geboren 1627, gestorben 1691
Die Scheidung zwischen Geist und Körper, Seele und Leib, Gott und Welt war zustande gekommen. Sittenlehre und Religion fanden ihren Vorteil dabei: denn indem der Mensch seine Freiheit behaupten will, muß er sich der Natur entgegensetzen; indem er sich zu Gott zu erheben strebt, muß er sie hinter sich lassen, und in beiden Fällen kann man ihm nicht verdenken, wenn er ihr so wenig als möglich zuschreibt, ja wenn er sie als etwas Feindseliges und Lästiges ansieht. Verfolgt wurden daher solche Männer, die an eine Wiedervereinigung des Getrennten dachten. Als man die teleologische Erklärungsart verbannte, nahm man der Natur den Verstand; man hatte den Mut nicht, ihr Vernunft zuzuschreiben und sie blieb zuletzt geistlos liegen. Was man von ihr verlangte, waren technische, mechanische Dienste, und man fand sie zuletzt auch nur in diesem Sinne faßlich und begreiflich.
Auf diese Weise läßt sich einsehen, wie das zarte, fromme Gemüt eines Robert Boyle sich für die Natur interessieren, sich zeitlebens mit ihr beschäftigen und doch ihr weiter nichts abgewinnen konnte, als daß sie ein Wesen sei, das sich ausdehnen und zusammenziehen, mischen und sondern lasse, dessen Teile, indem sie durch Druck, Stoß gegeneinander arbeiten und sich in die verschiedensten Lagen begeben, auch verschiedene Wirkungen auf unsre Sinne hervorbringen.
In die Farbenlehre war er von der chemischen Seite hereingekommen. Er ist der erste seit Theophrast, der Anstalt macht, eine Sammlung der Phänomene aufzustellen und eine Übersicht zu geben. Er betreibt das Geschäft nur gelegentlich und zaudert, seine Arbeit abzuschließen; zuletzt, als ihm eine Augenkrankheit hinderlich ist, ordnet er seine Erfahrungen, so gut es gehen will, zusammen, in der Form als wenn er das Unvollständige einem jungen Freunde zu weiterer Bearbeitung übergäbe. Dabei möchte er zwar gern von einer Seite das Ansehen haben, als wenn er nur Erfahrungen zusammenstellte, ohne eben dadurch eine Hypothese begründen zu wollen; allein er ist von der andern Seite aufrichtig genug, zugestehen, daß er sich zur korpuskularen mechanischen Erklärungsart hinneige und mit dieser am weitesten auszulangen glaube. Er bearbeitet daher das Weiße und Schwarze am ausführlichsten, weil freilich bei diesem noch am ersten ein gewisser Mechanismus plausibel werden dürfte. Was aber die eigentlich farbigen Phänomene der Körper, sowie was die apparenten Farben betrifft, bei diesen geht er weniger methodisch zu Werke, stellt aber eine Menge Erfahrungen zusammen, welche interessant genug sind und nach ihm immer wieder zur Sprache gekommen. Auch haben wir sie, insofern wir es für nötig erachtet, in unserm Entwurfe, nach unserer Weise und Überzeugung aufgeführt.
Der Titel dieses Werkes in der lateinischen Ausgabe, der wir gefolgt sind, ist: Experimenta et considerationes de coloribus seu initium historiae experimentalis de Coloribus a Roberto Boyle. Londini 1665.
Seine ganze Denkart, seine Vorsätze, sein Tun und Leisten wird aus dem fünften Kapitel des ersten Teiles am klärsten und eigentlichsten erkannt, welches wir denn auch übersetzt hier einschalten.
Des ersten Teils fünftes Kapitel
I. «Es gibt, wie du weißt, mein Pyrophilus, außer jenen veralteten Meinungen von den Farben, die man schon längst verworfen hat, gar verschiedene Theorien, deren jede zu unserer Zeit von bedeutenden Männern in Schutz genommen wird. 1. Denn die peripatetischen Schulen, ob sie gleich wegen der besonderen Farben unter sich nicht ganz eins sind, kommen doch alle darin überein: die Farben seien einwohnende und wirkliche Eigenschaften, welche das Licht nur offenbare, nicht aber sie hervorzubringen etwas beitrage. 2. Alsdann gibt es unter den Neueren einige, die mit geringer Veränderung die Meinung Platons annehmen, und wie er die Farbe für eine Art Flamme hält, die aus den kleinsten Körperchen bestehe, welche von dem Objekt gleichsam ins Auge geschleudert worden und deren Figur mit den Poren des Auges sich in Übereinstimmung befinde; so lehren sie, die Farbe sei ein innres Licht der helleren Teile des Gegenstandes, welches durch die verschiedenen Mischungen der weniger leuchtenden Teile verdunkelt und verändert worden. 3. Nun gibt es andere, welche einigen der alten Atomisten nachfolgen und die Farbe zwar nicht für eine leuchtende Emanation, aber doch für einen körperlichen Ausfluß halten, der aus dem gefärbten Körper hervortritt. Aber die gelehrteren unter ihnen haben neulich ihre Hypothese verbessert, indem sie anerkannten und hinzufügten: es sei etwas äußeres Licht nötig, um diese Körperchen der Farbe zu reizen und anzuregen und sie zum Auge zu bringen. 4. Eine bedeutendere Meinung der neuern Philosophen ist sodann: die Farben entspringen aus einer Mischung des Lichts und der Finsternis oder vielmehr des Lichts und der Schatten, und diese Meinung ließe sich denn wohl gewissermaßen mit der vorhergehenden vereinigen. 5. Was die Chemiker betrifft, so schreibt die Menge derselben den Ursprung der Farben dem Prinzip des Schwefels in den Körpern zu, ob ich gleich finde, daß einige ihrer Anführer die Farben mehr vom Salz als vom Schwefel herleiten, ja andere sogar von dem dritten Elementarprinzip, dem Merkur. 6. Von des Cartesius Nachfolgern brauch› ich dir nicht zu sagen, daß sie behaupten, die Empfindung des Lichtes werde von einem Anstoß hervorgebracht, welcher auf die Organe des Sehens von sehr kleinen und festen Kügelchen gewirkt wird, welche durch die Poren der Luft und andrer durchsichtiger Körper durchdringen können. Daraus versuchen sie denn auch, die Verschiedenheit der Farben zu erklären, indem sie die verschiedenen Bewegungen dieser Kügelchen und die Proportion der Bewegung zu der Rotation um ihren Mittelpunkt beachten, wodurch sie nämlich geschickt werden sollen, den optischen Nerven auf mancherlei Weise zu treffen, so daß man dadurch verschiedene Farben gewahr werden könne.»
II. «Außer diesen sechs vornehmsten Hypothesen kann es noch andre geben, mein Pyrophilus, die, obschon weniger bekannt, doch ebenso gut als diese deine Betrachtung verdienen. Erwarte aber nicht, daß ich sie gegenwärtig umständlich durcharbeite, da du den Zweck dieser Blätter und die mir vorgesetzte Kürze kennest. Deswegen will ich nur noch einiges im allgemeinen bemerken, was sich auf den Traktat, den du in Händen hast, besonders bezieht.»
III. «Und zwar gesteh› ich dir zuerst, daß ich, obgleich die Anhänger der gedachten verschiedenen Hypothesen durch eine jede besonders und ausschließlich die Farben erklären und hiezu weiter keine Beihülfe annehmen wollen, was mich betrifft, zweifle: ob irgendeine dieser Hypothesen, wenn man alle andern ausschließt, der Sache genug tue. Denn mir ist wahrscheinlich, daß man das Weiße und Schwarze durch die bloße Reflexion, ohne Refraktion anzunehmen, erklären könne, wie ich es in nachstehender Abhandlung vom Ursprunge des Schwarzen und Weißen zu leisten gesucht habe. Da ich aber nicht habe finden können, daß durch irgendeine Mischung des Weißen und wahrhaft Schwarzen (denn hier ist nicht von einem Blauschwarz die Rede, welches viele für das echte halten) daß, sage ich, je daraus Blau, Gelb, Rot, geschweige denn die übrigen Farben könnten erzeugt werden; da wir ferner sehen, daß diese Farben durchs Prisma und andre durchsichtige Körper hervorzubringen sind mit Beihülfe der Brechung: so scheint es, man müsse die Brechung auch zu Hülfe nehmen, um einige Farben zu erklären, zu deren Entstehung sie beiträgt, weil sie auf eine oder die andre Weise den Schatten mit dem gebrochenen Lichte verbindet, oder auf eine Art, die wir gegenwärtig nicht abhandeln können. Scheint es nun einigen wahrscheinlich, daß die Poren der Luft und anderer durchsichtiger Körper durchaus mit solchen Kügelchen angefüllt sind, wie die Cartesianer voraussetzen, und daß zugleich die verschiedenen Bewegungsarten dieser Kügelchen in vielen Fällen von Bedeutung sind, um das verschiedene Gewahrwerden der Farbe bei uns zu bewirken, so läßt sich auch ohne diese Kügelchen, die man nicht so leicht beweisen kann, vorauszusetzen, überhaupt mit Wahrscheinlichkeit annehmen: das Auge könne mannigfaltig affiziert werden nicht allein von ganzen Lichtstrahlen, die darauf fallen, und zwar als solchen, sondern auch von der Ordnung derselben und dem Grade der Geschwindigkeit, und daß ich mich kurz fasse, nach der Art und Weise, wie die Teilchen, woraus die einzelnen Strahlen bestehen, zu dem Sinn gelangen, dergestalt daß, welche Figur auch jene kleinen Körper haben, aus denen die Lichtstrahlen bestehen, sie nicht allein durch ihre Geschwindigkeit oder Langsamkeit der Entwicklung oder Rotation im Fortschreiten, sondern noch mehr durch ihre absolute Schnelligkeit, ihre direkte oder wogende Bewegung und andre Zufälligkeiten, welche ihren Stoß aufs Auge begleiten können, geschickt sind, verschiedenartige Eindrücke zu erregen.»
IV. «Zweitens muß ich dich, wegen dieser und ähnlicher Betrachtungen, mein Pyrophilus, bitten, daß du diese kleine Abhandlung ansehest, nicht als eine Dissertation, die geschrieben sei, um eine der vorstehenden Hypothesen ausschließlich vor allen andern zu verteidigen, oder eine neue, welche mein wäre, dafür aufzustellen; sondern als einen Anfang einer Geschichte der Farben, worauf, wenn sie erst durch dich und deine geistreichen Freunde bereichert worden, eine gründliche Theorie könne aufgebaut werden. Weil aber diese Geschichte nicht bloß als Katalog der darin überlieferten Sachen anzusehen ist, sondern auch als ein Apparat zu einer gründlichen und umfassenden Hypothese, hielt ich es der Sache gemäß, so meine ganze Dissertation zu stellen, daß ich sie zu jenem Zweck so brauchbar machte, als es sich wollte tun lassen. Deswegen zweifelte ich nicht, dir zu bezeugen, ich sei geneigt gewesen, sowohl dir die Arbeit zu ersparen, verschiedene unzulängliche Theorien, die dich niemals zu deinem Zweck führen würden, selbst zu erforschen, als überhaupt deine Untersuchungen zu vereinfachen, weshalb ich mir zweierlei zum Augenmerk nahm, einmal daß ich gewisse Versuche aufzeichnete, welche durch Hülfe begleitender Betrachtungen und Erinnerungen dir dienen könnten, die Schwäche und Unzulänglichkeit der gemeinen peripatetischen Lehre und der gegenwärtig mit noch mehr Beifall aufgenommenen Theorie der Chemiker von den Farben einzusehen. Denn da diese beiden Lehren sich festgesetzt haben, und zwar die eine in den meisten Schulen, die andre aber bei den meisten Ärzten und andern gelehrten Männern, deren Leben und Berufsart nicht erlaubt, daß sie die eigentlichsten ersten und einfachsten Naturanfänge gewissenhaft untersuchten, so glaubt› ich wenig Nützliches zu leisten, wenn ich nicht etwas täte, die Unzulänglichkeit dieser Hypothesen offenbar zu machen. Deswegen ich denn zweitens unter meine Versuche diejenigen in größerer Zahl aufgenommen, welche dir zeigen mögen, daß ich jener Meinung geneigt bin, welche behauptet, die Farbe sei eine Modifikation des Lichtes, wodurch ich dich anlocken wollen, diese Hypothese weiter auszubilden und dahin zu erheben, daß du vermittelst derselben die Erzeugung der besondern Farben erklären könnest, wie ich bemüht gewesen, sie zur Erklärung des Weißen und Schwarzen anzuwenden.»
V. «Zum dritten aber, mein Pyrophilus, ob dieses zwar gegenwärtig die Hypothese ist, die ich vorziehe, so schlage ich sie doch nur im allgemeinen Sinne vor, indem ich nur lehre: die Lichtstrahlen werden von den Körpern, woher sie zurückgeworfen oder gebrochen zum Auge kommen, modifiziert und bringen so jene Empfindung hervor, welche wir Farbe zu nennen pflegen. Ob aber diese Modifikation des Lichts geschehe, indem es mit den Schatten gemischt wird, oder durch ein verschiedenes Verhältnis der Bewegung und Rotation der Kügelchen des Cartesius, oder auf irgendeine andre Weise, dies unterstehe ich mich nicht hier auszumachen. Viel weniger unterstehe ich mich anzugeben, ja ich glaube nicht einmal alles Wissensnötige zu wissen, um dir oder auch mir selbst eine vollkommene Theorie des Sehens und der Farben zu überliefern. Denn erstlich, um dergleichen zu unternehmen, müßte ich zuvor einsehen, was das Licht sei, und wenn es ein Körper ist, und das scheint es wohl oder doch die Bewegung eines Körpers zu sein, aus was für einer Art Körperchen nach Größe und Figur es bestehe, mit welcher Geschwindigkeit sie vorschreiten und sich um ihre Mittelpunkte bewegen; hernach möchte ich die Natur der Brechung erkennen, welche von den geheimsten ist, wenn du sie nicht scheinbar, sondern gründlich erklären willst, die ich nur in der Naturlehre gefunden habe. Dann möchte ich wissen, welche Art und welcher Grad der Vermischung der Finsternis oder der Schatten bei Refraktionen und Reflexionen oder durch beide geschehe, auf den oberflächlichen Teilen der Körper, welche erleuchtet immer nur eine Farbe zeigen, die blaue, gelbe, rote. Dann wünscht› ich unterrichtet zu sein, warum die Verbindung des Lichtes und Schattens, welche zum Beispiel von dem Häutchen einer reifen Kirsche gewirkt wird eine rote Farbe zeige, nicht aber eine grüne, und das Blatt desselben Baums mehr eine grüne als eine rote Farbe. Zuletzt auch, warum das Licht, das zu solchen Farben modifiziert ist, wenn es nur aus Körperchen besteht, welche gegen die Retina oder das Mark des optischen Nerven bewegt werden, nicht bloß ein Stechen, sondern eine Farbe hervorbringe, da doch die Nadel, wenn sie das Auge verwundet, keine Farbe, sondern einen Schmerz hervorbringen würde. Dies und anderes wünscht› ich zu wissen, ehe ich glaubte, die wahre und vollkommene Natur der Farben erkannt zu haben. Daher, ob ich gleich durch die Versuche und Betrachtungen, die ich in diesem Büchelchen überliefre, einigermaßen meine Unwissenheit in dieser Sache zu mindern gesucht habe und es für viel besser halte, etwas als gar nichts zu entdecken, so nehme ich mir doch nur vor, durch die Versuche, welche ich darlege, wahrscheinlich zu machen, daß sich einige Farben sehr wohl durch die hier überlieferte Lehre im allgemeinen erklären lassen. Denn so oft ich mich auf eine ins einzelne gehende und genaue Erklärung des Besondern einlassen soll, empfinde ich die große Dunkelheit der Dinge, selbst die nicht ausgenommen, die wir nicht anders zu Gesicht bekommen, als wenn sie erleuchtet werden, und ich stimme Scaligern bei, wenn er von der Natur der Farbe handlend spricht: die Natur verbirgt diese sowie andre Erscheinungen in die tiefste Dunkelheit des menschlichen Unwissens.»
So unverkennbar auch aus dem Vortrage Boyles die Vorliebe, gewisse Farbenphänomene mechanisch zu erklären, erhellt, so bescheiden drückt er sich doch gegen andere Theorien und Hypothesen aus, so sehr empfindet er, daß noch andre Arten von Erklärungen, Ableitungen möglich und zulässig wären; er bekennt, daß noch lange nicht genug vorgearbeitet sei, und läßt uns zuletzt in einem schwankenden zweifelhaften Zustande.
Wenn er nun von einer Seite, durch die vielfachen Erfahrungen, die er gesammlet, sich bei den Naturforschern Ansehen und Dank erwarb, so daß dasjenige, was er mitgeteilt und überliefert, lange Zeit in der Naturlehre Wert und Gültigkeit behielt, in allen Lehrbüchern wiederholt und fortgepflanzt wurde, so war doch von der andern Seite seine Gesinnung viel zu zart, seine Äußerungen zu schwankend, seine Forderungen zu breit, seine Zwecke zu unabsehlich, als daß er nicht hätte durch eine neu eintretende ausschließende Theorie leicht verdrängt werden können, da ein lernbegieriges Publikum am liebsten nach einer Lehre greift, woran es sich festhalten und wodurch es aller weitern Zweifel, alles weitern Nachdenkens bequem überhoben wird.