesammlet; ich er freute mich an der Art, wie ich sah, dass Poesie und bildende Kunst wechselseitig aufeinander einwirken könnten. Manches war mir im einzelnen deutlich, manches im ganzen Zusammenhange klar. Von einem einzigen Punkte wusste ich mir nicht die mindeste Rechenschaft zu geben: es war das Kolorit.
Mehrere Gemälde waren in meiner Gegenwart erfunden, komponiert, die Teile der Stellung und Form nach sorgfältig durchstudiert worden, und über alles dieses konnten mir die Künstler, konnte ich mir und ihnen Rechenschaft, ja sogar manchmal Rat erteilen. Kam es aber an die Färbung, so schien alles dem Zu fall überlassen zu sein, dem Zufall der durch einen gewissen Geschmack, einen Geschmack der durch Gewohnheit, eine Gewohnheit die durch Vorurteil, ein Vorurteil das durch Eigenheiten des Künstlers, des Kenners, des Liebhabers bestimmt wurde. Bei den Lebendigen war kein Trost, ebenso wenig bei den Ab geschiedenen, keiner in den Lehrbüchern, keiner in den Kunstwerken. Denn wie bescheiden sich über diesen Punkt zum Beispiel Lairesse ausdrückt, kann Verwunderung erregen. Und wie wenig sich irgendeine Maxime aus der Färbung, welche neuere Künstler in ihren Gemälden angebracht, abstrahieren lasse, zeigt die Geschichte des Kolorits, verfasst von einem Freunde, der schon damals mit mir zu suchen und zu unter suchen geneigt war, und bis jetzt diesem gemeinsam eingeschlagenen Weg auf die löblichste Weise treu geblieben.
Je weniger mir nun bei allen Bemühungen etwas erfreulich Belehrendes entgegenschien, desto mehr brachte ich diesen mir so wichtigen Punkt überall wiederholt, lebhaft und dringend zur Sprache, dergestalt, dass ich dadurch selbst Wohlwollenden fast lästig und verdrießlich fiel. Aber ich konnte nur bemerken, dass die lebenden Künstler bloß aus schwanken den Überlieferungen und einem gewissen Impuls handelten, dass Helldunkel, Kolorit, Harmonie der Farben immer in einem wunderlichen Kreise sich durcheinander drehten. Keins entwickelte sich aus dem andern, keins griff notwendig ein in das andere. Was man ausübte, sprach man als technischen Kunstgriff, nicht als Grundsatz aus. Ich hörte zwar von kalten und war men Farben, von Farben, die einander heben, und was dergleichen mehr war; allein bei jeder Ausführung konnte ich bemerken, dass man in einem sehr engen Kreise wandelte, ohne doch denselben überschauen oder beherrschen zu können.
Das Sulzerische Wörterbuch wurde um Rat gefragt, aber auch da fand sich wenig Heil. Ich dachte selbst über die Sache nach, und um das Gespräch zu beleben, um eine oft durchgedroschene Materie wieder bedeutend zumachen, unterhielt ich mich und die Freunde mit Paradoxen. Ich hatte die Ohnmacht des Blauen sehr deutlich empfunden und seine unmittelbare Verwandtschaft mit dem Schwarzen bemerkt nun gefiel es mir zu behaupten: das Blaue sei keine Farbe, und ich freute mich eines allgemeinen Widerspruchs. Nur Angelika, deren Freundschaft und Freundlichkeit mir schon öfters in solchen Fällen entgegengekommen war – sie hatte zum Beispiel auf mein Ersuchen erst ein Bild, nach Art älterer Florentiner, Grau in Grau gemalt und es bei völlig entschiedenem und fertigen Helldunkel mit durchscheinender Farbe überzogen, wodurch eine sehr erfreuliche Wirkung hervorgebracht wurde, ob man es gleich von einem auf die gewöhnliche Weise gemalten Bilde nicht unterscheiden konnte – Angelika gab mir Beifall und versprach, eine kleine Landschaft ohne Blau zu malen. Sie hielt Wort und es entsprang ein sehr hübsches harmonisches Bild, etwa in der Art, wie ein Akyanobleps die Welt sehen würde, wobei ich jedoch nicht leugnen will, dass sie ein Schwarz anwendete, welches nach dem Blauen hinzog. Wahrscheinlich findet sich dieses Bild in den Händen irgendeines Liebhabers, für den es durch diese Anekdote noch mehr Wert erhält.
Dass hierdurch nichts ausgemacht wurde, ja vielmehr die Sache in einen geselligen Scherz ablief, war ganz natürlich. Indessen versäumte ich nicht, die Herrlichkeit der atmosphärischen Farben zu betrachten, wobei sich die entschiedenste Stufenfolge der Luftperspektive, die Bläue der Ferne sowie naher Schatten, auffallend bemerken ließ. Beim Sciroccohimmel, bei den purpurnen Sonnenuntergängen waren die schönsten meergrünen Schatten zu sehen, denen ich um so mehr Aufmerksamkeit schenkte, als ich schon in der ersten Jugend bei frühem Studieren, wenn der Tag gegen das angezündete Licht heran wuchs, diesem Phänomen meine Bewunderung nicht entziehen konnte. Doch wurden alle diese Beobachtungen nur gelegentlich angestellt, durch so viel andres mannigfaltiges Interesse zerstreut und verdrängt, so dass ich meine Rückreise unternahm und zu Hause, bei manchem Zudrang fremdartiger Dinge, die Kunst und alle Betrachtung derselben fast gänzlich aus dem Auge verlor.
Sobald ich nach langer Unterbrechung endlich Muße fand, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, trat mir in Absicht auf Kolorit dasjenige entgegen, was mir schon in Italien nicht verborgen bleiben konnte. Ich hatte nämlich zuletzt eingesehen, dass man den Farben, als physischen Erscheinungen, erst von der Seite der Natur beikommen müsse, wenn man in Absicht auf Kunst etwas über sie gewinnen wolle. Wie alle Welt war ich überzeugt, dass die sämtlichen Farben im Licht enthalten seien; nie war es mir anders gesagt worden, und niemals hatte ich die geringste Ursache gefunden, daran zu zweifeln, weil ich bei der Sache nicht weiter interessiert war. Auf der Akademie hatte ich mir Physik wie ein anderer vortragen und die Experimente vorzeigen lassen. Winkler in Leipzig, einer der ersten, der sich um Elektrizität verdient machte, behandelte diese Abteilung sehr umständlich und mit Liebe, so dass mir die sämtlichen Versuche mit ihren Bedingungen fast noch jetzt durchaus gegenwärtig sind. Die Gestelle waren sämtlich blau an gestrichen; man brauchte ausschließlich blaue Seidenfäden zum Anknüpfen und Aufhängen der Teile des Apparats: welches mir auch immer wieder, wenn ich über blaue Farbe dachten einfiel. Dagegen erinnere ich mich nicht, die Experimente, wodurch die Newtonische Theorie bewiesen werden soll, jemals gesehen zu haben; wie sie denn gewöhnlich in der Experimentalphysik auf gelegentlichen Sonnenschein verschoben und außer Ordnung des laufenden Vortrags gezeigt werden.
Als ich mich nun von Seiten der Physik den Farben zu nähern gedachte, las ich in irgendeinem Kompendium das hergebrachte Kapitel, und weil ich aus der Lehre, wie sie dastand, nichts für meinen Zweck entwickeln konnte, so nahm ich mir vor, die Phänomene wenigstens selbst zu sehen, zu welchen Hofrat Büttner, der von Göttingen nach Jena gezogen war, den nötigen Apparat mitgebracht und mir ihn nach seiner freundlich mitteilenden Weise sogleich angeboten hatte. Es fehlte nur also noch an einer dunklen Kammer, die durch einen wohlverschlossenen Fensterladen bewirkt werden sollte; es fehlte nur noch am Foramen exiguum, das ich mit aller Gewissenhaftigkeit, nach dem angegebenen Maß, in ein Blech einzubohren im Begriff stand. Die Hindernisse jedoch, wodurch ich abgehalten ward, die Versuche nach der Vorschrift, nach der bisherigen Methode anzustellen, waren Ursache, dass ich von einer ganz andern Seite zu den Phänomenen gelangte und dieselben durch eine umgekehrte Methode ergriff, die ich noch umständlich zu erzählen gedenke.
Eben zu dieser Zeit kam ich in den Fall, meine Wohnung zu verändern. Auch dabei hatte ich meinen frühern Vorsatz vor Augen. In meinem neuen Quartier traf ich ein langes, schmales Zimmer mit einem Fenster gegen Südwest; was hätte mir erwünschter sein können! Indessen fand sich bei meiner neuen Einrichtung so viel zu tun, so manche Hindernisse traten ein, und die dunkle Kammer kam nicht zustande. Die Prismen standen eingepackt, wie sie gekommen waren, in einem Kasten unter dem Tische, und ohne die Ungeduld des jenaischen Besitzers hätten sie noch lange da stehen können.
Hofrat Büttner, der alles, was er von Büchern und Instrumenten besaß, gern mitteilte, verlangte jedoch, wie es einem vorsichtigen Eigentümer geziemt, dass man die geborgten Sachen nicht allzu lange behalten, dass man sie zeitig zurückgeben und lieber einmal wieder aufs neue borgen solle. Er war in solchen Dingen unvergessen und ließ es, wenn eine gewisse Zeit verflossen war, an Erinnerungen nicht fehlen. Mit solchen wollte er mich zwar nicht unmittelbar angehen; allein durch einen Freund erhielt ich Nachricht von Jena: der gute Mann sei ungeduldig, ja empfindlich, dass ihm der mitgeteilte Apparat nicht wieder zugesendet werde. Ich ließ dringend um einige Frist bitten, die ich auch erhielt, aber auch nicht besser anwendete: denn ich war von ganz anderem Interesse festgehalten. Die Farbe, sowie die bildende Kunst überhaupt, hatte wenig teil an meiner Aufmerksamkeit, ob ich gleich ungefähr in dieser Epoche, bei Gelegenheit der Saussurischen Reisen auf den Montblanc und des dabei gebrauchten Kyanometers, die Phänomene der Himmelsbläue, der blauen Schatten und so weiter zusammenschrieb, um mich und andre zu überzeugen, dass das Blaue nur dem Grade nach von dem Schwarzen und dem Finstern verschieden sei.
So verstrich abermals eine geraume Zeit, die leichte Vorrichtung des Fensterladens und der kleinen Öffnung ward vernachlässigt, als ich von meinem jenaischen Freunde einen dringenden Brief erhielt, der mich aufs lebhafteste bat, die Prismen zurückzusenden, und wenn es auch nur wäre, dass der Besitzer sich von ihrem Dasein überzeugte, dass er sie einige Zeit wieder in Verwahrung hätte; ich sollte sie alsdann zu längerem Gebrauch wieder zurück erhalten. Die Absendung aber möchte ich ja mit dem zurückkehrenden Boten bewerkstelligen. Da ich mich mit diesen Untersuchungen sobald nicht abzugeben hoffte, entschloss ich mich, das gerechte Verlangen sogleich zu erfüllen. Schon hatte ich den Kasten hervorgenommen, um ihn dem Boten zu übergeben, als mir einfiel, ich wolle doch noch geschwind durch ein Prisma sehen, was ich seit meiner frühsten Jugend nicht getan hatte. Ich erinnerte mich wohl, dass alles bunt erschien, auf welche Weise jedoch, war mir nicht mehr gegenwärtig. Eben befand ich mich in einem völlig geweißten Zimmer; ich erwartete, als ich das Prisma vor die Augen nahm, eingedenk der Newtonischen Theorie, die ganze weiße Wand nach verschiedenen Stufen gefärbt, das von da ins Auge zurückkehrende Licht in so viel farbige Lichter zersplittert zu sehen.
Aber wie verwundert war ich, als die durchs Prisma angeschaute weiße Wand nach wie vor weiß blieb, dass nur da, wo ein Dunkles dran stieß, sich eine mehr oder weniger entschiedene Farbe zeigte, dass zuletzt die Fensterstäbe am allerlebhaftesten farbig erschienen, indessen am lichtgrauen Himmel draußen keine Spur von Färbung zu sehen war. Es bedurfte keiner langen Überlegung, so erkannte ich, dass eine Grenze notwendig sei, um Farben hervorzubringen, und ich sprach wie durch einen Instinkt sogleich vor mich laut aus, dass die Newtonische Lehre falsch sei. Nun war an keine Zurücksendung der Prismen mehr zu denken. Durch mancherlei Überredungen und Gefälligkeiten suchte ich den Eigentümer zu beruhigen, welches mir auch gelang. Ich vereinfachte nunmehr die mir in Zimmern und im Freien durchs Prisma vorkommen den zufälligen Phänomene und erhob sie, indem ich mich bloß schwarzer und weißer Tafeln bediente, zu bequemen Versuchen.
Die beiden sich immer einander entgegengesetzten Ränder, die Verbreiterung derselben, das Übereinandergreifen über einen hellen Streif und das dadurch entstehende Grün, wie die Entstehung des Roten beim Übereinandergreifen über einen dunklen Streif, alles entwickelte sich vor mir nach und nach. Auf einen schwarzen Grund hatte ich eine weiße Scheibe gebracht, welche in einer gewissen Entfernung durchs Prisma angesehen, das bekannte Spektrum vorstellte und vollkommen den Newtonischen Hauptversuch in der Camera obscura vertrat. Eine schwarze Scheibe auf hellem Grund machte aber auch ein farbiges und gewissermaßen noch prächtigeres Gespenst. Wenn sich dort das Licht in so vielerlei Farben auflöst, sagte ich zu mit selbst: so müsste ja hier auch die Finsternis als in Farben aufgelöst angesehen werden.
Der Apparat meiner Tafeln war sorgfältig und reinlich zusammengeschafft, vereinfacht soviel wie möglich und so ein gerichtet, dass man die sämtlichen Phänomene in einer gewissen Ordnung dabei betrachten konnte. Ich wusste mir im stillen nicht wenig mit meiner Entdeckung, denn sie schien sich an manches bis her von mir Erfahrne und Geglaubte anzuschließen. Der Gegensatz von warmen und kalten Farben der Maler zeigte sich hier in abgesonderten blauen und gelben Rändern. Das Blaue erschien gleichsam als Schleier des Schwarzen, wie sich das Gelbe als ein Schleier des Weißen bewies. Ein Helles musste über das Dunkle, ein Dunkles über das Helle geführt wer den, wenn die Erscheinung eintreten sollte: denn keine perpendikulare Grenze war gefärbt. Das alles schloss sich an dasjenige an, was ich in der Kunst von Licht und Schatten und in der Natur von apparenten Farben gehört und gesehen hatte. Doch stand alles dieses mir ohne Zusammenhang vor der Seele und keineswegs so entschieden, wie ich es hier ausspreche.
Da ich in solchen Dingen gar keine Erfahrung hatte und mir kein Weg bekannt war, auf dem ich hätte sicher fortwandeln können, so ersuchte ich einen benachbarten Physiker, die Resultate dieser Vorrichtungen zu prüfen. Ich hatte ihn vorher bemerken lassen, dass sie mir Zweifel in Absicht auf die Newtonische Theorie erregt hätten, und hoffte sicher, dass der erste Blick auch in ihm die Überzeugung, von der ich ergriffen war, aufregen würde. Allein wie verwundert war ich, als er zwar die Erscheinungen in der Ordnung, wie sie ihm vorgeführt wurden, mit Gefälligkeit und Beifall aufnahm, aber zugleich versicherte, dass diese Phänomene bekannt und aus der Newtonischen Theorie vollkommen erklärt seien. Diese Farbenge hörten keineswegs der Grenze, sondern dem Licht ganz allein an; die Grenze sei nur Gelegenheit, dass in dem einen Fall die weniger refrangiblen, im andern die mehr refrangiblen Strahlen zum Vorschein kämen. Das Weiße in der Mitte sei aber noch ein zusammen gesetztes, durch Brechung nicht separiertes Licht, das aus einer ganz eigenen Vereinigung farbiger, aber stufenweise übereinandergeschobener Lichter entspringe; welches alles bei Newton selbst und in den nach seinem Sinn verfassten Büchern umständlich zu lesen sei.
Ich mochte dagegen nun einwenden, was ich wollte, dass nämlich das Violette nicht refrangibler sei als das Gelbe, sondern nur, wie dieses in das Helle, so jenes in das Dunkle hineinstrahle; ich mochte anführen, dass bei wachsender Breite der Säume das Weiße so wenig als das Schwarze in Farben zerlegt, sondern in dem einen Falle nur durch einzusammengesetztes Grün, in dem andern durch ein zusammengesetztes Rot zugedeckt werde; kurz, ich mochte mich mit meinen Versuchen und Überzeugungen gebärden, wie ich wollte: immer vernahm ich nur das erste Credo und musste mir sagen lassen, dass die Versuche in der dunklen Kammer weit mehr geeignet seien, die wahre Ansicht der Phänomene zu verschaffen.
Ich war nunmehr auf mich selbst zurückgewiesen; doch konnte ich es nicht ganz lassen und setzte noch einige Male an, aber mit ebenso wenig Glück, und ich wurde in nichts gefördert. Man sah die Phänomene gern; die Ununterrichteten amüsierten sich damit, die Unterrichteten sprachen von Brechung und Brechbarkeit und glaubten sich dadurch von aller weitern Prüfung loszuzählen. Nachdem ich nun diese in der Folge von mir subjektiv genannten Versuche ins Unendliche, ja Unnötige vervielfältigte, Weiß, Schwarz, Grau, Bunt in allen Verhältnissen an- und übereinander auf Tafeln gebracht hatte, wobei immer nur das erste simple Phänomen, bloß anders bedingt, er schien, so setzte ich nun auch die Prismen in die Sonne und richtete die Camera obscura mit schwarz ausgeschlagenen Wänden so genau und finster als möglich ein. Das Foramen exiguum selbst wurde sorgfältig angebracht. Allein diese beschränkten Taschenspieler- Bedingungen hatten keine Gewalt mehr über mich. Alles, was die subjektiven Versuche mir leisteten, wollte ich auch durch die objektiven darstellen. Die Kleinheit der Prismen stand mir im Wege. Ich ließ ein größeres aus Spiegelscheiben zusammen setzen, durch welches ich nun, vermittelst vorgeschobener ausgeschnittener Pappen, alles dasjenige her vorzubringen suchte, was auf meinen Tafeln gesehen wurde, wenn man sie durchs Prisma betrachtete.
Die Sache lag mir am Herzen, sie beschäftigte mich; aber ich fand mich in einem neuen unabsehlichen Felde, welches zu durchmessen ich mich nicht geeignet fühlte. Ich sah mich überall nach Teilnehmern um; ich hätte gern meinen Apparat, meine Bemerkungen, meine Vermutungen, meine Überzeugungen einem andern übergeben, wenn ich nur irgend hätte hoffen können, sie fruchtbar zu sehen.
All mein dringendes Mitteilen war vergebens. Die Folgen der französischen Revolution hatten alle Ge müter aufgeregt und in jedem Privatmann den Regierungsdünkel erweckt. Die Physiker, verbunden mit den Chemikern, waren mit den Gasarten und mit dem Galvanismus beschäftigt. Überall fand ich Unglauben an meinen Beruf zu dieser Sache; überall eine Art von Abneigung gegen meine Bemühungen, die sich, je ge lehrter und kenntnisreicher die Männer waren, immer mehr als unfreundlicher Widerwille zu äußern pflegte.
Höchst undankbar würde ich hingegen sein, wenn ich hier nicht diejenigen nennen wollte, die mich durch Neigung und Zutrauen förderten. Der Herzog von Weimar, dem ich von jeher alle Bedingungen eines tätigen und frohen Lebens schuldig geworden, vergönnte mir auch diesmal den Raum, die Muße, die Bequemlichkeit zu diesem neuen Vorhaben. Der Her zog Ernst von Gotha eröffnete mir sein physikalisches Kabinett, wodurch ich die Versuche zu vermannigfaltigen und ins Größere zu führen instand gesetzt wurde. Der Prinz August von Gotha verehrte mir aus England verschriebene köstliche, sowohl einfache als zusammengesetzte, achromatische Prismen. Der Fürst Primas, damals in Erfurt, schenkte meinen ersten und allen folgenden Versuchen eine ununterbrochene Aufmerksamkeit, ja er begnadigte einen umständlichen Aufsatz mit durchgehenden Randbemerkungen von eigner Hand, den ich noch als eine höchst schätzbare Erinnerung unter meinen Papieren verwahre.
Unter den Gelehrten, die mir von ihrer Seite Bei stand leisteten, zähle ich Anatomen, Chemiker, Literatoren, Philosophen wie Loder, Sömmering, Göttling, Wolf, Forster, Schelling; hingegen keinen Physiker.
Mit Lichtenberg korrespondierte ich eine Zeitlang und sendete ihm ein paar auf Gestellen bewegliche Schirme, woran die sämtlichen subjektiven Erscheinungen auf eine bequeme Weise dargestellt werden konnten, ingleichen einige Aufsätze, freilich noch roh und ungeschlacht genug. Eine Zeitlang antwortete er mir; als ich aber zuletzt dringender ward und das ekelhafte Newtonische Weiß mit Gewalt verfolgte, brach er ab über diese Dinge zu schreiben und zu antworten; ja er hatte nicht einmal die Freundlichkeit, ungeachtet eines so guten Verhältnisses, meiner Bei träge in der letzten Ausgabe seines Erxlebens zu er wähnen. So war ich denn wieder auf meinen eigenen Weg gewiesen.
Ein entschiedenes Aperçu ist wie eine inokulierte Krankheit anzusehen: man wird sie nicht los, bis sie durchgekämpft ist. Schon längst hatte ich angefangen, über die Sache nachzulesen. Die Nachbeterei der Kompendien war mir bald zuwider und ihre beschränkte Einförmigkeit gar zu auffallend. Ich ging nun an die Newtonische Optik, auf die sich doch zu letzt jedermann bezog, und freute mich, das Kaptiose, Falsche seines ersten Experiments mir schon durch meine Tafeln anschaulich gemacht zu haben und mir das ganze Rätsel bequem auflösen zu können. Nach dem ich diese Vorposten glücklich überwältigt, drang ich tiefer in das Buch, wiederholte die Experimente, entwickelte und ordnete sie und fand sehr bald, dass der ganze Fehler darauf beruhe, dass ein kompliziertes Phänomen zum Grunde gelegt und das Einfachere aus dem Zusammengesetzten erklärt werden sollte.
Manche Zeit und manche Sorgfalt jedoch bedurfte es, um die Irrgänge alle zu durchwandern, in welche Newton seine Nachfolger zu verwirren beliebt hat. Hierzu waren mir die Lectiones opticae höchst behilflich, indem diese einfacher, mit mehr Aufrichtigkeit und eigener Überzeugung des Verfassers geschrieben sind. Die Resultate dieser Bemühungen enthält mein polemischer Teil.
Wenn ich nun auf diese Weise das Grundlose der Newtonischen Lehre, besonders nach genauer Ein sicht in das Phänomen der Achromasie, vollkommen erkannte, so half mir zu einem neuen theoretischen Weg jenes erste Gewahrwerden, dass ein entschiede nes Auseinandertreten, Gegensetzen, Verteilen, Differenzieren, oder wie man es nennen wollte, beiden prismatischen Farbenerscheinungen statthabe, welches ich mir kurz und gut unter der Formel der Polarität zusammenfasste, von der ich überzeugt war, dass sie auch bei den übrigen Farben- Phänomenen durch geführt werden könne.
Was mir inzwischen als Privatmann nicht gelingen mochte: bei irgend jemand Teilnahme zu erregen, der sich zu meinen Untersuchungen gesellt, meine Überzeugungen aufgenommen und darnach fortgearbeitet hätte, – das wollte ich nun als Autor versuchen; ich wollte die Frage an das größere Publikum bringen. Ich stellte daher die notwendigsten Bilder zusammen, die man bei den subjektiven Versuchen zum Grunde legen musste. Sie waren schwarz und weiß, damit sie als Apparat dienen, damit sie jedermann sogleich durchs Prisma beschauen könnte. Andere waren bunt, um zu zeigen, wie diese schwarzen und weißen Bilder durchs Prisma verändert würden. Die Nähe einer Kartenfabrik veranlasste mich, das Format von Spielkarten zu wählen, und indem ich Versuche beschrieb und gleich die Gelegenheit, sie anzustellen, gab, glaubte ich das Erforderliche getan zu haben, um in irgendeinem Geiste das Aperçu hervorzurufen, das in dem meinigen so lebendig gewirkt hatte.
Allein ich kannte damals, ob ich gleich alt genug war, die Beschränktheit der wissenschaftlichen Gilden noch nicht, diesen Handwerkssinn, der wohl etwas er halten und fortpflanzen, aber nichts fördern kann, und es waren drei Punkte, die für mich schädlich wirkten. Erstlich hatte ich mein kleines Heft: Beiträge zur Optik, betitelt. Hätte ich Chromatik gesagt, so wäre es unverfänglicher gewesen; denn da die Optik zum größten Teil mathematisch ist, so konnte und wollte niemand begreifen, wie einer, der keine Ansprüche an Messkunst machte, in der Optik wirken könne. Zwei tens hatte ich, zwar nur ganz leise, angedeutet, dass ich die Newtonische Theorie nicht zulänglich hielte, die vorgetragenen Phänomene zu erklären. Hierdurch regte ich die ganze Schule gegen mich auf, und nun verwunderte man sich erst höchlich, wie jemand, ohne höhere Einsicht in die Mathematik, wagen könne, Newton zu widersprechen. Denn dass eine Physik un abhängig von der Mathematik existiere, davon schien man keinen Begriff mehr zu haben. Die uralte Wahrheit, dass der Mathematiker, sobald er in das Feld der Erfahrung tritt, so gut wie jeder andere dem Irrtum unterworfen sei, wollte niemand in diesem Falleaner kennen. In gelehrten Zeitungen, Journalen, Wörterbüchern und Kompendien sah man stolz mitleidig auf mich herab, und keiner von der Gilde trug Bedenken, den Unsinn nochmals abdrucken zu lassen, den man nun fast hundert Jahre als Glaubensbekenntnis wiederholte. Mit mehr oder weniger dünkelhafter Selbstgefälligkeit betrugen sich Gren in Halle, die Gothaischen gelehrten Zeitungen, die Allgemeine Jenaische Literaturzeitung, Gehler und besonders Fischer, in ihren physikalischen Wörterbüchern. Die Göttingischen gelehrten Anzeigen, ihrer Aufschrift getreu, zeigten meine Bemühungen auf eine Weise an, um sie sogleich auf ewig vergessen zu machen.
Ich gab, ohne mich hierdurch weiter rühren zu lassen, das zweite Stück meiner Beiträge heraus, welches die subjektiven Versuche mit bunten Papieren enthält, die mir um so wichtiger waren, als dadurch für jeden, der nur einigermaßen in die Sache hätte sehen wollen, der erste Versuch der Newtonischen Optik vollkommen enthüllt und dem Baum die Axt an die Wurzel gelegt wurde. Ich fügte die Abbildung des großes Wasserprismas hinzu, die ich auch wieder unter die Tafeln des gegenwärtigen Werkes aufgenommen habe. Es geschah damals, weil ich zu den objektiven Versuchen übergehen und die Natur aus der dunklen Kammer und von den winzigen Prismen zu befreien dachte.
Da ich in dem Wahn stand, denen, die sich mit Naturwissenschaften abgeben, sei es um die Phänomene zu tun, so gesellte ich, wie zum ersten Stücke meiner Beiträge ein Paket Karten, so zum zweiten eine Foliotafel, auf welcher alle Fälle von hellen, dunkeln und farbigen Flächen und Bildern dergestalt angebracht waren, dass man sie nur vor sich hinstellen, durch ein Prisma betrachten durfte, um alles, wovon in dem Hefte die Rede war, sogleich gewahr zu werden. Al lein diese Vorsorge war gerade der Sache hinderlich und der dritte Fehler, den ich beging. Denn diese Tafel, viel mehr noch als die Karten, war unbequem zu packen und zu versenden, so dass selbst einige aufmerksam gewordne Liebhaber sich beklagten, die Beiträge nebst dem Apparat durch den Buchhandel nicht erhalten zu können.
Ich selbst war zu andern Lebensweisen, Sorgen und Zerstreuungen hingerissen. Feldzüge, Reisen, Aufenthalt an fremden Orten nahmen mir den größten Teil mehrerer Jahre weg; dennoch hielten mich die einmal angefangenen Betrachtungen, das einmal übernommene Geschäft, denn zum Geschäft war diese Beschäftigung geworden, auch selbst in den bewegtesten und zerstreutesten Momenten fest; ja ich fand Gelegenheit, in der freien Welt Phänomene zu bemerken, die meine Einsicht vermehrten und meine Ansicht er weiterten.
Nachdem ich lange genug in der Breite der Phänomene herumgetastet und mancherlei Versuche gemacht hatte, sie zu schematisieren und zu ordnen, fand ich mich am meisten gefördert, als ich die Gesetzmäßigkeit der physiologischen Erscheinungen, die Bedeutsamkeit der durch trübe Mittel hervorgebrachten, und endlich die versatile Beständigkeit der chemischen Wirkungen und Gegenwirkungen erkennen lernte. Hiernach bestimmte sich die Einteilung, der ich, weil ich sie als die beste befunden, stets treu geblieben. Nun ließ sich ohne Methode die Menge von Erfahrungen weder sondern noch verbinden; es wurden daher theoretische Erklärungsarten rege, und ich machte meinen Weg durch manche hypothetische Irrtümer und Einseitigkeiten. Doch ließ ich den überall sich wieder zeigenden Gegensatz, die einmal ausgesprochne Polarität nicht fahren, und zwar um so weniger, als ich mich durch solche Grundsätze imstand fühlte, die Farbenlehre an manches Benachbarte anzuschließen und mit manchem Entfernten in Reihe zu stellen. Auf diese Weise ist der gegenwärtige Entwurf einer Farbenlehre entstanden.
Nichts war natürlicher, als dass ich aufsuchte, was uns über diese Materie in Schriften überliefert worden, und es von den ältesten Zeiten bis zu den unsrigen nach und nach auszog und sammelte. Durch eigene Aufmerksamkeit, durch guten Willen und Teilnahme mancher Freunde kamen mir auch die seltnern Bücher in die Hände; doch nirgends bin ich auf einmal soviel gefördert worden als in Göttingen durch den mit großer Liberalität und tätiger Beihülfe gestatteten Gebrauch der unschätzbaren Büchersammlung. So häufte sich allmählich eine große Masse von Abschriften und Exzerpten, aus denen die Materialien zur Geschichte der Farbenlehre redigiert worden und wovon noch manches zu weiterer Bearbeitung zurückliegt.
Und so war ich, ohne es beinahe selbst bemerkt zu haben, in ein fremdes Feld gelangt, indem ich von der Poesie zur bildenden Kunst, von dieser zur Naturforschung überging, und dasjenige, was nur Hilfsmittel sein sollte, mich nun mehr als Zweck anreizte. Aber als ich lange genug in diesen fremden Regionen ver weilt hatte, fand ich den glücklichen Rückweg zur Kunst durch die physiologischen Farben und durch die sittliche und ästhetische Wirkung derselben überhaupt.
Ein Freund, Heinrich Meyer, dem ich schon früher in Rom manche Belehrung schuldig geworden, unter ließ nicht, nach seiner Rückkehr, zu dem einmal vor gesetzten Zweck, den er selbst wohl ins Auge gefasst hatte, mitzuwirken. Nach angestellten Erfahrungen, nach entwickelten Grundsätzen machte er manchen Versuch gefärbter Zeichnungen, um dasjenige mehr ins Licht zu setzen und wenigstens für uns selbst gewisser zu machen, was gegen das Ende meines Entwurfs über Farbengebung mitgeteilt wird. In den Propyläen versäumten wir nicht, auf manches hinzudeuten, und wer das dort Gesagte mit dem nunmehr umständlicher Ausgeführten vergleichen will, dem wird der innige Zusammenhang nicht entgehen.
Höchst bedeutend aber ward für das ganze Unter nehmen die fortgesetzte Bemühung des gedachten Freundes, der sowohl bei wiederholter Reise nach Italien, als auch sonst bei anhaltender Betrachtung von Gemälden die Geschichte des Kolorits zum vorzüglichen Augenmerk behielt und dieselbige entwarf, wie wir sie in zwei Abteilungen unsern Lesern vorgelegt haben: die ältere, welche hypothetisch genannt wird, weil sie, ohne genugsame Beispiele, mehr aus der Natur des Menschen und der Kunst als aus der Erfahrung zu entwickeln war; die neuere, welche auf Dokumenten beruht, die noch von jedermann betrachtet und beurteilt werden können.
Indem ich mich nun auf diese Weise dem Ende meines auf richtigen Bekenntnisses nähere, so werde ich durch einen Vorwurf angehalten, den ich mir mache, dass ich unter jenen vortrefflichen Männern, die mich geistig gefördert, meinen unersetzlichen Schiller nicht genannt habe. Dort aber empfand ich eine Art von Scheu, dem besonderen Denkmal, welches ich unserer Freundschaft schuldig bin, durch ein voreiliges Gedenken Abbruch zu tun. Nun will ich aber doch, in Betrachtung menschlicher Zufälligkeiten, aufs kürzeste bekennen, wie er an meinem Bestreben lebhaften Anteil genommen, sich mit den Phänomenen bekannt zu machen gesucht, ja sogar mit einigen Vorrichtungen umgeben, um sich an denselben vergnüglich zu belehren. Durch die große Natürlichkeit seines Genies ergriff er nicht nur schnell die Hauptpunkte, worauf es ankam; sondern wenn ich manchmal auf meinem beschaulichen Wege zögerte, nötigte er mich durch seine reflektierende Kraft, vorwärtszueilen, und riss mich gleichsam an das Ziel, wohin ich strebte. Und so wünsche ich nur, dass mir das Besondere dieser Verhältnisse, die mich noch in der Erinnerung glücklich machen, bald auszusprechen vergönnt sein möge.
Aber alle diese Fortschritte wären durch die ungeheuren Ereignisse dieser letzten Jahre noch kurz vor dem Ziel aufgehalten und eine öffentliche Mitteilung unmöglich geworden, hätte nicht unsere verehrteste Herzogin, mitten unter dem Drang und Sturm gewaltsamer Umgebungen, auch mich in meinem Kreise nicht allein gesichert und beruhigt, sondern zugleich aufs höchste aufgemuntert, indem sie einer Experimentaldarstellung der sämtlichen, sich nach meiner Einsicht nunmehr glücklich aneinanderschließenden Naturerscheinungen beizuwohnen und eine aufmerksame Versammlung durch ihre Gegenwart zu konzentrieren und zu beleben geruhte. Hierdurch allein wurde ich in den Stand gesetzt, alles Äußere zu vergessen und mir dasjenige lebhaft zu vergegenwärtigen, was bald einem größern Publikum mitgeteilt werden sollte. Und so sei denn auch hier am Schlusse, wie schon am Anfange geschehen, die durch ihren Einfluss glücklich vollbrachte Arbeit dieser nicht genug zu verehrenden Fürstin dankbar gewidmet.