geboren zu oder bei Dijon, Akademist 1666 – 1684
Traité de la nature des couleurs. Paris 1688. Schwerlich die erste Ausgabe, doch ist nach dieser der Abdruck in seinen gesammelten Werken gemacht, welche zu Haag 1717 und 1740 veranstaltet worden. Wir haben wenig Nachrichten von seinem Leben. Seinen Arbeiten sieht man die ungestörteste Ruhe an. Er ist einer der ersten, welche die Experimentalphysik in Frankreich einführen, Mathematiker, Mechaniker, Physiker, wo nicht Philosoph, doch redlicher Denker, guter Beobachter, fleißiger Sammler und Ordner von Beobachtungen, sehr genauer und gewissenhafter Experimentator, ja gewissenhaft bis ins Übertriebene: denn ihm in sein Detail zu folgen, wäre vielleicht nicht unmöglich, doch möchte es in unserer Zeit jedem höchst beschwerlich und fruchtlos erscheinen. Durch Beobachten, Experimentieren, Messen und Berechnen gelangt er zu den allgemeinsten einfachsten Erscheinungen, die er Prinzipien der Erfahrung nennt. Er lässt sie empirisch in ihrer reinsten Einfalt stehen und zeigt nur, wo er sie in komplizierten Fällen wiederfindet. Dies wäre schön und gut, wenn sein Verfahren nicht andre Mängel hätte, die sich uns nach und nach entdecken, wenn wir an sein Werk selbst gehen und davon einige Rechenschaft zu geben suchen. Er teilt die Farben in apparente und permanente. Unter den ersten versteht er bloß diejenigen, die bei der Refraktion erscheinen, unter den andern alle übrigen. Man sieht leicht, wie disproportioniert diese Haupteinteilung ist, und wie unbequem, ja falsch die Unterabteilungen werden müssen.
Erste Abteilung
Er hat Kenntnis von Newtons Arbeiten, wahrscheinlich durch jenen Brief in den Transaktionen. Er erwähnt nicht nur dessen Lehre, sondern man glaubt durchaus zu bemerken, dass er hauptsächlich durch sie zu seiner Arbeit angeregt worden: denn er tut den Phänomenen der Refraktion viel zu viel Ehre an und arbeitet sie allein höchst sorgfältig durch. Erkennt recht gut die objektiven und subjektiven Erscheinungen, gibt Rechenschaft von unzähligen Versuchen, die er anstellt, um das Allgemeine dieser Phänomene zu finden, welches ihm denn auch bis auf einen gewissen Punkt gelingt. Nur ist sein Allgemeines zu abstrakt, zu kahl, die Art, es auszudrücken, nicht glücklich; besonders aber ist es traurig, dass er sich vom Strahl nicht losmachen kann.
Er nimmt leider bei seinen Erklärungen und Demonstrationen einen dichten Strahl an (rayon solide). Wie wenig damit zu tun sei, ist allen deutlich, welche sich die Lehre von Verrückung des Bildes eigen gemacht haben. Außerdem bleibt er dadurch zu nahe an Newtons Lehre, welcher auch mit Strahlen operiert und die Strahlen durch Refraktion affizieren lässt.
Eine eigene Art, diesen dichten Strahl, wenn er refrangiert wird, anzusehen, gibt den Grund zu Mariottens Terminologie. Man denke sich einen Stab, den man bricht, ein Rohr, das man biegt, so wird an denselben ein einspringender und ausspringender Winkel, eine Konkavität, eine Konvexität zu sehen sein. Nach dieser Ansicht spricht er in seinen Erfahrungssätzen die Erscheinung folgendermaßen aus:
An der konvexen Seite erscheint immer Rot, an der konkaven Violett. Zunächst am Roten zeigt sich Gelb, zunächst am Violetten Blau. Folgen mehrere Refraktionen im gleichen Sinne, so gewinnen die Farben an Lebhaftigkeit und Schönheit. Alle diese Farben erscheinen in den Halbschatten, bis an sie hinan ist keine Farbe im Lichte merklich. Bei starken Refraktionen erscheint in der Mitte Grün durch Vermischung des Blauen und Gelben.
Er ist also, wie man sieht, insoweit auf dem rechten Wege, dass er zwei entgegengesetzte Reihen als Randerscheinungen anerkennt. Auch gelingt es ihm, mehrere objektive und subjektive Farbenerscheinungen auf jene Prinzipien zurückzuführen und zu zeigen, wie nach denselben die Farben in jedem besondern Falle entstehen müssen. Ein Gleiches tut er in Absicht auf den Regenbogen, wobei man, soweit man ihm folgen kann und mag, seine Aufmerksamkeit, Fleiß, Scharfsinn, Reinlichkeit und Genauigkeit der Behandlung bewundern muss.
Allein es wird einem doch dabei sonderbar zumute, wenn man sieht, wie wenig mit so vielem Aufwande geleistet wird und wie das Wahre, bei einer so treuen, genauen Behandlung, so mager bleiben, ja werden kann, dass es fast null wird. Seine Prinzipien der Erfahrung sind natürlich und wahr, und sie scheinen deshalb so simpel ausgesprochen, um die Newtonische Theorie, welche keineswegs, wie wir schon oft wiederholt, von den einfachen Erscheinungen ausgegangen, sondern auf das zusammengesetzte abgeleitete Gespenst gebaut ist, verdächtig zu machen, ja in den Augen desjenigen, der eines Aperçus mit allen seinen Folgerungen fähig wäre, sogleich aufzuheben.
Das Ähnliche hatten wir in unsern Beiträgen zur Optik versucht; es ist aber uns so wenig als Mariotten gelungen, dadurch Sensation zu erregen.
Ausdrücklich von und gegen Newton spricht er wenig. Er gedenkt jener Lehre der diversen Refrangibilität, zeigt gutmütig genug, dass einige Phänomene sich dadurch erklären lassen, behauptet aber, dass andre nicht dadurch erklärbar seien, besonders folgendes:
Wenn man weit genug von seinem Ursprung das sogenannte prismatische Spektrum auffange, so dass es eine ansehnliche Länge gegen seine Breite habe, und das Violette weit genug vom Roten entfernt und durch andere Farben völlig von ihm getrennt sei, so dass man es also für hinreichend abgeschieden halten könne, wenn man alsdann einen Teil dieses violetten Scheines durch eine Öffnung gehen und durch ein zweites Prisma in derselben Richtung refrangieren lasse: so erscheine unten abermals Rot (Gelbrot), welches doch nach der Theorie keineswegs stattfinden könne; deswegen sie nicht anzunehmen sei.
Der gute Mariotte hatte hierin freilich vollkommen recht und das ganze Rätsel löst sich dadurch, dass ein jedes Bild es sei von welcher Farbe es wolle, wenn es verrückt wird, gesäumt erscheint. Das violette Halblicht aber, das durch die kleine Öffnung durchfällt, ist nur als ein violettes Bild anzusehen, an welchem der gelbrote Rand mit einem purpurnen Schein gar deutlich zu bemerken ist; die übrigen Randfarben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes zusammen oder werden von derselben verschlungen.
Der gute natürliche Mariotte kannte die Winkelzüge Newtons und seiner Schule nicht. Denn nach diesem lassen sich die Farben zwar sondern, aber nicht völlig; Violett ist zwar violett, allein es stecken die übrigen Farben auch noch drin, welche nun aus dem violetten Licht bei der zweiten Refraktion wie die sämtlichen Farben aus dem weißen Lichte bei der ersten Refraktion geschieden werden. Dabei ist denn freilich das Merkwürdige, dass das Violett, aus dem man nun das Rot geschieden, vollkommen so violett bleibt wie vorher; so wie auch an den übrigen Farben keine Veränderung vorgeht, die man in diesem Fall bringt. Doch genug hievon. Mehr als Obiges bedarf es nicht, um deutlich zu machen, inwiefern Mariotte als Newtons Gegner anzusehen sei.
Zweite Abteilung
In dieser sucht er alle übrigen Farben, welche nicht durch Refraktion hervorgebracht werden, aufzuführen, zu ordnen, gegeneinander zu halten, zu vergleichen, sie auseinander abzuleiten und daraus Erfahrungssätze abzuziehen, die er jedoch hier nicht Prinzipien, sondern Regeln nennt. Die sämtlichen Erscheinungen trägt er in vier Diskursen vor.
Erster Diskurs. Von Farben, die an leuchtenden Körpern erscheinen.
Verschiedenfarbiges Licht der Sonne, der Sterne, der Flamme, des Glühenden, des Erhitzten; wobei recht artige und brauchbare Versuche vorkommen. Die Erfahrungsregel, wozu er gelangt, ist ein Idem per Idem, womit man gar nichts ausrichten kann.
Zweiter Diskurs. Von den changeanten Farben, die auf der Oberfläche der Körper entstehen.
Hier führt er diejenigen Farben auf, welche wir die epoptischen nennen: aneinandergedruckte Glasplatten, angelaufenes Glas, Seifenblasen. Er schreibt diese Phänomene durchaus einer Art von Refraktion zu.
Dritter Diskurs. Von fixen und permanenten Farben, deren Erscheinungen er vorzüglich unter Regeln bringt.
Hier werden unsre chemischen Farben aufgeführt, und dabei etwas Allgemeines von Farben überhaupt. Weiß und Schwarz, dazwischen Gelb, Rot und Blau. Er hat die Einsicht, dass jede Farbe etwas weniger hell als das Weiße und etwas mehr hell als das Schwarze sein müsse.
In den Erklärungen verfährt er allzu realistisch, wie er denn das Blau zur eigenen Farbe der Luft macht; dann aber wieder zu unbestimmt; denn die körperlichen Farben sind ihm modifiziertes Licht. Das Licht muss nämlich in den Körper eindringen, dort zur besondern Farbenwirkung modifiziert in unser Auge zurückkehren und darin die Wirkung hervorbringen.
Der chemische Gegensatz von Acidum und Alkali ist ihm sehr bedeutend. Hier stehen wieder schöne und brauchbare Erfahrungen, doch ohne Ordnung untereinander, worauf denn schwache, nach Korpuskularvorstellungsart schmeckende Erklärungen folgen. Über die Farben organischer Körper macht er feine Bemerkungen.
Vierter Diskurs. Von Farbenerscheinungen, die von innern Modifikationen der Organe des Sehens entspringen.
Hier wird aufgeführt, was bei uns unter der Rubrik von physiologischen Farben vorkommt: Dauer des Eindrucks, farbiges Abklingen und dergleichen; zuletzt die Diakrisis des Auges durch Licht, die Synkrisis durch Finsternis. Und somit hört er da auf, wo wir anfangen.
Die aus dem Kapitel von den chemischen Farben ausgezogenen sechs Regeln übersetzen wir, weil man daraus das vorsichtige Benehmen dieses Mannes am besten beurteilen kann.
I. «Die fixen Farben erscheinen uns, wenn das Licht durch die Materie, welche diese Farben hervorbringt, gedrungen, zu unsern Augen mit genugsamer Kraft zurückkehrt.»
Dieses bezieht sich auf die wahre Bemerkung, dass jede chemisch spezifizierte Farbe ein Helles hinter sich haben muss, um zu erscheinen. Nur ist dieses notwendige Erfordernis von Mariotte nicht genug eingesehen, noch deutlich genug ausgedrückt.
2. «Die Säfte von allen blauen und violetten Blumen werden grün durch die Alkalien und schön rot durch die Säuren.»
3. «Die Absude roter Hölzer werden gelb durch die Säuren, violett durch die Alkalien; aber die Aufgüsse gelber Pflanzen werden dunkel durch die Alkalien und verlieren fast gänzlich ihre Farbe durch die Säuren.»
4. «Die Vegetationen, die in freier Luft vorgehen, sind grün; diejenigen an unterirdischen Örtern oder in der Finsternis sind weiß oder gelb.»
5. «Es gibt viele gelbe oder dunkle Materien, welche sich bleichen, wenn man sie wechselweise netzt und an der Sonne trocknet. Sind sie sodann weiß und bleiben sie lange unbefeuchtet an der Luft, so werden sie gelb.»
6. «Irdische und schweflige Materien werden durch eine große Hitze rot und einige zuletzt schwarz.»
Hiezu fügt der Verfasser eine Bemerkung, dass man sehr viele Farbenerscheinungen auf diese sechs Regeln zurückführen und bei der Färberei sowie bei Verfertigung des farbigen Glases manche Anwendung davon machen könne. Unsre Leser werden sich erinnern, wie das Bewährte von diesen Regeln in unserer Abteilung von chemischen Farben beigebracht ist.
Im ganzen lässt sich nicht ableugnen, dass Mariotte eine Ahndung des Rechten gehabt und dass er auf dem Wege dahin gewesen. Er hat uns manches gute Besondere aufbewahrt, fürs Allgemeine aber zu wenig getan. Seine Lehre ist mager, seinem Unterricht fehlt Ordnung, und bei aller Vorsichtigkeit spricht er doch wohl zuletzt statt einer Erfahrungsregel etwas Hypothetisches aus. Aus dem bisher Vorgetragenen lässt sich nunmehr beurteilen, inwiefern Mariotte als ein Gegner von Newton anzusehen sei. Uns ist nicht bekannt geworden, dass er das, was er im Vorbeigehen gegen die neue Lehre geäußert, jemals wieder urgiert habe. Sein Aufsatz über die Farben mag kurz vor seinem Tode herausgekommen sein. Auf welche Weise jedoch die Newtonische Schule ihn angefochten und um seinen guten Ruf gebracht, wird sich sogleich des Nähern ergeben.