Lichter, welche an Farbe verschieden sind, dieselben sind auch an Refrangibilität verschieden, und zwar gradweise.
24.
Wenn wir gleich von Anfang willig zugestehen, das Werk, welches wir behandeln, sei völlig aus einem Gusse, so dürfen wir auch bemerken, dass in den vorstehenden ersten Worten, in dieser Proposition, die uns zum Eintritt begegnet, schon die ganze Lehre wie in einer Nuss vorhanden sei und dass auch zugleich eine kaptiöse Methode völlig eintrete, wodurch uns der Verfasser das ganze Buch hindurch zum besten hat. Dieses zu zeigen, dieses anschaulich und deutlich zu machen, dürfen wir ihm nicht leicht ein Wort, eine Wendung hingehen lassen, und wir ersuchen unsre Leser um die vollkommenste Aufmerksamkeit, dafür sie sich denn aber auch von der Knechtschaft dieser Lehre auf ewige Zeiten befreit fühlen werden.
25.
Lichter – Mit diesem Plural kommt die Sub- und Obreption, deren sich Newton durch das ganze Werk schuldig macht, gleich recht in den Gang. Lichter, mehrere Lichter! Und was denn für Lichter?
welche an Farbe verschieden sind – In dem ersten und zweiten Versuche, welche zum Beweis dienen sollen, führt man uns farbige Papiere vor, und diejenigen Wirkungen, die von dorther in unser Auge kommen, werden gleich als Lichter behandelt. Offenbar ein hypothetischer Ausdruck; denn der gemeine Sinn beobachtet nur, dass uns das Licht mit verschiedenen Eigenschaften der Oberflächen bekannt macht; dass aber dasjenige, was von diesen zurückstrahlt, als ein verschiedenartiges Licht angesehen werden könne, darf nicht vorausgesetzt werden.
Genug, wir haben schon farbige Lichter fertig, ehe noch von einem farblosen die Rede gewesen. Wir operieren schon mit farbigen Lichtern, und erst hinterdrein vernehmen wir, wie und wo etwa ihr Ursprung sein möchte. Dass aber hier von Lichtern die Rede nicht sein könne, davon ist jeder überzeugt, der den Entwurf unserer Farbenlehre wohl erwogen hat. Wir haben nämlich genugsam dargetan, dass alle Farbe einem Licht und Nicht-Licht ihr Dasein schuldig sei, dass die Farbe sich durchaus zum Dunkeln hinneige, dass sie ein (…) sei, dass, wenn wir eine Farbe auf einen hellen Gegenstand hinwerfen, es sei auf welche Weise es wolle, wir denselben nicht beleuchten, sondern beschatten. Mit solchem Schattenlicht, mit solcher Halbfinsternis fängt Newton sehr künstlich seinen ganzen Vortrag an, und kein Wunder, dass er diejenigen, die ihm sein Erstes zugeben, von nun an im Dunkeln oder Halbdunkeln zu erhalten weiß.
26.
dieselben sind auch an Refrangibilität – Wie springt doch auf einmal dieses abstrakte Wort hervor! Freilich steht es schon in den Axiomen, und der aufmerksam gläubige Schüler ist bereits von diesen Wundern durchdrungen und hat nicht mehr die Freiheit, dasjenige, was ihm vorgeführt wird, mit einigem Misstrauen zu untersuchen.
27.
verschieden – Die Refrangibilität macht uns also mit einem großen Geheimnis bekannt. Das Licht, jenes Wesen, das wir nur als eine Einheit, als einfach wirkend gewahr werden, wird uns nun als ein Zusammengesetztes, aus verschiedenartigen Teilen Bestehendes, auf eine verschiedene Weise Wirkendes dargestellt.
Wir geben gern zu, dass sich aus einer Einheit, an einer Einheit ein Diverses entwickeln, eine Differenz entstehen könne; allein es gibt gar verschiedene Arten, wie dieses geschehen mag. Wir wollen hier nur zweier gedenken: erstens, dass ein Gegensatz hervortritt, wodurch die Einheit sich nach zwei Seiten hin manifestiert und dadurch großer Wirkungen fähig wird; zweitens, dass die Entwicklung des Unterschiedenen stetig in einer Reihe vorgeht. Ob jener erste Fall etwa bei den prismatischen Erscheinungen eintreten könne, davon hat Newton nicht die mindeste Vermutung, ob ihn gleich das Phänomen oft genug zu dieser Auslegungsart hindrängt. Er bestimmt sich vielmehr ohne Bedenken für den zweiten Fall. Es ist nicht nur eine diverse Refrangibilität, sondern sie wirkt auch
28.
gradweise – Und so ist denn gleich ein auf- und auseinanderfolgendes Bild, eine Skala, ein aus verschiedenen Teilen, aber aus unendlichen bestehendes, ineinander fließendes und doch separables, zugleich aber auch inseparables Bild fertig, ein Gespenst, das nun schon hundert Jahre die wissenschaftliche Welt in Ehrfurcht zu erhalten weiß.
29.
Sollte in jener Proposition etwas Erfahrungsgemäßes ausgesprochen werden, so könnte es allenfalls heißen: Bilder, welche an Farbe verschieden sind, erscheinen durch Refraktion auf verschiedene Weise von der Stelle bewegt. Indem man sich dergestalt ausdrückte, spräche man denn doch das Phänomen des ersten Versuchs allenfalls aus. Man könnte die Erscheinung eine diverse Refraktion nennen und alsdann genauer nachforschen, wie es denn eigentlich damit aussehe. Aber dass wir sogleich zu den Ibilitäten, zu den Keiten geführt werden, dass wir den Beweis derselben mit Gefallen aufnehmen sollen, ja, dass wir nur darauf eingehen sollen, sie uns beweisen zu lassen, ist eine starke Forderung.
Beweis durch Experimente
30.
Wir möchten nicht gern gleich von Anfang unsre Leser durch irgendeine Paradoxie scheu machen; wir können uns aber doch nicht enthalten zu behaupten, dass sich durch Erfahrungen und Versuche eigentlich nichts beweisen lässt. Die Phänomene lassen sich sehr genau beobachten, die Versuche lassen sich reinlich anstellen, man kann Erfahrungen und Versuche in einer gewissen Ordnung aufführen, man kann eine Erscheinung aus der andern ableiten, man kann einen gewissen Kreis des Wissens darstellen, man kann seine Anschauungen zur Gewissheit und Vollständigkeit erheben, und das, dächte ich, wäre schon genug. Folgerungen hingegen zieht jeder für sich daraus; beweisen lässt sich nichts dadurch, besonders keine Ibilitäten und Keiten. Alles, was Meinungen über die Dinge sind, gehört dem Individuum an, und wir wissen nur zu sehr, dass die Überzeugung nicht von der Einsicht, sondern von dem Willen abhängt, dass niemand etwas begreift, als was ihm gemäß ist und was er deswegen zugeben mag. Im Wissen wie im Handeln entscheidet das Vorurteil alles, und das Vorurteil, wie sein Name wohl bezeichnet, ist ein Urteil vor der Untersuchung. Es ist eine Bejahung oder Verneinung dessen, was unsre Natur anspricht oder ihr widerspricht; es ist ein freudiger Trieb unsres lebendigen Wesens nach dem Wahren wie nach dem Falschen, nach allem, was wir mit uns im Einklang fühlen.
31.
Wir bilden uns also keineswegs ein, zu beweisen, dass Newton unrecht habe; denn jeder atomistisch Gesinnte, jeder am Hergebrachten Festhaltende, jeder vor einem großen alten Namen mit heiliger Scheu Zurücktretende, jeder Bequeme wird viel lieber die erste Proposition Newtons wiederholen, darauf schwören, versichern, dass alles erwiesen und bewiesen sei, und unsere Bemühungen verwünschen.
Ja, wir gestehen es gerne, dass wir seit mehreren Jahren oft mit Widerwillen dieses Geschäft aufs neue vorgenommen haben. Denn man könnte sich’s wirklich zur Sünde rechnen, die selige Überzeugung der Newtonischen Schule, ja, überhaupt die himmlische Ruhe der ganzen halbunterrichteten Welt in und an dem Kredit dieser Schule zu stören und in Unbehaglichkeit zu setzen. Denn wenn die sämtlichen Meister die alte starre Konfession immer auf ihren Lehrstühlen wiederholen, so imprimieren sich die Schüler jene kurzen Formeln sehr gerne, womit das Ganze abgetan und beiseite gebracht wird, indessen das übrige Publikum diese selige Überzeugung gleichsam aus der Luft aufschnappt; wie ich denn die Anekdote hier nicht verschweigen kann, dass ein solcher Glücklicher, der von den neueren Bemühungen etwas vernahm, versicherte: Newton habe das alles schon gesagt und besser; er wisse nur nicht, wo.
32.
Indem wir uns nun also zu den Versuchen wenden, so bitten wir unsre Leser, auf den ersten sogleich alle Aufmerksamkeit zu richten, den der Verfasser durch einen salto mortale gleich zu Anfang wagt und uns ganz unerwartet in medias res hineinreißt, wobei wir, wenn wir nicht wohl acht haben, überrascht werden, uns verwirren und sogleich die Freiheit des Urteils verlieren.
33.
Diejenigen Freunde der Wissenschaft, die mit den subjektiven dioptrischen Versuchen der zweiten Klasse, die wir umständlich genug vorgetragen und abgeleitet, gehörig bekannt sind, werden sogleich einsehen, dass Newton hier nicht auf eine Weise verfährt, die dem Mathematiker geziemt. Denn dieser setzt, wenn er belehren will, das Einfachste voraus und baut aus den begreiflichsten Elementen sein bewundernswürdiges Gebäude zusammen. Newton hingegen stellt den kompliziertesten subjektiven Versuch, den es vielleicht gibt, an die Spitze, verschweigt seine Herkunft, hütet sich, ihn von mehreren Seiten darzustellen, und überrascht den unvorsichtigen Schüler, der, wenn er einmal Beifall gegeben, sich in dieser Schlinge gefangen hat, nicht mehr weiß, wie er zurück soll.
Dagegen wird es demjenigen, der die wahren Verhältnisse dieses ersten Versuchs einsieht, leicht sein, sich auch vor den übrigen Fesseln und Banden zu hüten, und wenn sie ihm früher durch Überlieferung umgeworfen worden, sie mit freudiger Energie abzuschütteln.
Erster Versuch
34.
Ich nahm ein schwarzes längliches steifes Papier, das von parallelen Seiten begrenzt war, und teilte es durch eine perpendikuläre Linie, die von einer der längern Seiten zu der andern reichte, in zwei gleiche Teile. Einen dieser Teile strich ich mit einer roten, den andern mit einer blauen Farbe an; das Papier war sehr schwarz und die Farben stark und satt aufgetragen, damit die Erscheinung desto lebhafter sein möchte.
35.
Dass hier das Papier schwarz sein müsse, ist eine ganz unnötige Bedingung. Denn wenn das Blaue und Rote stark und dick genug aufgetragen ist, so kann der Grund nicht mehr durchblicken, er sei, von welcher Farbe er will. Wenn man jedoch die Newtonische Hypothese kennt, so sieht man ungefähr, was es heißen soll. Er fordert hier einen schwarzen Grund, damit ja nicht etwas von seinem supponierten unzerlegten Licht durch die aufgetragenen Farben als durchfallend vermutet werden könne. Allein, wie schon gezeigt ist, steht die Bedingung hier ganz unnütz, und nichts verhindert mehr die wahre Einsicht in ein Phänomen oder einen Versuch als überflüssige Bedingungen. Eigentlich heißt alles nichts weiter als: man verschaffe sich zwei gleiche Vierecke von rotem und blauem steifem Papier und bringe sie genau neben einander.
Wollte nun der Verfasser fortfahren, seinen Versuch richtig zu beschreiben, so musste er vor allen Dingen die Lage, Stellung, genug die Lokalität dieses zweifarbigen Papiers genau angeben, anstatt dass sie jetzt der Leser erst aus dem später Folgenden nach und nach mühsam und nicht ohne Gefahr, sich zu vergreifen, einzeln zusammensuchen muss.
36.
Dieses Papier betrachtete ich durch ein gläsernes massives Prisma, dessen zwei Seiten, durch welche das Licht zum Auge gelangte, glatt und wohl poliert waren und in einem Winkel von ungefähr sechzig Graden zusammenstießen, den ich den brechenden Winkel nenne. Und indem ich also nach dem Papier schaute, hielt ich das Prisma gegen das Fenster dergestalt, dass die langen Seiten des Papiers und das Prisma sich parallel gegen den Horizont verhielten, da denn jene Durchschnittslinie, welche die beiden Farben trennte, gegen denselben rechtwinklig gerichtet war.
37.
Im Englischen steht anstatt rechwinklig parallel, welches offenbar ein Druckfehler ist. Denn die langen Seiten des farbigen Papiers und die Durchschnittslinie können nicht zugleich parallel mit dem Horizont sein. Im Lateinischen steht perpendikular, welches an sich ganz richtig ist; da aber nicht von einem Grundrisse, sondern einem räumlichen Verhältnisse die Rede ist, so versteht man leicht vertikal darunter, wodurch der Versuch in Konfusion geriete. Denn das farbige Papier muss flach liegen, und die kurzen Seiten müssen, wie wir angeben, mit dem Horizont oder, wenn man will, mit der Fensterbank einen rechten Winkel machen.
38.
Und das Licht, das von dem Fenster auf das Papier fiel, einen Winkel mit dem Papier machte, demjenigen gleich, in welchem das Papier das Licht nach dem Auge zurückwarf.
39.
Wie kann man sagen, dass das allgemeine Tageslicht – denn hier scheint nicht vom Sonnenlichte die Rede zu sein – einen Winkel mit dem Papier mache, da es von allen Enden hier darauf fällt? Auch ist die Bedingung ganz unnötig; denn man könnte die Vorrichtung ebenso gut an der Seite des Fensters machen.
40.
jenseits des Prismas war die Fensterbrüstung mit schwarzem Tuche beschlagen, welches also sich im Dunkeln befand, damit kein Licht von daher kommen konnte, das etwa an den Kanten des Papiers vorbei zu dem Auge gelangt wäre, sich mit dem Lichte des Papiers vermischt und das Phänomen unsicher gemacht hätte.
41.
Warum sagt er nicht lieber: jenseits des farbigen Papiers? Denn dieses kommt ja näher an das Fenster zu stehen, und das schwarze Tuch soll nur dazu dienen, um dem farbigen Papier einen dunkeln Hintergrund zu verschaffen. Wollte man diese Vorrichtung gehörig und deutlich angeben, so würde es auf folgende Weise geschehen: Man beschlage den Wandraum unter einer Fensterbank bis an den Fußboden mit schwarzem Tuche, man verschaffe sich ein Parallelogramm* von Pappe und überziehe es zur Hälfte mit rotem, zur Hälfte mit blauem Papier, welche beide an der kurzen Durchschnittslinie zusammenstoßen. Diese Pappe bringe man flachliegend, etwa in der halben Höhe der schwarzbeschlagenen Fensterbrüstung vor derselben dergestalt an, dass sie dem etwas weiter abstehenden Beobachter wie auf schwarzem Grunde erscheine, ohne dass von dem Gestell, worauf man sie angebracht, etwas zu sehen sei. Ihre längeren Seiten sollen sich zur Fensterwand parallel verhalten, und in derselben Richtung halte der Beobachter auch das Prisma, wodurch er nach gedachtem Papier hinblickt, einmal den brechenden Winkel aufwärts und sodann denselben unterwärts gekehrt.
Was heißt nun aber diese umständliche Vorrichtung anders als: man bringe das oben beschriebene doppelfarbige Papier auf einen schwarzen Grund, oder man klebe ein rotes und ein blaues Viereck horizontal nebeneinander auf eine schwarzgrundierte Tafel und stelle sie vor sich hin; denn es ist ganz gleichgültig, ob dieser schwarze Grund auch einigermaßen erleuchtet sei und allenfalls ein dunkles Grau vorstelle, das Phänomen wird immer dasselbe sein. Durch die sämtlichen Newtonischen Versuche jedoch geht eine solche pedantische Genauigkeit, alles nach seiner Hypothese unzerlegte Licht zu entfernen und dadurch seinen Experimenten eine Art von Reinlichkeit zu geben, welche, wie wir noch genugsam zeigen werden, durchaus nichtig ist und nur zu unnützen Forderungen und Bedingungen die Veranlassung gibt.
42.
Als diese Dinge so geordnet waren, fand ich, indem ich den brechenden Winkel des Prismas aufwärts kehrte und das farbige Papier scheinbar in die Höhe hob, dass die blaue Hälfte durch die Brechung höher gehoben wurde als die rote Hälfte. Wenn ich dagegen den brechenden Winkel unterwärts kehrte, so dass das Papier durch die Brechung herabgezogen schien, so war die blaue Hälfte tiefer heruntergeführt als die rote.
43.
Wir haben in unserm Entwurf der Farbenlehre die dioptrischen Farben der zweiten Klasse und besonders die subjektiven Versuche umständlich genug ausgeführt, besonders aber im 18. Kapitel von Paragraph 258 bis 284 auf das genaueste dargetan, was eigentlich vorgeht, wenn farbige Bilder durch Brechung verrückt werden. Es ist dort auf das klarste gezeigt, dass an farbigen Bildern, eben wie an farblosen, farbige Ränder entstehen, welche mit der Fläche entweder gleichnamig oder ungleichnamig sind, in dem ersten Falle aber die Farbe der Fläche begünstigen, in dem andern sie beschmutzen und unscheinbar machen; und dieses ist es, was einem leichtsinnigen oder von Vorurteilen benebelten Beobachter entgeht und was auch den Autor zu der übereilten Folgerung verführte, wenn er ausruft:
44.
Deshalb in beiden Fällen das Licht, welches von der blauen Hälfte des Papiers durch das Prisma zum Auge kommt, unter denselben Umständen eine größere Refraktion erleidet als das Licht, das von der roten Hälfte kommt und folglich refrangibler ist als dieses.
45.
Dies ist nun der Grund- und Eckstein des Newtonischen optischen Werks; so sieht es mit einem Experiment aus, das dem Verfasser so viel zu bedeuten schien, dass er es aus hunderten heraushob, um es an die Spitze aller chromatischen Erfahrungen zu setzen. Wir haben schon (E. 268.) bemerkt, wie kaptiös und taschenspielerisch dieser Versuch angegeben worden; denn wenn die Erscheinung einigermaßen täuschen soll, so muss das Rote ein Zinnoberrot und das Blaue sehr dunkelblau sein. Nimmt man Hellblau, so wird man die Täuschung gleich gewahr. Und warum ist denn niemandem eingefallen, noch eine andre verfängliche Frage zu tun? Nach der Newtonischen Lehre ist das Gelbrot am wenigsten refrangibel, das Blaurot am meisten; warum nimmt er denn also nicht ein violettes Papier neben das rote, sondern ein dunkelblaues? Wäre die Sache wahr, so müsste die Verschiedenheit der Refrangibilität bei Gelbrot und Violett weit stärker sein als bei Gelbrot und Blau. Allein hier findet sich der Umstand, dass ein violettes Papier die prismatischen Ränder weniger versteckt als ein dunkelblaues, wovon sich jeder Beobachter nunmehr nach unsrer umständlichen Anleitung leicht überzeugen kann. Wie es dagegen um die Newtonische Beobachtungsgabe und um die Genauigkeit seiner Experimente stehe, wird jeder, der Augen und Sinn hat, mit Verwunderung gewahr werden; ja, man darf dreist sagen: wer hätte einen Mann von so außerordentlichen Gaben, wie Newton war, durch ein solches Hokuspokus betrügen können, wenn er sich nicht selbst betrogen hätte? Nur derjenige, der die Gewalt des Selbstbetruges kennt und weiß, dass er ganz nahe an die Unredlichkeit grenzt, wird allein das Verfahren Newtons und seiner Schule sich erklären können.
46.
Wir wollen nur noch mit wenigem auf die Newtonische Figur, die elfte seiner zweiten Tafel, welche bei ihm selbst nachzusehen wäre, die Aufmerksamkeit erregen. Sie ist perspektivisch konfus gezeichnet und hat nebenher noch etwas merkwürdig Kaptiöses. Die zweifarbige Pappe ist hier durch Dunkel und Hell unterschieden, die rechtwinklige Lage ihrer Fläche gegen das Fenster ist ziemlich deutlich angegeben; allein das durchs Prisma bewaffnete Auge steht nicht an der rechten Stelle; es müsste in einer Linie mit der Durchschnittslinie der gefärbten Pappe stehen. Auch ist die Verrückung der Bilder nicht glücklich angegeben; denn es sieht aus, als wenn sie in der Diagonale verrückt würden, welches doch nicht ist; denn sie werden nur, je nachdem der brechende Winkel gehalten wird, vorn Beobachter ab- oder zum Beobachter zugerückt. Was aber höchst merkwürdig ist, darf niemandem entgehen. Die verrückten, nach der Newtonischen Lehre divers refrangierten Bilder sind mit Säumen vorgestellt, die im Original an dem dunklen Teil undeutlich, an dem hellen Teil sehr deutlich zu sehen sind, welches letzte auch die Tafeln zur lateinischen Übersetzung zeigen. Wenn also bei diesem Experimente nichts weiter geschieht, als dass ein Bild weiter gerückt werde als das andre: warum lässt er denn die Bilder nicht in ihren Linien eingeschlossen, warum macht er sie breiter, warum gibt er ihnen verfließende Säume? Er hat also diese Säume wohl gesehen; aber er konnte sich nicht überzeugen, dass diesen Säumen und keineswegs einer diversen Refrangibilität das Phänomen zuzuschreiben sei. Warum erwähnt er denn im Texte dieser Erscheinung nicht, die er doch sorgfältig, obgleich nicht ganz richtig, in Kupfer stechen lässt? Wahrscheinlich wird ein Newtonianer darauf antworten: Das ist eben noch von dem undekomponierten Lichte, das wir niemals ganz loswerden können und das hier sein Unwesen treibt
Zweiter Versuch
47.
Inwiefern auch dieser Versuch auf einer Täuschung beruhe wie der vorige, ist nunmehr unsre Pflicht klarzumachen. Wir finden aber diesmal geratener, den Verfasser nicht zu unterbrechen, sondern ihn ausreden zu lassen, alsdann aber unsere Gegenrede im Zusammenhange vorzutragen.
48.
Um das vorgemeldete Papier, dessen eine Hälfte blau, die andere rot angestrichen und welches steif wie Pappe war, wickelte ich einen Faden schwarzer Seide mehrmals um, dergestalt, dass es aussah, als wenn schwarze Linien über die Farbe gezogen wären oder als wenn schmale schwarze Schatten darauf fielen. Ich hätte ebenso gut schwarze Linien mit einer Feder ziehen können; aber die Seide bezeichnete feinere Striche.
49.
Dieses so gefärbte und linierte Papier befestigte ich an der Wand, so dass eine Farbe zur rechten, die andere zur linken Hand zu stehen kam. Genau vor das Papier, unten wo die beiden Farben zusammentrafen, stellte ich ein Licht, um das Papier stark zu beleuchten; denn das Experiment war bei Nacht angestellt.
50.
Die Flamme der Kerze reichte bis zum untern Rande des Papiers oder um ein weniges höher. Dann, in der Entfernung von sechs Fuß und ein oder zwei Zoll von dem Papier an der Wand, richtete ich eine Glaslinse auf, welche vier und einen viertel Zoll breit war, welche die Strahlen, die von den verschiedenen Punkten des Papiers herkämen, auffassen und in der Entfernung von sechs Fuß, ein oder zwei Zoll auf der andern Seite der Linse, in so viel andern Punkten zusammenbringen und das Bild des farbigen Papiers auf einem weißen Papier, das dorthingestellt war, abbilden sollte, auf die Art, wie die Linse in einer Ladenöffnung die Bilder der Objekte draußen auf einen weißen Bogen Papier in der dunklen Kammer werfen mag.
51.
Das vorgedachte weiße Papier stand vertikal zu dem Horizont und parallel mit der Linse. Ich bewegte dasselbe manchmal gegen die Linse, manchmal von ihr weg, um die Plätze zu finden, wo die Bilder der blauen und roten Teile des Papiers am deutlichsten erscheinen würden. Diese Plätze konnte ich leicht erkennen an den Bildern der schwarzen Linien, die ich hervorgebracht hatte, indem ich die Seide um das Papier wand. Denn die Bilder dieser f einen und zarten Linien, die sich wegen ihrer Schwärze wie ein Schatten auf der Farbe absetzten, waren dunkel und kaum sichtbar, außer wenn die Farbe an jeder Seite einer jeden Linie ganz deutlich begrenzt war. Deswegen bezeichnete ich so genau als möglich die Plätze, wo die Bilder der blauen und roten Hälfte des farbigen Papiers am deutlichsten erschienen. Ich fand, dass, wo die rote Hälfte ganz deutlich war, die blaue Hälfte verworren erschien, so dass ich die darauf gezogenen schwarzen Linien kaum sehen konnte; im Gegenteil, wo man die blaue Hälfte deutlich unterscheiden konnte, erschien die rote verworren, so dass die schwarzen Linien darauf kaum sichtbar waren. Zwischen den beiden Orten aber, wo diese Bilder sich deutlich zeigten, war die Entfernung ein und ein halber Zoll. Denn die Entfernung des weißen Papiers von der Linse, wenn das Bild der roten Hälfte sehr deutlich erschien, war um einen und einen halben Zoll größer als die Entfernung des weißen Papiers von der Linse, wenn das Bild der blauen Hälfte sehr deutlich war. Daraus folgern Wir, dass, indem das Blaue und Rote gleichmäßig auf die Linse fiel, doch das Blaue mehr durch die Linse gebrochen wurde als das Rote, so dass es um anderthalb Zoll früher konvergierte, und dass es deswegen refrangibler sein müsse.
52.
Nachdem wir den Verfasser angehört, seine Vorrichtung wohl kennengelernt und das, was er dadurch zu bewirken glaubt, vernommen haben, so wollen wir unsre Bemerkungen zu diesem Versuche unter verschiedenen Rubriken vorbringen und denselben in seine Elemente zu zerlegen suchen, worin der Hauptvorteil aller Kontrovers mit Newton bestehen muss.
53.
Unsre Betrachtungen beziehen sich also i) auf das Vorbild, 2) auf die Beleuchtung, 3) auf die Linse, 4) auf das gewirkte Abbild und 5) auf die aus den Erscheinungen gezogene Folgerung.
54.
1) Das Vorbild. Ehe wir mit der aus dem vorigen Versuch uns schon bekannten doppelfarbigen Pappe weiter operieren, so müssen wir sie und ihre Eigenschaften uns erst näher bekannt machen.
55.
Man bringe mennigrotes und sattblaues Papier nebeneinander, so wird jenes hell, dieses aber dunkel und, besonders bei Nacht, dem Schwarzen fast ähnlich erscheinen. Wickelt man nun schwarze Fäden um beide oder zieht man schwarze Linien darüber her, so ist offenbar, dass man mit bloßem Auge die schwarzen Linien auf dem hellroten in ziemlicher Entfernung erkennen wird, wo man eben diese Linien auf dem blauen noch nicht erkennen kann. Man denke sich zwei Männer, den einen im scharlachroten, den andern im dunkelblauen Rocke, beide Kleider mit schwarzen Knöpfen; man lasse sie beide nebeneinander eine Straße heran gegen den Beobachter kommen, so wird dieser die Knöpfe des roten Rocks viel eher sehen als die des blauen, und die beiden Personen müssen schon nahe sein, wenn beide Kleider mit ihren Knöpfen gleich deutlich dem Auge erscheinen sollen.
56.
Um daher das richtige Verhältnis jenes Versuches einzusehen, vermannigfaltige man ihn. Man teile eine viereckte Fläche in vier gleiche Quadrate, man gebe einem jeden eine besondre Farbe, man ziehe schwarze Striche über sie alle hin, man betrachte sie in gewisser Entfernung mit bloßem Auge oder mit einer Lorgnette, man verändre die Entfernung, und man wird durchaus finden, dass die schwarzen Fäden dem Sinne des Auges früher oder später erscheinen, keineswegs weil die verschiedenen farbigen Gründe besondre Eigenschaften haben, sondern bloß insofern, als der eine heller ist als der andre. Nun aber, um keinen Zweifel übrigzulassen, wickle man weiße Fäden um die verschiedenen farbigen Papiere, man ziehe weiße Linien darauf, und die Fälle werden nunmehr umgekehrt sein. ja, um sich völlig zu überzeugen, so abstrahiere man von aller Farbe und wiederhole das Experiment mit weißen, schwarzen, grauen Papieren, und immer wird man sehen, dass bloß der Abstand des Hellen und Dunkeln Ursache der mehreren oder wenigern Deutlichkeit sei. Und so werden wir es auch bei dem Versuche, wie Newton ihn vorschlägt, durchaus antreffen.
57.
2) Die Beleuchtung. Man kann das aufgestellte Bild durch eine Reihe angezündeter Wachskerzen, welche man gegen die Linse zu verdeckt, sehr stark beleuchten, oder man bringt drei Wachskerzen unmittelbar aneinander, so dass ihre drei Dochte gleichsam nur eine Flamme geben. Diese verdeckt man gegen die Linse zu und lässt, indem man beobachtet, einen Gehilfen die Flamme ganz nahe an dem Bilde sachte hin und wieder führen, dass alle Teile desselben nach und nach lebhaft erleuchtet werden. Denn eine sehr starke Erleuchtung ist nötig, wenn der Versuch einigermaßen deutlich werden soll.
58.
3) Die Linse. Wir sehen uns hier genötigt, einiges Allgemeine vorauszuschicken, was wir sowohl an diesem Orte als auch künftig zur richtigen Einsicht in die Sache bedürfen.
59.
Jedes Bild bildet sich ab auf einer entgegengesetzten glatten Fläche, wohin seine Wirkung in gerader Linie gelangen kann. Auch erscheint es auf einer rauhen Fläche, wenn die einzelnen Teile des Bildes ausschließlich von einzelnen Teilen der entgegengesetzten Fläche zurückgesendet werden. Bei einer kleinen Öffnung in der Camera obscura bilden sich die äußern Gegenstände auf einer weißen Tafel umgekehrt ab.
60.
Bei einer solchen Abbildung wird der Zwischenraum als leer gedacht; der ausgefüllte, aber durchsichtige Raum verrückt die Bilder. Die Phänomene, welche bei Verrückung der Bilder durch Mittel sich aufdringen, besonders die farbigen Erscheinungen, sind es, die uns hier besonders interessieren.
61.
Durch Prismen von dreiseitiger Base und durch Linsen werden diejenigen Operationen vollbracht, mit denen wir uns besonders beschäftigen.
62.
Die Linsen sind gleichsam eine Versammlung unendlicher Prismen, und zwar konvexe eine Versammlung von Prismen, die mit dem Rücken aneinanderstehen, konkave eine Versammlung von Prismen, die mit der Schneide aneinanderstehen, und in beiden Fällen um ein Zentrum versammelt, mit krummlinigen Oberflächen.
63.
Das gewöhnliche Prisma, mit dem brechenden Winkel nach unten gekehrt, bewegt die Gegenstände nach dem Beobachter zu; das Prisma mit dem brechenden Winkel nach oben gekehrt, rückt die Gegenstände vom Beobachter ab. Wenn man sich diese beiden Operationen im Kreise herum denkt, so verengt das erste den Raum um den Beobachter her, das zweite erweitert ihn. Daher muss ein konvexes Glas im subjektiven Fall vergrößern, ein konkaves verkleinern; bei der Operation hingegen, die wir die objektive nennen, geschieht das Gegenteil.
64.
Die konvexe Linse, mit der wir es hier eigentlich zu tun haben, bringt die Bilder, welche durch sie hineinfallen, ins Enge. Das bedeutendste Bild ist das Sonnenbild. Lässt man es durch die Linse hindurchfallen und fängt es bald hinter derselben mit einer Tafel auf, so sieht man es zuerst bei wachsender Entfernung der Tafel immer mehr sich verkleinern, bis es auf eine Stelle kommt, wo es nach Verhältnis der Linse seine größte Kleinheit erreicht und am deutlichsten gesehen wird.
65.
Schon früher zeigt sich bei diesen Versuchen eine starke Hitze und eine Entzündung der entgegengehaltenen Tafel, besonders einer schwarzen. Diese Wirkung äußert sich ebenso gut hinter dem Bildpunkte der Sonne als vor demselben; doch kann man sagen, dass ihr Bildpunkt und der mächtigste Brennpunkt zusammenfalle.
66.
Die Sonne ist das entfernteste Bild, das sich bei Tage abbilden kann. Darum kommt es auch zuerst durch die Operation der Linse entschieden und genau begrenzt zusammen. Will man die Wolken auf der Tafel deutlich sehen, so muss man schon weiterrücken. Die Berge und Wälder, die Häuser, die zunächst stehenden Bäume, alle bilden sich stufenweise später ab, und das Sonnenbild hat sich hinter seiner Bildstelle schon wieder sehr stark ausgedehnt, wenn die nahen Gegenstände sich erst an ihrer Bildstelle zusammendrängen. Soviel sagt uns die Erfahrung in Absicht auf Abbildung äußerer Gegenstände durch Linsen.
67.
Bei dem Versuche, den wir gegenwärtig beleuchten, sind die verschiedenfarbigen Flächen, welche mit ihren schwarzen Fäden hinter der Linse abgebildet werden sollen, nebeneinander. Sollte nun eine früher als die andre deutlich erscheinen, so kann die Ursache nicht in der verschiedenen Entfernung gesucht werden.
68.
Newton wünscht seine diverse Refrangibilität dadurch zu beweisen; wir haben aber schon oben bei Betrachtung des Vorbildes auseinandergesetzt, dass eigentlich nur die verschiedene Deutlichkeit der auf verschiedenfarbigen Gründen angebrachten Bilder die Ursache der verschiedenen Erscheinungen hinter der Linse sei. Dass dieses sich also verhalte, haben wir näher zu zeigen.
69.
Wir beschreiben zuerst die Vorrichtung, welche wir gemacht, um bei dem Versuche ganz sicher zu gehen. Auf einem horizontal gelegten Gestelle findet sich an einem Ende Gelegenheit, das Vorbild einzuschieben. Vor demselben in einer Vertiefung können die Lichter angebracht werden. Die Linse ist in einem vertikalen Brett befestigt, welches sich auf dem Gestelle hin und wieder bewegen lässt. Innerhalb des Gestells ist ein beweglicher Rahmen, an dessen Ende eine Tafel aufgerichtet ist, worauf die Abbildung vor sich geht. Auf diese Weise kann man die Linse gegen das Vorbild oder gegen die Tafel, und die Tafel entweder gegen beide zu- oder von beiden abrücken, und die drei verschiedenen Teile, Vorbild, Linse und Tafel, stehen vollkommen parallel gegeneinander. Hat man den Punkt, der zur Beobachtung günstig ist, gefunden, so kann man durch eine Schraube den innern Rahmen festhalten. Diese Vorrichtung ist bequem und sicher, weil alles zusammensteht und genau aufeinander passt. Man sucht nun den Punkt, wo das Abbild am deutlichsten ist, indem man Linse und Tafel hin und her bewegt. Hat man diesen gefunden, so fängt man die Beobachtung an.
70.
4) Das Abbild. Newton führt uns mit seiner hellroten und dunkelblauen Pappe, wie er pflegt, in medias res, und wir haben schon oben bemerkt, dass erst das Vorbild vermannigfaltigt und untersucht werden müsse, um zu erfahren, was man von dem Abbild erwarten könne. Wir gehen daher folgendermaßen zu Werke. Wir bringen auf eine Pappe vier Vierecke in ein größeres Viereck zusammen, ein schwarzes, ein weißes, ein dunkelgraues und ein hellgraues. Wir ziehen schwarze und weiße Striche darüber hin und bemerken sie schon mit bloßem Auge nach Verschiedenheit des Grundes mehr oder weniger. Doch da Newton selbst seine schwarzen Fäden Bilder nennt, warum macht er denn den Versuch nicht mit wirklichen kleinen Bildern? Wir bringen daher auf die vier oben benannten Vierecke helle und dunkle kleine Bilder, gleichfalls Vierecke oder Scheiben oder Figuren wie die der Spielkarten an, und diese so ausgerüstete Pappe machen wir zum Vorbilde. Nun können wir zuerst zu einer sichern Prüfung desjenigen fortschreiten, was wir von dem Abbilde zu erwarten haben.
71.
Ein jedes von Kerzen erleuchtetes Bild zeigt sich weniger deutlich, als es beim Sonnenschein geschehen würde, und ein solches von Kerzen erleuchtetes Bild soll hier gar noch durch eine Linse gehen, soll ein Abbild hergeben, das deutlich genug sei, um eine bedeutende Theorie darauf zu gründen.
72.
Erleuchten wir nun jene unsere bemeldete Pappe so stark als möglich und suchen ihr Abbild auch möglichst genau durch die Linse auf die weiße Tafel zu bringen, so sehen wir immer doch nur eine stumpfe Abbildung. Das Schwarze erscheint als ein dunkles Grau, das Weiße als ein helles Grau, das dunkle und helle Grau der Pappe sind auch weniger zu unterscheiden als mit bloßem Auge. Ebenso verhält es sich mit den Bildern. Diejenigen, welche sich, dem Hellen und Dunkeln nach, am stärksten entgegensetzen, diese sind auch die deutlichsten. Schwarz auf Weiß, Weiß auf Schwarz lässt sich gut unterscheiden; Weiß und Schwarz auf Grau erscheint schon matter, obgleich noch immer in einem gewissen Grade von Deutlichkeit.
73.
Bereiten wir uns nun ein Vorbild von farbigen Quadraten aneinander, so muss uns zum voraus gegenwärtig bleiben, dass wir im Reich der halbbeschatteten Flächen sind, und dass das farbige Papier sich gewissermaßen verhalten wird wie das graue. Dabei haben wir uns zu erinnern, dass die Farben beim Kerzenlicht anders als bei Tage erscheinen. Das Violette wird grau, das Hellblaue grünlich, das Dunkelblaue fast schwarz, das Gelbe nähert sich dem Weißen, weil auch das Weiße gelb wird, und das Gelbrote wächst auch nach seiner Art, so dass also die Farben der aktiven Seite auch hier die helleren und wirksameren, die der passiven hingegen die dunkleren und unwirksameren bleiben. Man hat also bei diesem Versuch besonders die Farben der passiven Seite hell und energisch zu nehmen, damit sie bei dieser Nachtoperation etwas verlieren können. Bringt man nun auf diese farbigen Flächen kleine schwarze, weiße und graue Bilder, so werden sie sich verhalten, wie es jene angezeigten Eigenschaften mit sich bringen. Sie werden deutlich sein, insofern sie als Hell und Dunkel von den Farben mehr oder weniger abstechen. Eben dasselbe gilt, wenn man auf die schwarzen, weißen und grauen sowie auf die farbigen Flächen farbige Bilder bringt.
74.
Wir haben diesen Apparat der Vorbilder, um zur Gewissheit zu gelangen, bis ins überflüssige vervielfältigt. Denn dadurch unterscheidet sich ja bloß der Experimentierende von dem, der zufällige Erscheinungen, als wären’s unzusammenhängende Begebenheiten, anblickt und anstaunt. Newton sucht dagegen seinen Schüler immer nur an gewissen Bedingungen festzuhalten, weil veränderte Bedingungen seiner Meinung nicht günstig sind. Man kann daher die Newtonische Darstellung einer perspektivisch gemalten Theaterdekoration vergleichen, an der nur aus einem einzigen Standpunkte alle Linien zusammentreffend und passend gesehen werden. Aber Newton und seine Schüler leiden nicht, dass man ein wenig zur Seite trete, um in die offnen Kulissen zu sehen. Dabei versichern sie dem Zuschauer, den sie auf seinem Stuhle festhalten, es sei eine wirklich geschlossene und undurchdringliche Wand.
74, Satz 1-4. Bei dem im Goetheschen Sinne Experimentierenden hat jeder Versuch seine Stelle im Zusammenhange eines Ganzen. Und seine Erklärung liegt darinnen, wie er sich an die ihm vorhergehenden anschließt. Aus dieser Reihe herausgerissen, kann er nur zu einem unstatthaften Theoretisieren führen, das Wert und Einfluß der einzelnen Bedingungen unter- oder überschätzt.
75.
Wir haben bisher referiert, wie wir die Sache bei genauer Aufmerksamkeit gefunden, und man sieht wohl, dass einerseits die Täuschung dadurch möglich ward, dass Newton zwei farbige Flächen, eine helle und eine dunkle, miteinander vergleicht und verlangt, dass die dunkle leisten soll, was die helle leistet. Erführt sie uns vor nur als an Farbe verschieden und macht uns nicht aufmerksam, dass sie auch am Helldunkel verschieden sind. Wie er aber andrerseits sagen kann, Schwarz auf Blau sei alsdann sichtbar gewesen, wenn Schwarz auf Rot nicht mehr erschien, ist uns ganz und gar unbegreiflich.
76.
Wir haben zwar bemerkt, dass, wenn man für die weiße Tafel die Stelle gefunden hat, wo sich das Abbild am deutlichsten zeigt, man mit derselben noch etwas weniges vor- und rückwärts gehen kann, ohne der Deutlichkeit merklich Abbruch zu tun. Wenn man jedoch etwas zu weit vor- oder zu weit zurückgeht, so nimmt die Deutlichkeit der Bilder ab, und wenn man sie unter sich vergleicht, geschieht es in dem Maße, dass die stark vom Grunde abstechenden sich länger als die schwach abstechenden erhalten. So sieht man Weiß auf Schwarz noch ziemlich deutlich, wenn Weiß auf Grau undeutlich wird. Man sieht Schwarz auf Mennigrot noch einigermaßen, wenn Schwarz auf Indigoblau schon verschwindet, und so verhält es sich mit den übrigen Farben durch alle Bedingungen unserer Vorbilder. Dass es aber für das Abbild eine Stelle geben könne, wo das weniger abstechende deutlich, das mehr abstechende undeutlich sei, davon haben wir noch keine Spur entdecken können, und wir müssen also die Newtonische Assertion bloß als eine beliebige, aus dem vorgefassten Vorurteil entsprungene, bloß mit den Augen des Geistes gesehene Erscheinung halten und angeben. Da der Apparat leicht ist und die Versuche keine großen Umstände erfordern, so sind andre vielleicht glücklicher, etwas zu entdecken, was wenigstens zu des Beobachters Entschuldigung dienen könne.
77.
5) Folgerung. Nachdem wir gezeigt, wie es mit den Prämissen stelle, so haben wir unsres Bedünkens das vollkommenste Recht, die Folgerung ohne weiteres zu leugnen. ja, wir ergreifen diese Gelegenheit, den Leser auf einen wichtigen Punkt aufmerksam zu machen, der noch öfters zur Sprache kommen wird. Es ist der, dass die Newtonische Lehre durchaus zu viel beweist. Denn wenn sie wahr wäre, so könnte es eigentlich gar keine dioptrischen Fernröhre geben, wie denn auch Newton aus seiner Theorie die Unmöglichkeit ihrer Verbesserung folgerte; ja, selbst unserm bloßen Auge müssten farbige Gegenstände neben einander durchaus verworren erscheinen, wenn sich die Sache wirklich so verhielte. Denn man denke sich ein Haus, das in vollem Sonnenlicht stünde; es hätte ein rotes Ziegeldach, wäre gelb angestrichen, hätte grüne Schaltern, hinter den offnen Fenstern blaue Vorhänge, und ein Frauenzimmer ginge im violetten Kleide zur Türe heraus. Betrachteten wir nun das Ganze mit seinen Teilen aus einem gewissen Standpunkte, wo wir es auf einmal ins Auge fassen könnten, und die Ziegel wären uns recht deutlich, wir wendeten aber das Auge sogleich auf das Frauenzimmer, so würden wir die Form und die Falten ihres Kleides keineswegs bestimmt erblicken, wir müssten vorwärts treten, und sähen wir das Frauenzimmer deutlich, so müssten uns die Ziegel wie im Nebel erscheinen, und wir hätten dann auch, um die Bilder der übrigen Teile ganz bestimmt im Auge zu haben, immer etwas vor- und etwas zurückzutreten, wenn die prätendierte, im zweiten Experiment erwiesen sein sollende diverse Refrangibilität stattfände. Ein Gleiches gilt von allen Augengläsern, sie mögen einfach oder zusammengesetzt sein, nicht weniger von der Camera obscura.
78.
ja, dass wir eine dem zweiten Newtonischen Experiment unmittelbar verwandte Instanz beibringen, so erinnern wir unsre Leser an jenen optischen Kasten, in welchem stark erleuchtete Bilder von Hauptstädten, Schlössern und Plätzen durch eine Linse angesehen und verhältnismäßig vergrößert, zugleich aber auch sehr klar und deutlich erblickt werden. Man kann sagen, es sei hier der Newtonische Versuch selbst, nur in größerer Mannigfaltigkeit subjektiv wiederholt. Wäre die Newtonische Hypothese wahr, so könnte man unmöglich den hellblauen Himmel, das hellgrüne Meer, die gelb und blaugrünen Bäume, die gelben Häuser, die roten Ziegeldächer, die bunten Kutschen, Livreen und Spaziergänger nebeneinander zugleich deutlich erblicken.
79.
Noch einiger andern wunderlichen Konsequenzen, die aus der Newtonischen Lehre herfließen, müssen wir erwähnen. Man gedenke der schwarzen Bilder auf verschiedenfarbigen, an Hellung nicht allzu sehr voneinander unterschiedenen Flächen. Nun fragen wir, ob das schwarze Bild denn nicht auch das Recht habe, seine Grenze zu bestimmen, wenn es durch die Linse durchgegangen ist. Zwei schwarze Bilder, eins auf rotem, das andre auf blauem Grunde, werden beide gleich gebrochen; denn dem Schwarzen schreibt man doch keine diverse Refrangibilität zu. Kommen aber beide schwarze Bilder mit gleicher Deutlichkeit auf der entgegengehaltenen weißen Tafel an, so möchten wir doch wissen, wie sich der rote und blaue Grund gebärden wollten, um ihnen die einmal scharf bezeichneten Grenzen streitig zu machen. Und so stimmt denn auch die Erfahrung mit dem, was wir behaupten, vollkommen überein, so wie das Unwahre und Ungehörige der Newtonischen Lehre immer in ächtiger in die Augen springt, je länger man sich damit, es sei nun experimentierend oder nachdenkend, beschäftigt.
80.
Fragt man nun gar nach farbigen Bildern auf farbigem Grund, so wird der prätendierte Versuch und die daraus gezogene Folgerung ganz lächerlich; denn ein rotes Bild auf blauem Grunde könnte niemals erscheinen, und umgekehrt. Denn wenn es der roten Grenze beliebte, deutlich zu werden, so hätte die blaue keine Lust, und wenn diese sich endlich bequemte, so wär› es jener nicht gelegen. Fürwahr, wenn es mit den Elementen der Farbenlehre so beschaffen wäre, so hätte die Natur dem Sehen, dem Gewahrwerden der sichtbaren Erscheinungen auf eine saubre Weise vorgearbeitet.
81.
So sieht es also mit den beiden Experimenten aus, auf welche Newton einen so großen Wert legte, dass er sie als Grundpfeiler seiner Theorie an die erste Stelle des Werkes brachte, welches zu ordnen er sich über dreißig Jahre Zeit nahm. So beschaffen sind zwei Versuche, deren Ungrund die Naturforscher seit hundert Jahren nicht einsehen wollten, obgleich das, was wir vorgebracht und eingewendet haben, schon öfters in Druckschriften dargelegt, behauptet und eingeschärft worden, wie uns davon die Geschichte umständlicher belehren wird.