Erste Gegner Newtons, denen er selbst antwortete
Wenn wir uns von vergangenen Dingen eine rechte Vorstellung machen wollen, so haben wir die Zeit zu bedenken, in welcher etwas geschehen, und nicht etwa die unsrige, in der wir die Sache erfahren, an jene Stelle zu setzen. So natürlich diese Forderung zu sein scheint, so bleibt es doch eine größere Schwierigkeit, als man gewöhnlich glaubt, sich die Umstände zu vergegenwärtigen, wovon entfernte Handlungen begleitet wurden. Deswegen ist ein gerechtes historisches Urteil über einzelnes persönliches Verdienst und Unverdienst so selten. Über Resultate ganzer Massenbewegungen lässt sich eher sprechen.
Den schlechten Zustand physikalischer Instrumente überhaupt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts haben wir schon erwähnt, sowie die Unzulänglichkeit der Newtonischen Vorrichtungen. Er bediente sich keines überdachten, ausgesuchten, fixierten Apparats; deswegen er noch in der Optik fast bei jedem Versuche von vorn anfangen muss, seine Einrichtung umständlich zu beschreiben. Was ihm gerade zufällig zur Hand liegt, wird sogleich mit gebraucht und angewendet; daher seine Versuche voll unnützer Nebenbedingungen, die das Hauptinteresse nur verwirren. Im polemischen Teile finden sich genugsame Belege zu dieser Behauptung, und wenn Newton so verfuhr, wie mag es bei andern ausgesehen haben! Wenden wir uns vom Technischen zum Innern und Geistigen, so begegnen uns folgende Betrachtungen. Als man beim Wiederaufleben der Wissenschaften sich nach Erfahrungen umsah und sie durch Versuche zu wiederholen trachtete, bediente man sich dieser zu ganz verschiedenen Zwecken.
Der schönste war und bleibt immer der, ein Naturphänomen, das uns verschiedene Seiten bietet, in seiner ganzen Totalität zu erkennen. Gilbert brachte auf diesem Wege die Lehre vom Magneten weit genug, so wie man auch, um die Elastizität der Luft und andere ihrer physischen Eigenschaften kennen zu lernen, konsequent zu Werke ging. Manche Naturforscher hingegen arbeiteten nicht in diesem Sinne; sie suchten Phänomene aus den allgemeinsten Theorien zu erklären, wie Descartes die Kügelchen seiner Materie, und Boyle seine Körperfacetten zur Erklärung der Farben anwendete. Andere wollten wieder durch Phänomene einen allgemeinen Grundsatz bestätigen, wie Grimaldi durch unzählige Versuche nur immer dahin deutete, dass das Licht wohl eine Substanz sein möchte.
Newtons Verfahren hingegen war ganz eigen, ja unerhört. Eine tief verborgene Eigenschaft der Natur an den Tag zu bringen, dazu bedient er sich nicht mehr als dreier Versuche, durch welche keineswegs Urphänomene, sondern höchst abgeleitete dargestellt wurden. Diese, dem Brief an die Sozietät zum Grunde liegenden drei Versuche, den mit dem Spektrum durch das einfache Prisma, den mit zwei Prismen, Experimentum Crucis, und den mit der Linse, ausschließlich zu empfehlen, alles andere aber abzuweisen, darin besteht sein ganzes Manöver gegen die ersten Gegner.
Wir bemerken hierbei, dass jener von uns oben ausgezogene Brief an die Sozietät eigentlich das erste Dokument war, wodurch die Welt Newtons Lehre kennen lernte. Wir können uns, da seine Lectiones opticae, seine Optik nunmehr vor uns liegen, da die Sache so tausendmal durchgesprochen und durchgestritten worden, keinen Begriff machen, wie abrupt und abstrus die Newtonische Vorstellungsart in der wissenschaftlichen Welt erscheinen musste.
Auch können die Gelehrten sich in die Sache nicht finden. Im Praktischen will es niemanden in den Kopf, dass die dioptrischen Fernröhre, denen man so viel verdankt, um die man sich so viel Mühe gegeben, ganz verworfen werden sollten. Im Theoretischen hängt man an allgemeinen Vorstellungsarten, die man Newtonen entgegensetzt; oder man macht besondere Einwendungen. Mit seinen Versuchen kann man entweder nicht zurecht kommen oder man schlägt andere vor, davon die wenigsten zum Ziel, zu irgendeiner Entscheidung führen.
Was uns nun von Newtons Kontrovers mit seinen ersten Gegnern überliefert ist, tragen wir kürzlich auszugsweise vor, insofern es überhaupt bedeutend sein kann; wobei wir alles fallen lassen, was die Aussicht nur verwirren und eine weit umständlichere Abhandlung nötig machen würde. Die Aktenstücke liegen aller Welt vor Augen; wir werden sie unter Nummern und Buchstaben ordnen, damit man, was sich auf die verschiedenen Gegner bezieht, besser übersehen könne; wobei wir doch jedesmal die Nummer angeben, wie sie in Newtons kleinen Schriften, aus den Philosophischen Transaktionen abgedruckt, bezeichnet sind.
Jenes Hauptdokument, der angeführte Brief, macht den ersten Artikel aus. Bis zum neunten folgen Bemerkungen und Verhandlungen über das katoptrische Teleskop, die uns hier weiter nicht berühren; die folgenden jedoch verdienen mehr oder weniger unsere Aufmerksamkeit.
I. Ein Ungenannter. Kann eigentlich nicht als Widersacher Newtons angesehen werden.
A. Artikel X. Denn er schlägt noch einige Versuche vor, deren Absicht man nicht geradezu begreift, die aber auf mehrere Bewährung der Newtonischen Lehre zu dringen scheinen.
B. Artikel XI. Newton erklärt sich ganz freundlich darüber, sucht aber anzudeuten, dass er das hier Geforderte schon genugsam bei sich bedacht habe.
II. Ignatius Gaston Pardies, geboren 1636, gestorben 1673.
C. Art. XII. Er will die Erscheinung des verlängerten Bildes aus der verschiedenen Inzidenz erklären. Auch hat er gegen das Experimentum Crucis Einwendungen zu machen, wobei er gleichfalls die Inzidenz zu Hülfe ruft. Zugleich gedenkt er des bekannten Hookischen Versuchs mit den zwei keilförmigen aneinandergeschobenen farbigen Prismen.
D. Art. XIII. Newton removiert die beiden ersten Punkte und erklärt das letztere Phänomen zu seinen Gunsten. Dabei nimmt er es übel, dass man seine Lehre eine Hypothese und nicht eine Theorie nennt.
E. Art. XIV. Newton, unaufgefordert, sendet an den Herausgeber einen kleinen Aufsatz, welcher eigentlich seine Theorie, in acht Fragen eingeschlossen, enthält. Am Schlusse verlangt er, dass man vor allen Dingen prüfen möge, ob seine Versuche hinreichen, diese Fragen zu bejahen, und ob er sich nicht etwa in seinen Schlussfolgen geirrt; sodann auch, dass man Experimente, die ihm gerade entgegengesetzt wären, aufsuchen solle. Hier fängt er schon an, seine Gegner auf seinen eigenen Weg zu nötigen.
F. Art. XV. Pater Pardies antwortet auf das Schreiben des XIIIten Artikels und gibt höflich nach, ohne eigentlich überzeugt zu scheinen.
G. Art. XVI. Newton erklärt sich umständlich und verharrt bei seiner ersten Erklärungsart.
H. Pater Pardies erklärt sich für befriedigt, tritt von dem polemischen Schauplatze und bald nachher auch von dem Schauplatze der Welt ab.
III. Ein Ungenannter, vielleicht gar Hooke selbst, macht verschiedene Einwendungen gegen Newtons Unternehmungen und Lehre. Der Aufsatz wird in den Philosophischen Transaktionen nicht abgedruckt, weil, wie eine Note bemerkt, der Inhalt desselben aus Newtons Antwort genugsam hervorgehe. Doch für uns ist der Verlust desselben höchlich zu bedauern, weil die sonst bequeme Einsicht in die Sache dadurch erschwert wird.
I. Art. XVII. Newtons umständliche Verantwortung gegen vorgemeldete Erinnerung. Wir referieren sie punktweise, nach der Ordnung der aufgeführten Nummern.
1. Newton verteidigt sich gegen den Vorwurf, dass er an der Verbesserung der dioptrischen Fernröhre ohne genugsamen Bedacht verzweifelt habe.
2. Newton summiert, was von seinem Gegner vorgebracht worden, welches er im folgenden einzeln durchgeht.
3. Newton leugnet, behauptet zu haben, das Licht sei ein Körper. Hier wird die von uns schon oben bemerkte eigene Art seiner Behandlung auffallender. Sie besteht nämlich darin, sich ganz nahe an die Phänomene zu halten und um dieselben herum so viel zu argumentieren, dass man zuletzt glaubt, das Argumentierte mit Augen zu sehen. Die entfernteren Hypothesen, ob das Licht ein Körper oder eine Energie sei, lässt er unerörtert, doch deutet er darauf, dass die Erscheinungen für die erstere günstiger seien.
4. Der Widersacher hatte die Hypothese von den Schwingungen vorgebracht und ließ daher, auf diese oder jene Weise, eine Farbe anders als die andere schwingen. Newton fährt nunmehr fort, zu zeigen, dass diese Hypothese auch noch leidlich genug zu seinen Erfahrungen und Enunziaten passe: genug, die kolorifiken Lichter steckten im Licht und würden durch Refraktion, Reflexion etc. herausgelockt.
5. Hier wird, wo nicht gezeigt, doch angedeutet, dass jene Schwingungstheorie, auf die Erfahrungen angewendet, manche Unbequemlichkeit nach sich ziehe.
6. Es sei überhaupt keine Hypothese nötig, die Lehre Newtons zu bestimmen oder zu erläutern.
7. Des Gegners Einwendungen werden auf drei Fragen reduziert.
8. Die Strahlen werden nicht zufällig geteilt oder auf sonst eine Weise ausgedehnt. Hier tritt Newton mit mehreren Versuchen hervor, die in den damals noch nicht gedruckten Optischen Lektionen enthalten sind.
9 Der ursprünglichen Farben seien mehr als zweie. Hier wird von der Zerlegbarkeit oder Nichtzerlegbarkeit der Farben gehandelt.
10. Dass die weiße Farbe aus der Mischung der übrigen entspringe. Weitläuftig behauptet, auf die Weise, die uns bei ihm und seiner Schule schon widerlich genug geworden. Er verspricht ewig Weiß, und es wird nichts als Grau daraus.
11. Das Experimentum Crucis sei stringent beweisend und über alle Einwürfe erhoben.
12. Einige Schlussbemerkungen.
IV. Ein Ungenannter zu Paris.
K. Art. XVIII. Nicht durchaus ungereimte, doch nur problematisch vorgetragene Einwürfe: Man könne sich mit Blau und Gelb als Grundfarben begnügen; man könne vielleicht aus einigen Farben, ohne sie gerade alle zusammenzunehmen, Weiß machen. Wenn Newtons Lehre wahr wäre, so müssten die Teleskope lange nicht die Bilder so deutlich zeigen, als sie wirklich täten.
Was das erste betrifft, so kann man ihm, unter gewissen Bedingungen, recht geben. Das zweite ist eine alberne, nicht zu lösende Aufgabe, wie jedem gleich ins Gesicht fällt. Bei dem dritten aber hat er vollkommen recht.
L. Art. XIX. Newton zieht sich wegen des ersten Punktes auf seine Lehre zurück. Was den zweiten betrifft, so wird es ihm nicht schwer, sich zu verteidigen. Den dritten, sagt er, habe er selbst nicht übersehen und schon früher erwähnt, dass er sich verwundert habe, dass die Linsen noch so deutlich zeigten, als sie tun.
Man sieht, wie sehr sich Newton schon gleich anfangs verstockt und in seinen magischen Kreis eingeschlossen haben müsse, dass ihn seine Verwunderung nicht selbst zu neuen Untersuchungen und aufs Rechte geführt.
M. Art. XX. Der Ungenannte antwortet, aber freilich auf eine Weise, die nur zu neuen Weiterungen Anlass gibt.
N. Art. XXI. Newton erklärt sich abermals, und um die Sache wieder ins Enge und in sein Gebiet zu bringen, verfährt er nun mit Definitionen und Propositionen, wodurch er alles dasjenige, was noch erst ausgemacht werden soll, schon als entschieden aufstellt und sodann sich wieder darauf bezieht und Folgerungen daraus herleitet. In diesen fünf Definitionen und zehn Propositionen ist wirklich abermals die ganze Newtonische Lehre verfasst, und für diejenigen, welche die Beschränktheit dieser Lehre übersehen oder welche ein Glaubensbekenntnis derselben auswendig lernen wollen, gleich nützlich und hinreichend. Wäre die Sache wahr gewesen, so hätte es keiner weiteren Ausführung bedurft.
V. Franziscus Linus, Jesuit, geboren 1595 zu London, gestorben 1676 zu Lüttich, wo er, am englischen Kollegium angestellt, hebräische Sprache und Mathematik gelehrt hatte. Die Schwäche seines theoretischen Vermögens zeigt sich schon in frühern Kontroversen mit Boyle; nunmehr als Greis von achtzig Jahren, der zwar früher sich mit optischen Dingen beschäftigt und vor dreißig Jahren die prismatischen Experimente angestellt hatte, ohne ihnen jedoch weiter etwas abzugewinnen, war er freilich nicht der Mann, die Newtonische Lehre zu prüfen. Auch beruht seine ganze Opposition auf einem Missverständnis.
O. Art. XXII. Schreiben desselben an Oldenburg. Er behauptet, das farbige Bild sei nicht länger als breit, wenn man das Experiment bei hellem Sonnenschein anstelle und das Prisma nahe an der Öffnung stehe; hingegen könne es wohl länger als breit werden, wenn eine glänzende Wolke sich vor der Sonne befinde und das Prisma so weit von der Öffnung abstehe, dass das von der Wolke sich herschreibende Licht, in der Öffnung sich kreuzend, das ganze Prisma erleuchten könne.
Diese salbaderische Einwendung kann man anfangs gar nicht begreifen, bis man endlich einsieht, dass er die Länge des Bildes nicht vertikal auf dem Prisma stehend, sondern parallel mit dem Prisma angenommen habe, da doch jenes und nicht dieses Newtons Vorrichtung und Behauptung ist.
P. Art. XXIII. Der Herausgeber verweist ihn auf die zweite Antwort Newtons an Pardies.
Q. Art. XXIV. Linus beharrt auf seinen Einwendungen und kommt von seinem Irrtum nicht zurück.
R. Art. XXV. Newton an Oldenburg. Die beiden Schreiben des Linus sind so stumpf und konfus gefasst, dass man Newtonen nicht verargen kann, wenn ihm das Missverständnis nicht klar wird. Er begreift deswegen gar nicht, wie sich Linus müsse angestellt haben, dass er bei hellem Sonnenscheine das prismatische Bild nicht länger als breit finden wolle. Newton gibt den Versuch nochmals genau an und erbietet sich, einem von der Sozietät, auf welchen Linus Vertrauen setze, das Experiment zu zeigen.
VI. Wilhelm Gascoigne. Wirkt in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Er hatte sich mit dioptrischen Fernröhren abgegeben, und es mochte ihm nicht angenehm sein, dass Newton sie so gar sehr heruntersetzte. Hier tritt er auf als Schüler und Anhänger des Linus, welcher indessen gestorben war. Newton hatte zu verstehen gegeben, der gute alte Mann möchte wohl die Versuche vor alten Zeiten einmal gemacht haben, und hatte ihn ersucht, sie zu wiederholen. S. Art. XXVI. Gascoigne, nach dem Tode des Linus, vermehrt die Konfusion, indem er versichert: Linus habe das Experiment vor kurzem angestellt und jedermann sehen lassen. Die beiderseitigen Experimente bestünden also, und er wisse kaum, wie die Sache vermittelt werden solle.
T. Art. XXVII. Newton beruft sich auf sein vorhergehendes Schreiben, und weil ihm das obwaltende Missverständnis noch verborgen bleibt, so gibt er sich abermals sehr ernstliche Mühe, den Gegnern zu zeigen, wie sie sich eigentlich benehmen müssten, um das Experiment zustandezubringen.
U. Art. XXVIII. Noch umständlicher wird Newton über diese Sache, als er jenen Brief des Linus Art. XXIV in den Transaktionen abgedruckt liest. Er geht denselben nochmals auf das genauste durch und lässt keinen Umstand unerörtert.
VII. Antonius Lucas zu Lüttich, Schüler des Linus und Geselle des Gascoigne, der erste helle Kopf unter den Gegnern Newtons.
V. Art. XXIX. Er sieht das Missverständnis, welches obwaltet, ein und spricht zum erstenmal deutlich aus: Linus habe die Länge des Bildes parallel mit der Länge des Prismas und nicht vertikal auf derselben verstanden. Da es nun Newton auf die letztere Weise ansehe, so habe er vollkommen recht und sei über diese Sache nichts weiter zu sagen. Nur habe er, Lucas, die Länge dieses vertikalen Bildes niemals über drei Teile zu seiner Breite bringen können. Sodann gibt er mehrere Versuche an, welche er der Newtonischen Lehre für schädlich und verderblich hält, wovon wir die bedeutendsten und klarsten ausziehen.
a) Er bringt zwei verschiedenfarbige seidene Bänder unter das Mikroskop. Nach Newtons Lehre dürften sie nicht zugleich deutlich erscheinen, sondern das eine früher, das andere später, je nachdem sie zu den mehr oder weniger refrangiblen Farben gehören. Er sieht aber beide zugleich, eins so deutlich als das andere, und konkludiert mit Recht gegen die Newtonische Lehre. Man erinnere sich, was wir umständlich gegen das zweite Experiment der Newtonischen Optik ausgeführt haben. Wahrscheinlich ist es durch diesen Einwurf des Lucas veranlasst worden: denn es findet sich, wenn wir uns recht erinnern, noch nicht in den Optischen Lektionen.
b) Bringt er ein sehr geistreiches, der Newtonischen Lehre direkt entgegenstehendes Experiment vor, das wir folgendermaßen nachgeahmt haben:
Man verschaffe sich ein längliches Blech, das mit den Farben in der Ordnung des prismatischen Bildes der Reihe nach angestrichen ist. Man kann an den Enden Schwarz, Weiß und verschiedenes Grau hinzufügen. Dieses Blech legten wir in einen viereckten blechnen Kasten, und stellten uns so, dass es ganz von dem einen Rande desselben für das Auge zugedeckt war. Wir ließen alsdann Wasser hineingießen, und die Reihe der sämtlichen Farbenbilder stieg gleichmäßig über den Rand dem Auge entgegen, da doch, wenn sie divers refrangibel wären, die einen vorauseilen und die andern zurückbleiben müssten. Dieses Experiment zerstört die Newtonische Theorie von Grund aus, so wie ein anderes, das wir hier, weil es am Platze ist, einschalten.
Man verschaffe sich zwei etwa ellenlange, runde Stäbchen von der Stärke eines kleinen Fingers. Das eine werde blau, das andere orange angestrichen; man befestige sie aneinander und lege sie so nebeneinander ins Wasser. Wären diese Farben divers refrangibel, so müsste das eine mehr als das andere nach dem Auge zu gebogen erscheinen, welches aber nicht geschieht; so dass also an diesem einfachsten aller Versuche die Newtonische Lehre scheitert. Die sehr leichte Vorrichtung zu beiden darf künftig bei keinem physikalischen Apparat mehr fehlen.
c) Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, dass die prismatische Farbe eine Randerscheinung sei, die sich umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunklerer Grund, als es selbst ist, unterliegt. Man kann ihm also nicht ableugnen, dass er das wahre Fundament aller prismatischen Erscheinungen erkannt habe, und es muss uns unendlich freuen, der Wahrheit, die sich aus England flüchten muss, in Lüttich zu begegnen. Nur bringt freilich Lucas die Sache nicht ins Enge, weil er immer noch mit Licht und Lichtstrahl zu operieren glaubt; doch ist er dem Rechten so nahe, dass er es wagt, den kühnen Gedanken zu äußern: wenn es möglich wäre, dass hinter der Sonne ein hellerer Grund hervorträte, so müsste das prismatische Bild umgekehrt erscheinen. Aus diesem wahrhaft grandiosen Aperçu ist klar, dass Lucas für seine Person der Sache auf den Grund gesehen, und es ist schade, dass er nicht beharrlicher gewesen und die Materie, ohne weiter zu kontrovertieren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen, dass er bei so schönen Einsichten die Sache ruhen lassen und weder polemisch noch didaktisch vorgetreten, ist uns leider ein Geheimnis geblieben.
W. Art. XXX. Eine Antwort Newtons auf vorgedachten Brief, an Oldenburg gerichtet. Den größten Teil nimmt der in unsern Augen ganz gleichgültige Nebenumstand ein, wie sich dem Maße nach das prismatische Bild in seiner Länge zur Breite verhalte. Da wir im didaktischen und polemischen Teil umständlich gezeigt haben, dass dieses Verhältnis durch mancherlei Bedingungen sich abändern kann und eigentlich gar nicht der Rede wert ist, so bedarf es hier keiner Wiederholung.
Bedeutender hingegen ist die Art, wie sich Newton gegen die neuen Experimente benimmt. Denn hier ist gleichsam der Text, welchen die Newtonische Schule ein ganzes Jahrhundert durch teils nachgebetet, teils amplifiziert und paraphrasiert hat. Wir wollen den Meister selbst reden lassen.
«Was des Herrn Lucas übrige Experimente betrifft, so weiß ich ihm vielen Dank für den großen Anteil, den er an der Sache nimmt, und für die fleißigen Überlegungen derselben, ja ich bin ihm um so mehr verpflichtet, als er der erste ist, der mir Versuche zusendet, um die Wahrheit zu erforschen; aber er wird sich schneller und vollkommener genugtun, wenn er nur die Methode, die er sich vorschrieb, verändert und statt vieler andern Dinge nur das Experimentum Crucis versucht: denn nicht die Zahl der Experimente, sondern ihr Gewicht muss man ansehen, und wenn man mit einem ausreicht, was sollen uns mehrere.»
«Hätte ich mehrere für nötig gehalten, so hätte ich sie beibringen können: denn bevor ich meinen ersten Brief über die Farben an Dich schrieb, hatte ich die Versuche sehr umständlich bearbeitet und ein Buch über diesen Gegenstand geschrieben, in welchem die vornehmsten von mir angestellten Experimente ausführlich erzählt werden, und da trifft sich’s, dass unter ihnen sich die vorzüglichsten, welche Lucas mir übersendet hat, mitbefinden. Was aber die Versuche betrifft, die ich in meinem ersten Briefe vortrage, so sind es nur die, welche ich aus meinem größern Aufsatz auszuwählen für gut befunden.»
«Wenn aber auch in jenem an Dich gerichteten Briefe der sämtliche Vorrat meiner Versuche enthalten wäre, so würde doch Lucas nicht wohl tun zu behaupten, dass mir Experimente abgehen, bis er jene wenigen selbst versucht: denn wenn einige darunter eine völlige Beweiskraft haben, so brauchen sie keine weiteren Helfershelfer, noch lassen sie Raum, über dasjenige, was sie bewiesen haben, weiter zu streiten.»
Dieses wären denn die Verhandlungen, welche zwischen Newton und seinen ersten Widersachern vorgekommen und welcher die Schule stets mit großem Triumphe gedacht hat. Wie es sich aber eigentlich damit verhalte, werden unsere Leser nun wohl aus unserer kurzen Erzählung übersehen können. Wir haben den Gang nur im allgemeinen bezeichnet und uns auf die sogenannten merita causae nicht eingelassen, weil dieses in unserm didaktischen und polemischen Teil genugsam geschehen. Wen die Sache näher interessiert, der wird an dem von uns gezogenen Faden das Labyrinth sichrer und bequemer durchlaufen. Eine kurze Rückweisung wird hierbei nicht überflüssig sein.
Unter den anonymen Gegnern zeichnet sich keiner auf eine vorzügliche Weise aus. Dass die dioptrischen Fernröhre nicht so ganz zu verwerfen seien, fühlen und glauben sie wohl alle; allein sie treffen doch den Punkt nicht, warum diese in ihrem damaligen Zustande doch weit mehr leisten, als sie nach Newtons Lehre leisten dürften. Die übrigen Einwendungen dieser unbekannten Männer sind zwar zum Teil nicht ohne Grund, doch keineswegs gründlich vorgetragen und durchgeführt.
Pater Pardies und Linus, zwei alte Männer, ohne Scharfsinn und ohne theoretisches Vermögen, tasten nur an der Sache umher, ohne sie anzufassen, und ihre sämtlichen Einwürfe verschwinden, sobald ihre Missverständnisse sich offenbaren. Gascoigne, der in die Mängel des Linus sukzediert, verdient kaum eine Erwähnung.
Dagegen kann Lucas, von dem wir übrigens wenig wissen, nicht hoch genug gepriesen werden. Seine Folgerung aus der Newtonischen Lehre, dass eine Reihe farbiger Bilder sich nach der Refraktion ungleich über einen mit ihnen parallel stehenden Rand erheben müssten, zeigt von einem sehr geistreichen Manne, so wie seine Gegenfolgerung, als das Experiment nicht erwartetermaßen abläuft, die Newtonische Lehre sei nicht haltbar, ganz untadlig ist. Seine Einsicht, dass die Sonne bloß als Bild wirke, ob er es gleich nicht so ausdrückt, ist bewundernswert, so wie der kühne Gedanke, ein helleres Licht hinter der Sonne hervortreten zu lassen, um sie zu einem halbdunklen Körper zu machen, beneidenswert. Das, was er hier beabsichtigt, haben wir in unserm didaktischen Teil durch graue Bilder auf schwarzem und weißem Grunde darzutun gesucht.
Nun aber haben wir noch schließlich zu betrachten, wie sich denn Newton gegen diese Widersacher benommen. Er bringt in dem ersten Briefe an die Sozietät aus dem Vorrate seiner Experimente, die in den Optischen Lectionen enthalten sind, nur drei vor, welche er seine Lehre zu begründen für hinreichend hält, und verlangt, dass die Gegner sich nur mit diesen beschäftigen sollen. Schweifen diese jedoch ab, so zeigt er noch eins und das andre von seinem heimlichen Vor rat, kehrt aber immer zu seinem Verfahren zurück, indem er seine Gegner auf die wenigen Versuche beschränken will, von welchen freilich das Experimentum Crucis jeden, der die Sache nicht von Grund aus durchgearbeitet hat, zum lauten oder schweigenden Beistimmen nötigt. Daher wiederholt Newton aber und abermals: man solle zeigen, dass diese wenigen Versuche seine Lehre nicht beweisen, oder soll andere Versuche beibringen, die ihr unmittelbar entgegenstehen.
Wie benimmt er sich denn aber, als dieses von Lucas wirklich geschieht? Er dankt ihm für seine Bemühung, versichert, die vorzüglichsten von Lucas beigebrachten Versuche befänden sich in den Optischen Lektionen, welches keineswegs der Wahrheit gemäß ist, beseitigt sie auf diese Weise, dringt immer wieder darauf, dass man nur den eingeleiteten Weg gehen, sich auf dem selben vorgeschriebnermaßen benehmen solle, und will jede andre Methode, jeden andern Weg, der Wahrheit sich zu nähern, ausschließen. Wenige Experimente sollen beweisen, alle übrigen Bemühungen unnötig machen, und eine über die ganze Welt ausgebreitete Naturerscheinung soll aus dem Zauberkreise einiger Formeln und Figuren betrachtet und erklärt werden.
Wir haben die wichtige Stelle, womit sich diese Kontrovers schließt, übersetzt. Newton erscheint nicht wieder polemisch, außer insofern die Optik polemischer Natur ist. Aber seine Schüler und Nachfolger wiederholen diese Worte des Meisters immerfort. Erst setzen sie sub- und obrepticie, was der Lehre günstig ist, fest, und dann verfahren sie ausschließend gegen Natur, Sinne und Menschenverstand. Erst lassen sich’s einzelne, dann lässt sich’s die Menge gefallen. Newtons übrige große Verdienste erregen ein günstiges Vorurteil auch für seine Farbentheorie. Sein Ruf, sein Einfluss steigt immer höher; er wird Präsident der Sozietät. Er gibt seine künstlich gestellte Optik heraus; durch Clarkes lateinische Übersetzung wird auch diese in der Welt verbreitet und nach und nach in die Schulen eingeführt. Experimentierende Techniker schlagen sich auf seine Seite, und so wird diese enggefasste, in sich selbst erstarrte Lehre eine Art von Arche des Herrn, deren Berührung sogleich den Tod bringt.
So verfährt nun auch, teils bei Newtons Leben, teils bei seinem Tode, Desaguliers gegen alles, was die Lehre anzufechten wagt, wie nunmehr aus der geschichtlichen Darstellung, in der wir weiter fortschreiten, sich umständlicher ergeben wird.