Die erste französische Akademie, schon im Jahre 1634 eingerichtet, war der Sprache im allgemeinsten Sinne, der Grammatik, Rhetorik und Poesie gewidmet. Eine Versammlung von Naturforschern aber hatte zuerst in England stattgefunden.
In einem Brief an die Londoner Sozietät preist von Montmort- Desorbière die englische Nation glücklich, dass sie einen reichen Adel und einen König habe, der sich für die Wissenschaften interessiere, welches in Frankreich nicht der Fall sei. Doch fanden sich auch in diesem Lande schon so viel Freunde der Naturwissenschaften in einzelnen Gesellschaften zusammen, dass man von Hof aus nicht säumen konnte, sie näher zu vereinigen. Man dachte sich ein weit umfassendes Ganze und wollte jene erste Akademie der Redekünste und die neu einzurichtende der Wissenschaften miteinander vereinigen. Dieser Versuch gelang nicht; die Sprach- Akademiker schieden sich gar bald, und die Akademie der Wissenschaften blieb mehrere Jahre zwar unter königlichem Schutz, doch ohne eigentliche Sanktion und Konstitution, in einem gewissen Mittelzustand, in welchem sie sich gleichwohl um die Wissenschaften genug verdient machte.
Mit ihren Leistungen bis 1696 macht uns Du Hamel in seiner Regiae Scientiarum academiae historia auf eine stille und ernste Weise bekannt.
In dem Jahre 1699 wurde sie restauriert und völlig organisiert, von welcher Zeit an ihre Arbeiten und Bemühungen ununterbrochen bis zur Revolution fortgesetzt wurden.
Die Gesellschaft hielt sich, ohne sonderliche theoretische Tendenz, nahe an der Natur und deren Beobachtung, wobei sich von selbst versteht, dass in Absicht auf Astronomie, sowie auf alles, was dieser großen Wissenschaft vorausgehen muss, nicht weniger bei Bearbeitung der allgemeinen Naturlehre, die Mathematiker einen fleißigen und treuen Anteil bewiesen. Naturgeschichte, Tierbeschreibung, Tieranatomie beschäftigten manche Mitglieder und bereiteten vor, was später von Buffon und Daubenton ausgeführt wurde.
Im ganzen sind die Verhandlungen dieser Gesellschaft ebenso wenig methodisch als die der englischen; aber es herrscht doch eher eine Art von verständiger Ordnung darin. Man ist hier nicht so konfus wie dort, aber auch nicht so reich. In Absicht auf Farbenlehre verdanken wir derselben folgendes:
Mariotte
Unter dem Jahre 1679 gibt uns die Geschichte der Akademie eine gedrängte aber hinreichende Nachricht von den Mariottischen Arbeiten. Sie bezeigt ihre Zufriedenheit über die einfache Darstellung der Phänomene und äußert, dass es sehr wohl getan sei, auf eine solche Weise zu verfahren, als sich in die Aufsuchung entfernterer Ursachen zu verlieren.
De La Hire
Im Jahre 1678 hatte dieser in einer kleinen Schrift, Accidents de la vue, den Ursprung des Blauen ganz richtig gefasst, dass nämlich ein dunkler schwärzlicher Grund, durch ein durchscheinendes weißliches Mittel gesehen, die Empfindung von Blau gebe.
Unter dem Jahre 1711 findet sich in den Memoiren der Akademie ein kleiner Aufsatz, worin diese Ansicht wiederholt und zugleich bemerkt wird, dass das Sonnenlicht durch ein angerauchtes Glas rot erscheine. Er war, wie man sieht, auf dem rechten Wege, doch fehlte es ihm an Entwicklung des Phänomens. Er drang nicht weit genug vor, um einzusehen, dass das angerauchte Glas hier nur als ein Trübes wirke, indem dasselbe, wenn es leicht angeraucht ist, vor einen dunklen Grund gehalten, bläulich erscheint. Ebenso wenig gelang es ihm, das Rote aufs Gelbe zurück- und das Blaue aufs Violette vorwärtszuführen. Seine Bemerkung und Einsicht blieb daher unfruchtbar liegen.
Wegen übereinstimmender Gesinnungen schalten wir an dieser Stelle einen Deutschen ein, den wir sonst nicht schicklicher unter zubringen wussten.
Johann Michael Conradi
Anweisung zur Optica. Koburg 1710 in 4 Pag. 18. § 16. «Wo das Auge nichts siehet, so meinet es, es sehe etwas Schwarzes; als wenn man des Nachts gen Himmel siehet, da ist wirklich nichts, und man meinet, die Sterne hingen an einem schwarzen expanso. Wo aber eine durchscheinende Weiße vor dieser Schwärze oder diesem Nichts stehet, so gibt es eine blaue Farbe, daher der Himmel des Tages blau siehet, weil die Luft wegen der Dünste weiß ist. Dahero je reiner die Luft ist, je hochblauer ist der Himmel, als wo ein Gewitter vorüber ist, und die Luft von denen vielen Dünsten gereinigt; je dünstiger aber die Luft ist, desto weißlicher ist diese blaue Farbe. Und daher scheinen auch die Wälder von weitem blau, weil vor dem schwarzen schattenvollen Grün die weiße und illuminierte Luft sich befindet.»
Malebranche
Wir haben schon oben S. 472 den Entwurf seiner Lehre eingerückt. Er gehört unter diejenigen, welche Licht und Farbe zarter zu behandeln glaubten, wenn sie sich diese Phänomene als Schwingungen erklärten. Und es ist bekannt, dass diese Vorstellungsart durch das ganze achtzehnte Jahrhundert Gunst gefunden.
Nun haben wir schon geäußert, dass nach unserer Überzeugung damit gar nichts gewannen ist. Denn wenn uns der Ton deswegen begreiflicher zu sein scheint als die Farbe, weil wir mit Augen sehen und mit Händen greifen können, dass eine mechanische Impulsion Schwingungen an den Körpern und in der Luft hervorbringt, deren verschiedene Maßverhältnisse harmonische und disharmonische Töne bilden, so erfahren wir doch dadurch keineswegs, was der Ton sei und wie es zugehe, dass diese Schwingungen und ihre Abgemessenheiten das, was wir im allgemeinen Musik nennen, hervorbringen mögen. Wenn wir nun aber gar diesen mechanischen Wirkungen, die wir für intelligibel halten, weil wir einen gewissermaßen groben Anstoß so zarter Erscheinungen bemerken können, zum Gleichnis brauchen, um das, was Licht und Farbe leisten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen, so ist dadurch eigentlich gar nichts getan. Statt der Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Äther zu supponieren, der durch die Anregung des Lichts auf eine ähnliche Weise vibriere, bringt das Geschäft um nichts weiter: denn freilich ist am Ende alles Leben und Bewegung, und beide können wir doch nicht anders gewahr werden, als dass sie sich selbst rühren und durch Berührung das Nächste zum Fortschritt anreizen.
Wie unendlich viel ruhiger ist die Wirkung des Lichts als die des Schalles. Eine Welt, die so anhaltend von Schall erfüllt wäre, als sie es von Licht ist, würde ganz unerträglich sein.
Durch diese oder eine ähnliche Betrachtung ist wahrscheinlich Malebranche, der ein sehr zart fühlender Mann war, auf seine wunderlichen Vibrations de pression geführt worden, da die Wirkung des Lichts durchaus mehr einem Druck als einem Stoß ähnlich ist. Wovon diejenigen, welche es interessiert, die Memoiren der Akademie von 1699 nachsehen werden.
Bernard le Bovier de Fontenelle
1657 – 1757
Es war nicht möglich, dass die Franzosen sich lange mit den Wissenschaften abgaben, ohne solche ins Leben, ja in die Sozietät zu ziehen und sie durch eine gebildete Spracht der Redekunst, wo nicht gar der Dichtkunst zu überliefern. Schon länger als ein halbes Jahrhundert war man gewohnt, über Gedichte und prosaische Aufsätze, über Theaterstücke, Kanzelreden, Memoiren, Lobreden und Biographien in Gesellschaften zu dissertieren und seine Meinung, sein Urteil gegenseitig zu eröffnen. Im Briefwechsel suchten Männer und Frauen der oberen Stände sich an Einsicht in die Welthändel und Charaktere, an Leichtigkeit, Heiterkeit und Anmut bei der möglichsten Bestimmtheit zu übertreffen; und nun trat die Naturwissenschaft als eine spätre Gabe hinzu. Die Forscher so gut als andre Literatoren und Gelehrte lebten in der Welt und für die Welt; sie mussten auch für sich Interesse zu erregen suchen und erregten es leicht und bald.
Aber ihr Hauptgeschäft lag eigentlich von der Welt ab. Die Untersuchung der Natur durch Experimente, die mathematische oder philosophische Behandlung des Erfahrenen, erforderte Ruhe und Stille, und weder die Breite noch die Tiefe der Erscheinung sind geeignet, vor die Versammlung gebracht zu werden, die man gewöhnlich Sozietät nennt. Ja manches Abstrakte, Abstruse lässt sich in die gewöhnliche Sprache nicht übersetzen. Aber dem lebhaften, geselligen, mundfertigen Franzosen schien nichts zu schwer, und gedrängt durch die Nötigung einer großen gebildeten Masse, unternahm er eben Himmel und Erde mit allen ihren Geheimnissen zu vulgarisieren.
Ein Werk dieser Art ist Fontenelles Schrift über die Mehrheit der Welten. Seitdem die Erde im Kopernikanischen System auf einem subalternen Platz erschien, so traten vor allen Dingen die übrigen Planeten in gleiche Rechte. Die Erde war bewachsen und bewohnt, alle Klimaten brachten nach ihren Bedingungen und Eigenheiten eigene Geschöpfe hervor, und die Folgerung lag ganz nahe, dass die ähnlichen Gestirne, und vielleicht auch gar die unähnlichen, ebenfalls mit Leben übersät und beglückt sein müssten. Was die Erde an ihrem hohen Rang verloren, ward ihr gleichsam hier durch Gesellschaft ersetzt, und für Menschen, die sich gern mitteilen, war es ein angenehmer Gedanke, früher oder später einen Besuch auf den umliegenden Welten abzustatten. Fontenelles Werk fand großen Beifall und wirkte viel, indem es außer dem Hauptgedanken noch manches andere, den Weltbau und dessen Einrichtung betreffend, popularisieren musste.
Dem Redner kommt es auf den Wert, die Würde, die Vollständigkeit, ja die Wahrheit seines Gegenstandes nicht an die Hauptfrage ist, ob er interessant sei oder interessant gemacht werde. Die Wissenschaft selbst kann durch eine solche Behandlung wohl nicht gewinnen, wie wir auch in neuerer Zeit durch das Feminisieren und Infantisieren so mancher höheren und profunderen Materie gesehen haben. Dasjenige wovon das Publikum hört, dass man sich damit in den Werkstätten, in den Studierzimmern der Gelehrten beschäftige, das will es auch näher kennen lernen, um nicht ganz albern zuzusehen, wenn die Wissenden davon sich laut unterhalten. Darum beschäftigen sich so viele Redigierende, Epitomisierende, Ausziehende, Urteilende, Vorurteilende; die launigen Schriftsteller verfehlen nicht, Seitenblicke dahin zu tun; der Komödienschreiber scheut sich nicht, das Ehrwürdige auf dem Theater zu verspotten, wobei die Menge immer am freisten Atem holt, weil sie fühlt, dass sie etwas Edles, etwas Bedeutendes los ist und dass sie vor dem, was andre für wichtig halten, keine Ehrfurcht zu haben braucht.
Zu Fontenelles Zeiten war dieses alles erst im Werden. Es lässt sich aber schon bemerken, dass Irrtum und Wahrheit, so wie sie im Gange waren, von guten Köpfen ausgebreitet, und eins wie das andre wechselweise mit Gunst oder Ungunst behandelt wurden.
Dem großen Rufe Newtons, als derselbe in einem hohen Alter mit Tode abging, war niemand gewachsen. Die Wirkungen seiner Persönlichkeit erschienen durch ihre Tiefe und Ausbreitung der Welthöchst ehrwürdig, und jeder Verdacht, dass ein solcher Mann geirrt haben könnte, wurde weggewiesen. Das Unbedingte, an dem sich die menschliche Natur erfreut, erscheint nicht mächtiger als im Beifall und im Tadel, im Hass und der Neigung der Menge. Alles oder Nichts ist von jeher die Devise des angeregten Demos.
Schon von jener ersten, der Sprache gewidmeten Akademie ward der löbliche Gebrauch eingeführt, bei dem Totenamte, das einem verstorbenen Mitgliede gehalten wurde, eine kurze Nachricht von des Abgeschiedenen Leben mitzuteilen. Pelisson, der Geschichtsschreiber jener Akademie, gibt uns solche Notizen von den zu seiner Zeit verstorbenen Gliedern, auf seine reine, natürliche, liebenswürdige Weise. Je mehr nachher diese Institute selbst sich Ansehn geben und verschaffen, je mehr man Ursache hat, aus den Toten etwas zu machen, damit die Lebendigen als etwas erscheinen, desto mehr werden solche Personalien aufgeschmückt und treten in der Gestalt von Elogien hervor.
Dass nach dem Tode Newtons, der ein Mitglied der französischen Akademie war, eine bedeutende, allgemein verständliche, von den Anhängern Newtons durchaus zu billigende Lobrede würde gehalten werden, ließ sich erwarten. Fontenelle hielt sie. Von seinem Leben und seiner Lehre, und also auch von seiner Farbentheorie wurde mit Beifall Rechenschaft gegeben. Wir übersetzen die hierauf bezüglichen Stellen und begleiten sie mit einigen Bemerkungen, welche durch den polemischen Teil unsrer Arbeit bestätigt und gerechtfertigt werden.
Fontenelles Lobrede auf Newton
«Zu gleicher Zeit, als Newton an seinem großen Werk der Prinzipien arbeitete, hatte er noch ein anderes unter Händen, das ebenso original und neu, weniger allgemein durch seinen Titel, aber durch die Manier, in welcher der Verfasser einen einzelnen Gegenstand zu behandeln sich vornahm, ebenso ausgebreitet werden sollte. Es ist die Optik, oder das Werk über Licht und Farbe, welches zum erstenmal 1704 erschien. Er hatte in dem Lauf von dreißig Jahren die Experimente angestellt, deren er bedurfte.»
In der Optik steht kein bedeutendes Experiment, das sich nicht schon in den Optischen Lektionen fände, ja in diesen steht manches, was in jener ausgelassen ward, weil es nicht in die künstliche Darstellung passte, an welcher Newton dreißig Jahre gearbeitet hat.
«Die Kunst, Versuche zu machen, in einem gewissen Grade, ist keineswegs gemein. Das geringste Faktum, das sich unsern Augen darbietet, ist aus so viel andern Fakten verwickelt, die es zusammensetzen oder bedingen, dass man ohne eine außerordentliche Gewandtheit nicht alles, was darin begriffen ist, entwickeln noch ohne vorzüglichen Scharfsinn vermuten kann, was alles darin begriffen sein dürfte. Man muss das Faktum, wovon die Rede ist, in so viel andre trennen, die abermals zusammengesetzt sind, und manchmal, wenn man seinen Weg nicht gut gewählt hätte, würde man sich in Irrgänge einlassen, aus welchen man keinen Ausgang fände. Die ursprünglichen und elementaren Fakta scheinen von der Natur mit so viel Sorgfalt wie die Ursachen versteckt worden zu sein; und gelangt man endlich dahin, sie zu sehen, so ist es ein ganz neues und überraschendes Schauspiel.»
Dieser Periode, der dem Sinne nach allen Beifall verdient, wenngleich die Art des Ausdrucks vielleicht eine nähere Bestimmung erforderte, passt auf Newton nur dem Vorurteil, keineswegs aber dem Verdienst nach: denn eben hier liegt der von uns erwiesene, von ihm begangene Hauptfehler, dass er das Phänomen in seine einfachen Elemente nicht zerlegt hat; welches doch bis auf einen gewissen Grad leicht gewesen wäre, da ihm die Erscheinungen, aus denen sein Spektrum zusammengesetzt wird, selbst nicht unbekannt waren.
«Der Gegenstand dieser Optik ist durchaus die Anatomie des Lichts. Dieser Ausdruck ist nicht zu kühn, es ist die Sache selbst.»
So weit war man nach und nach im Glauben gekommen! An die Stelle des Phänomens setzte man eine Erklärung; nun nannte man die Erklärung ein Faktum, und das Faktum gar zuletzt eine Sache. Bei dem Streite mit Newton, da er ihn noch selbst führte, findet man, dass die Gegner seine Erklärung als Hypothese behandelten; er aber glaubte, dass man sie als eine Theorie ja wohl gar ein Faktum nennen könnte, und nun macht sein Lobredner die Erklärung gar zur Sache!
«Ein sehr kleiner Lichtstrahl,»
Hier ist also der hypothetische Lichtstrahl: denn bei dem Experiment bleibt es immer das ganze Sonnenbild.
«den man in eine vollkommen dunkle Kammer hereinlässt,»
In jedem hellen Zimmer ist der Effekt ebenderselbe.
«der aber niemals so klein sein kann, dass er nicht noch eine unendliche Menge von Strahlen enthielte, wird geteilt, zerschnitten, so dass man nun die Elementarstrahlen hat,»
Man hat sie! und wohl gar als Sache!
«aus welchen er vorher zusammengesetzt war, die nun aber voneinander getrennt sind, jeder von einer andern Farbe gefärbt, die nach dieser Trennung nicht mehr verändert werden können. Das Weiße also war der gesamte Strahl vor seiner Trennung und entstand aus dem Gemisch aller dieser besondern Farben der primitiven Lichtstrahlen.»
Wie es sich mit diesen Redensarten verhalte, ist anderwärts genugsam gezeigt.
«Die Trennung dieser Strahlen war so schwer,»
Hinter die Schwierigkeit der Versuche steckt sich die ganze Newtonische Schule. Das, was an den Erscheinungen wahr und natürlich ist, lässt sich sehr leicht darstellen, was aber Newton zusammengekünstelt hat, um seine falsche Theorie zu beschönigen, ist nicht sowohl schwer, als beschwerlich (troublesome) darzustellen. Einiges, und gerade das Haupt sächlichste, ist sogar unmöglich. Die Trennung der farbigen Strahlen in sieben runde, völlig voneinander abstehende Bilder ist ein Märchen, das bloß als imaginäre Figur auf dem Papier steht und in der Wirklichkeit gar nicht darzustellen ist.
«dass Herr Mariotte, als er auf das erste Gerücht von Herrn Newtons Erfahrungen diese Versuche unternahm,»
Ehe Mariotte seinen Traktat über die Farben herausgab, konnte er den Aufsatz in den Transaktionen recht gut gelesen haben.
«sie verfehlte, er, der so viel Genie für die Erfahrung hatte und dem es bei andern Gegenständen so sehr geglückt ist.»
Und so musste der treffliche Mariotte, weil er das Hokuspokus, vor dem sich die übrigen Schulgläubigen beugten, als ein ehrlicher Mann, der Augen hatte, nicht anerkennen wollte, seinen wohlhergebrachten Ruf als guter Beobachter vor seiner eigenen Nation verlieren, den wir ihm denn hiermit auf das vollkommenste wiederherzustellen wünschen.
«Noch ein anderer Nutzen dieses Werks der Optik, so groß vielleicht als der, den man aus der großen Anzahl neuer Kenntnisse nehmen kann, womit man es angefüllt findet, ist, dass es ein vortreffliches Muster liefert der Kunst, sich in der Experimentalphilosophie zu benehmen.»
Was man sich unter Experimentalphilosophie gedacht, ist oben schon ausgeführt, so wie wir auch gehörigen Orts dargetan haben, dass man nie verkehrter zu Werke gegangen ist, um eine Theorie auf Experimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experimente an eine Theorie anzuschließen.
«Will man die Natur durch Erfahrungen und Beobachtungen fragen, so muss man sie fragen wie Herr Newton, auf eine so gewandte und dringende Weise.»
Die Ausdrücke gewandt und dringend sind recht wohl angebracht, um die Newtonische künstliche Behandlungsweise auszudrücken. Die englischen Lobredner sprechen gar von nice experiments, welches Beiwort alles, was genau und streng, scharf, ja spitzfindig, behutsam, vorsichtig, bedenklich, gewissenhaft und pünktlich bis zur Übertreibung und Kleinlichkeit einschließt. Wir können aber ganz kühnlich sagen: die Experimente sind einseitig, man lässt den Zuschauer nicht alles sehen, am wenigsten das, worauf es eigentlich ankommt; sie sind unnötig umständlich, wodurch die Aufmerksamkeit zerstreut wird; sie sind kompliziert, wodurch sie sich der Beurteilung entziehen, und also durchaus taschenspielerisch.
«Sachen, die sich fast der Untersuchung entziehen, weil sie zu subtil (déliées) sind,»
Hier haben wir schon wieder Sachen, und zwar so ganz feine, flüchtige, der Untersuchung entwischende Sachen!
«versteht er dem Kalkül zu unterwerfen, der nicht allein das Wissen guter Geometer verlangt, sondern, was mehr ist, eine besondre Geschicklichkeit.»
Nun, so wäre denn endlich die Untersuchung in die Geheimnisse der Mathematik gehüllt, damit doch ja niemand so leicht wage, sich diesem Heiligtum zu nähern.
«Die Anwendung, die er von seiner Geometrie macht, ist so fein, als seine Geometrie erhaben ist.»
Auf diesen rednerischen Schwung und Schwank brauchen wir nur so viel zu erwidern, dass die Hauptformeln dieser sublim feinen Geometrie nach Entdeckung der achromatischen Fernröhre falsch befunden und dafür allgemein anerkannt sind. Jene famose Messung und Berechnung des Farbenbildes, wodurch ihnen eine Art von Tooleiter angedichtet wird, ist von uns auch anderweit vernichtet worden, und es wird von ihr zum Überfluss noch im nächsten Artikel die Rede sein.
Jean- Jacques d’Ortous de Mairan
1678 – 1771
Ein Mann, gleichsam von der Natur bestimmt, mit Fontenellen zu wetteifern, unterrichtet, klar, scharfsinnig, fleißig, von einer sozialen und höchstgefälligen Natur. Er folgte Fontenellen im Sekretariat bei der Akademie, schrieb einige Jahre die erforderlichen Lobreden, erhielt sich die Gunst der vornehmen und rührigen Welt bis in sein Alter, das er beinahe so hoch als Fontenelle brachte. Uns geziemt nur, desjenigen zu gedenken, was er getan, um die Farbenlehre zu fördern.
Schon mochte bei den Physikern vergessen sein, was Mariotte für diese Lehre geleistet; der Weg, den er gegangen, den er eingeleitet, war vielleicht zum zweitenmal von einem Franzosen nicht zu betreten. Er hatte still und einsam gelebt, so dass man beinahe nichts von ihm weiß, und wie wäre es sonst auch möglich gewesen, den Erfahrungen mit solcher Schärfe und Genauigkeit bis in ihre letzten notwendigsten und einfachsten Bedingungen zu folgen. Von Nuguet und demjenigen, was er im Journal von Trovoux geäußert, scheint niemand die mindeste Notiz genommen zu haben. Ebenso wenig von De la Hires richtigem Aperçu wegen des Blauen und Roten. Alles das war für die Franzosen verloren, deren Blick durch die magische Gewalt des englischen Gestirns fasziniert worden. Newton war Präsident einer schon gegründeten Sozietät, als die französische Akademie in ihrer ersten Bildungsepoche begriffen war; sie schätzte sich’s zur Ehre, ihn zum Mitglied aufzunehmen, und von diesem Augenblick an scheinen sie auch seine Lehre, seine Gesinnungen adoptiert zu haben.
Gelehrte Gesellschaften, sobald sie, vom Gouvernement bestätigt, einen Körper ausmachen, befinden sich in Absicht der reinen Wahrheit in einer misslichen Lage. Sie haben einen Rang und können ihn mitteilen; sie haben Rechte und können sie übertragen; sie stehen gegen ihre Glieder, sie stehen gegen gleiche Korporationen, gegen die übrigen Staatszweige, gegen die Nation, gegen die Welt in einer gewissen Beziehung. Im einzelnen verdient nicht jeder, den sie aufnehmen, seine Stelle; im einzelnen kann nicht alles, was sie billigen, recht, nicht alles was sie tadeln, falsch sein: denn wie sollten sie vor allen andern Menschen und ihren Versammlungen das Privilegium haben, das Vergangene ohne hergebrachtes Urteil, das Gegenwärtige ohne leidenschaftliches Vorurteil, das Neuauftretende ohne misstrauische Gesinnung und das Künftige ohne übertriebene Hoffnung oder Apprehension zu kennen, zu beschauen, zu betrachten und zu erwarten.
So wie bei einzelnen Menschen, um so mehr bei solchen Gesellschaften, kann nicht alles um der Wahrheit willen geschehen, welche eigentlich ein überirdisches Gut, selbständig und über alle menschliche Hülfe erhaben ist. Wer aber in diesem irdischen Wesen Existenz, Würde, Verhältnisse jeder Art erhalten will, bei dem kommt manches in Betracht, was vor einer höheren Ansicht sogleich verschwinden müsste.
Als Glied eines solchen Körpers, der sich nun schon die Newtonische Lehre als integrierenden Teil seiner Organisation angeeignet hatte, müssen wir Mairan betrachten, wenn wir gegen ihn gerecht sein wollen. Außerdem ging er von einem Grundsatze aus, der sehr löblich ist, wenn dessen Anwendung nur nicht so schwer und gefährlich wäre, von dem Grundsatze der Einförmigkeit der Natur, von der Überzeugung, es sei möglich, durch Betrachtung der Analogien ihrem Gesetzlichen näher zu kommen. Bei seiner Vorliebe für die Schwingungslehre erfreute ihn deswegen die Vergleichung, welche Newton zwischen dem Spektrum und dem Monochord anstellte. Er beschäftigte sich damit mehrere Jahre: denn von 1720 finden sich seine ersten Andeutungen, 1738 seine letzten Ausarbeitungen.
Rizzetti ist ihm bekannt, aber dieser ist schon durch Desaguliers aus den Schranken getrieben; niemand denkt mehr an die wichtigen Fragen, welche der Italiener zur Sprache gebracht; niemand an die große Anzahl von bedeutenden Erfahrungen, die er aufgestellt: alles ist durch einen wunderlichen Zauber in das Newtonische Spektrum versenkt und an demselben gefesselt, gerade so, wie es Newton vorzustellen beliebt.
Wenn man bedenkt, dass Mairan sich an die zwanzig Jahre mit dieser Sache wenigstens von Zeit zu Zeit abgegeben, dass er das Phänomen selbst wieder hervorgebracht, das Spektrum gemessen und die gefundenen Maße auf eine sehr geschickte, ja künstlichere Art als Newton selbst auf die Moll- Tonleiter angewendet; wenn man sieht, dass er in nichts weder an Aufmerksamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß gespart, wie wirklich seine Ausarbeitung zierlich und allerliebst ist, so darf man es sich nicht verdrießen lassen, dass alles dieses umsonst geschehen, sondern man muss es eben als ein Beispiel betrachten, dass falsche Annahmen so gut wie wahre auf das genauste durchgearbeitet werden können.
Beinahe unbegreiflich jedoch bleibt es, dass Mairan, welcher das Spektrum wiederholt gemessen haben muss, nicht zufällig seine Tafel näher oder weiter vom Prisma gestellt hat, da er denn notwendig hätte finden müssen, dass in keinem von beiden Fällen die Newtonischen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten, dass er in der Dunkelheit seines Vorurteils immer erst die Tafel so gerückt, bis er die Maße nach der Angabe richtig erfunden. So muss auch sein Apparat höchst beschränkt gewesen sein: denn er hätte bei jeder größern Öffnung im Fensterladen und beibehaltner ersten Entfernung abermals die Maße anders finden müssen.
Dem sei nun, wie ihm wolle, so scheinet sich durch diese, im Grunde redlichen, bewundernswürdigen, und von der Akademie gebilligten Bemühungen die Newtonische Lehre nur noch fester gesetzt und den Gemütern noch tiefer eingeprägt zu haben. Doch ist es sonderbar, dass seit 1738, als unter welchem Jahre die gedachte Abhandlung sich findet, der Artikel Farbe aus dem Register der Akademie verschwindet und kaum späterhin wieder zum Vorschein kommt.
Kardinal Polignac
1661 – 1741
Im Gefolg der Akademiker führen wir diesen Mann auf, der als Welt- und Staatsmann und Negociateur einen großen Ruf hinterlassen hat, dessen weit umgreifender Geist aber sich über andere Gegenstände, besonders auch der Naturwissenschaft, verbreitete. Der Descartischen Lehre, zu der er in früher Jugend gebildet worden, blieb er treu und war also gewissermaßen ein Gegner Newtons. Rizzetti dedizierte demselben sein Werk De Luminis affectionibus. Unser Kardinal beschäftigte sich mit Prüfung der Newtonischen Lehre. Gauger behauptet in seinen Briefen, p. 40: der Kardinal sei durch das Experimentum Crucis überzeugt worden. Eine Stelle aus den Anecdotes littéraires, Paris 1750. Tom. 2, p. 430, lassen wir im Original abdrucken, welche sich auf diese Untersuchungen bezieht.
Les expériences de Newton avoient été tentées plusieurs fois en France, et toujours sans succès, d’où l’on commençoit à inférer, que le Système du docte Anglois ne pouvoit pas se soutenir. Le Cardinal de Polignac, qui n’a jamais été Newtonien, dit, qu’un fait avancé par Newton, ne devoit pas être nié légèrement, et qu’il falloit recommencer les expériences jusqu’à ce qu’on pût s’assurer de les avoir bien faites. If fit venir des prismes d’Angleterre. Les expériences furent faites en sa présence aux Cordeliers, et elles réussirent. Il ne put jamais cependant parvenir à faire du blanc, par la réunion des rayons, d’où il conclut que le blanc n’est pas le résultat de cette réunion, mais le produit des rayons directs, non rompus et non réfrangibles. Newton, qui s’étoit plaint du peu d’exactitude et même du peu de bonne foi des Physiciens François, écrivit au Cardinal, pour le remercier d’un procédé si honnête et qui marquoit tant de droiture.
Wir gestehen gern, dass wir mit den gesperrt gedruckten Worten nichts anzufangen wissen. Wahrscheinlich hat sich der Kardinal mündlich über diese Sache anders ausgedrückt, und man hat ihn unrecht verstanden.
Dem sei nun, wie ihm sei, so haben wir nicht Ursache, uns dabei aufzuhalten: denn es ist außer Zweifel, dass der Kardinal die Newtonische diverse Refrangibilität angenommen, wie aus einer Stelle seines Anti- Lucretius hervorgeht, wo er, im Begriff, Newtonen in einigen Punkten zu widersprechen, hiezu durch Lob und Beifall sich gleichsam die Erlaubnis zu nehmen sucht.
LIB. II. v. 874
Dicam
Tanti pare viri, quo non solertior alter
Naturam rerum ad leges componere motûs,
Ac Mandi partes justâ perpendere librâ,
Et radium Solis transverso prismate fractum
Septem in primigenos permansurosque colores
Solvere; quî potuit Spatium sibi fingere vanum,
Quad nihil est, multisque prius nihil esse probatum est?
Voltaire
1694 – 1778
In der besten Zeit dieses außerordentlichen Mannes war es zum höchsten Bedürfnis geworden, Göttliches und Menschliches, Himmlisches und Irdisches vor das Publikum überhaupt, besonders vor die gute Gesellschaft zu bringen, um sie zu unterhalten, zu belehren, aufzuregen, zu erschüttern. Gefühle, Taten, Gegenwärtiges, Vergangnes, Nahes und Entferntes, Erscheinungen der sittlichen und der physischen Welt, von allem musste geschöpft, alles, wenn es auch nicht zu erschöpfen war, oberflächlich gekostet werden.
Voltairens großes Talent, sich auf alle Weise, sich in jeder Form zu kommunizieren, machte ihn für eine gewisse Zeit zum unumschränkten geistigen Herrn seiner Nation. Was er ihr anbot, musste sie aufnehmen; kein Widerstreben half: mit aller Kraft und Künstlichkeit wusste er seine Gegner beiseitezudrängen, und was er dem Publikum nicht aufnötigen konnte, das wusste er ihm aufzuschmeicheln, durch Gewöhnung anzueignen.
Als Flüchtling fand er in England die beste Aufnahme und jede Art von Unterstützung. Von dorther zurückgekehrt, machte er sich’s zur Pflicht, das Newtonische Evangelium, das ohnehin schon die allgemeine Gunst erworben hatte, noch weiter auszubreiten und vorzüglich die Farbenlehre den Gemütern recht einzuschärfen. Zu diesen physischen Studien scheint er besonders durch seine Freundin, die Marquise Du Châtelet, geführt worden zu sein, wobei jedoch merkwürdig ist, dass in ihren Institutions physiques, Amsterdam 1742, nichts von den Farben vorkommt. Es ist möglich, dass sie die Sache schon durch ihren Freund für völlig abgetan gehalten, dessen Bemühungen wir jedoch nicht umständlich rezensieren, sondern nur mit wenigem einen Begriff davon zu geben suchen.
Elémens de la philosophie de Newton mis à la portée de tout le monde. Amsterdam 1738.
In der Epistel an die Marquise Du Châtelet heißt es:
Il déploye à mes yeux par une main savante
De l’Astre des Saisons la robe étincelante.
L’émeraude, l’azur, le pourpre, le rubis,
Sont l’immortel tissu dont brillent ses habits.
Chacun de ses rayons dans sa substance pure,
Porte en soi les couleurs dont se peint la Nature,
Et confondus ensemble, ils éclairent nos yeux,
Ils animent le Monde, ils emplissent les Cieux.
Der Vortrag selbst ist heiter, ja mitunter drollig, wie es sich von Voltairen erwarten lässt, dagegen aber auch unglaublich seicht und schief. Eine nähere Entwickelung wäre wohl der Mühe wert. Fakta, Versuche, mathematische Behandlung derselben, Hypothese, Theorie sind so durcheinander geworfen, dass man nicht weiß, was man denken und sagen soll, und das heißt zuletzt triumphierende Wahrheit.
Die beigefügten Figuren sind äußerst schlecht. Sie drücken als Linearzeichnungen allenfalls die Newtonischen Versuche und Lehren aus; die Fensterchen aber, wodurch das Licht hereinfällt, und die Puppen, die zusehen, sind ganz sinn- und geschmacklos.
Beispiele von Voltaires Vorurteilen für Newton
Brief an Herrn Thiriot den 7ten August 1738
«Wenn man Herrn Algarotti den behauptenden Ton vorwirft, so hat man ihn nicht gelesen. Viel eher könnte man ihm vorwerfen, nicht genug behauptet zu haben; ich meine, nicht genug Sachen gesagt und zu viel gesprochen zu haben. Übrigens, wenn das Buch nach Verdienst übersetzt ist, so muss es Glück machen.»
«Was mein Buch betrifft (Elémens de la philosophie de Newton), so ist es bis jetzt das erste in Europa, das parvulos ad regnum coelorum berufen hat: denn regnum coelorum ist Newton; die Franzosen überhaupt sind parvuli genug. Mit Euch bin ich nicht einig, wenn Ihr sagt, es seien neue Meinungen in Newtons Werken. Erfahrungen sind es und Berechnungen, und zuletzt muss die ganze Welt sich unterwerfen. Die Regnaults und Castels werden den Triumph der Vernunft auf die Länge nicht verhindern.»
In demselben Briefe
«Der Pater Castel hat wenig Methode, sein Geist ist das Umgekehrte vom Geiste des Jahrhunderts. Man könnte nicht leicht einen Auszug verworrener und unbelehrender einrichten.»
Brief an Herrn Formont den I. April 1740
«Also habt Ihr den unnützen Plunder über die Färberei gelesen, den Herr Pater Castel seine Optik nennt. Es ist lustig genug, dass er sich beigehen lässt zu sagen: Newton habe sich betrogen, ohne es im mindesten zu beweisen, ohne den geringsten Versuch über die ursprünglichen Farben gemacht zu haben. Es scheint, die Physik will nun drollig werden, seitdem es die Komödie nicht mehr ist.»
Algarotti
1712 – 1774
Stammend aus einem reichen venezianischen Kaufmannshause, erhielt er bei sehr schönen Fähigkeiten seine erste Bildung in Bologna, reiste schon sehr jung, und kam im zwanzigsten Jahre nach Paris. Dort ergriff auch er den Weg der Popularisation eines abstrusen Gegenstandes, um sich bekannt und beliebt zu machen. Newton war der Abgott des Tages, und das siebenfarbige Licht ein gar zu lustiger Gegenstand. Algarotti betrat die Pfade Fontenelles, aber nicht mit gleichem Geist, gleicher Anmut und Glück. Fontenelle steht sowohl in der Konzeption als in der Ausführung sehr viel höher. Bei ihm geht ein Abbé mit einer schönen Dame, die aber mit wenig Zügen so geschildert ist, dass einem kein Liebesverhältnis einfallen kann, bei sternhellem Himmel spazieren. Der Abbé wird über dieses Schauspiel nachdenklich; sie macht ihm Vorwürfe, und er macht ihr dagegen die Würde dieses Anblicks begreiflich. Und so knüpft sich das Gespräch über die Mehrheit der Welten an. Sie setzen es immer nur abends fort und der herrlichste Sternhimmel wird jedesmal für die Einbildungskraft zurückgerufen. Von einer solchen Vergegenwärtigung ist bei Algarotti keine Spur. Er befindet sich zwar auch in der Gesellschaft einer schönen Marchesina, an welche viel Verbindliches zu richten wäre, umgeben von der schönsten italienischen Gegend; allein Himmel und Erde mit allen ihren bezaubernden Farben bieten ihm keinen Anlass dar, in die Materie hinein zu kommen; die Dame muss zufälligerweise in irgendeinem Sonett von dem siebenfachen Lichte gelesen haben, das ihr denn freilich etwas seltsam vorkommt. Um ihr nun diese Phrase zu erklären, holt der Gesellschafter sehr weit aus, indem er, als ein wohlunterrichteter Mann, von der Naturforschung überhaupt und über die Lehre vom Licht besonders manches Historische und Dogmatische recht gut vorbringt. Allein zuletzt, da er auf die Newtonische Lehre übergehen will, geschieht es durch einen Sprung, wie denn ja die Lehre selbst durch einen Sprung in die Physik gekommen. Und wer ein Buch mit aufmerksamer Teilnahme zu lesen gewohnt ist, wird sogleich das Unzusammenhängende des Vortrags empfinden. Die Lehre kommt von nichts und geht zu nichts. Er muss sie starr und steif hinlegen, wie sie der Meister überliefert hat. Auch zeigt er sich nicht einmal so gewandt, die schöne Dame in eine dunkle Kammer zu führen, wohin er ja allenfalls, des Anstands und selbst des bessern Dialogs wegen, eine Vertraute mitnehmen konnte. Bloß mit Worten führt er ihr die Phänomene vor, erklärt sie mit Worten, und die schöne Frau wird auf der Stelle so gläubig als hundert andre. Sie braucht auch über die Sache nicht weiter nachzudenken; sie ist über die Farben auf immer beruhigt. Denn Himmelblau und Morgenrot, Wiesengrün und Veilchenblau, alles entspringt aus Strahlen und noch einmal Strahlen, die so höflich sind, sich in Feuer, Wasser, Luft und Erde, an allen lebendigen und leblosen Gegenständen, auf jede Art und Weise spalten, verschlucken, zurückwerfen und bunt herumstreuen zu lassen. Und damit glaubt er sie genugsam unterhalten zu haben, und sie ist überzeugt, genugsam unterrichtet zu sein. Von jener Zeit an wird nun nicht leicht ein Dichter oder Redner, ein Verskünstler oder Prosaist gefunden, der nicht einmal oder mehreremal in seinem Leben diese farbige Spaltung des Lichts zum Gleichnis der Entwicklung des Ungleichartigen aus dem Gleichartigen gebraucht hätte; und es ist freilich niemand zu verargen, wenn einmal so eine wunderliche Synthese zum Behuf einer so wunderlichen Analyse gemacht worden, wenn der Glaube daran allgemein ist, dass er sie auch zu seinem Behuf, es sei nun des Belehrens und Überzeugens oder des Blendens und Überredens, als Instanz oder Gleichnis beibringe.
Anglomanie
Die Engländer sind vielleicht vor vielen Nationen geeignet, Auswärtigen zu imponieren. Ihre persönliche Ruhe, Sicherheit, Tätigkeit, Eigensinn und Wohlhäbigkeit geben beinahe ein unerreichbares Musterbild von dem, was alle Menschen sich wünschen. Ohne uns hier in ein Allgemeines einzulassen, bemerken wir nur, dass die Klage über Anglomanie von früherer Zeit bis zur neuesten in der französischen Literatur vorkommt. Dieser Enthusiasmus der französischen Nation für die englische soll sich besonders gleich nach einem geschlossenen Frieden am lebhaftesten äußern: welches wohl daher kommen mag, weil alsdann nach wiederhergestellter Kommunikation beider Nationen der Reichtum und die Komforts der Engländer dem, wenigstens in früherer Zeit geldarmen und genügsamen Franzosen gar wünschenswert in die Augen leuchten müssen.
Dieses Vorziehen einer fremden Völkerschaft, dieses Hintansetzen seiner eigenen kann doch wohl aber nicht höher getrieben werden, als wir es oben bei Voltairen finden, der die Newtonische Lehre zum regnum coelorum und die Franzosen zu den parvulis macht. Doch hätte er es gewiss nicht getan, wenn das Vorurteil in seiner Nation nicht schon gang und gäbe gewesen wäre. Denn bei aller Kühnheit hütet er sich doch, etwas vorzubringen, wogegen er die allgemeine Stimmung kennt, und wir haben ihn im Verdacht, dass er seinen Deismus überall und so entschieden ausspricht, bloß damit er sich vom Verdacht des Atheismus reinige: einer Denkweise, die jederzeit nur wenigen Menschen gemäß und den übrigen zum Abscheu sein musste.