Die Refrangibilität der verschiedenen Arten des homogenen Lichts, wie sie den verschiedenen Arten Farben entspricht, zu bestimmen.
Siebenter Versuch
460.
Der Verfasser, welcher wohl gefühlt haben mag, dass seine Farbenlehre sich im physikalischen Kreise völlig isoliere, dass seine Erklärung der Phänomene mit der Erklärung andrer Naturerscheinungen sich nicht wohl verbinden lasse, geht nun darauf aus, die Maßverhältnisse seines Spektrums an die Tonverhältnisse anzuschließen und durch diese Verbindung seiner Meinung einigen Rückenhalt zu verschaffen.
461.
Ganz vergeblicherweise knüpft er daher gegenwärtigen Versuch an den fünften des ersten Teils und an dasjenige, was bei Gelegenheit der vierten Proposition gesagt worden; denn eigentlich nimmt er sein gewöhnlich Spektrum, lässt es aufs Papier fallen, auf welchem der Umriss gezeichnet ist, und zieht alsdann an der Grenze jeder Farbe Querlinien, um den Raum, den eine jede einnimmt, und die Verhältnisse der Distanzen voneinander zu messen.
462.
Nachdem er also im Vorhergehenden viele Zeit und Papier verdorben, um gegen die Natur zu beweisen, dass das Spektrum aus unendlichen ineinandergreifenden Farbenzirkeln bestehe, so lassen sich nun auf einmal Querlinien ziehen durch die Grenzen, wo eine die andere berührt, eine von der andern zu unterscheiden ist.
463.
Wie nun bei dem Verfasser Wahrheit und Irrtum innig miteinander verbunden sind, weswegen sein Amalgama sich um so schwerer beurteilen lässt, so tritt auch hier das Wahre, dass die Farben im perpendikularen Spektrum sich ziemlich mit horizontalen Strichen bezeichnen lassen, zum erstenmal auf; allein der Irrtum, dass diese Farben unter sich ein feststehendes Maßverhältnis haben, wird zugleich mit eingeführt und gewinnt durch Messungen und Berechnungen ein ernsthaftes und sichres Ansehen.
464.
Wie es sich mit diesen beiden Punkten verhalte, ist unsern Lesern schon genugsam bekannt. Wollen sie sich’s kürzlich wiederholen, so dürfen sie nur nochmals unsre fünfte Tafel vor sich nehmen. Wir haben auf derselben das verrückte helle Bild viereckt angenommen, wobei man am deutlichsten sehen kann, wie es sich mit der Sache verhält. Die Farben der gezeichneten Durchschnitte erscheinen zwischen horizontalen parallelen Linien. Erst sind sie durch das Weiße getrennt, dann tritt das Gelbe und Blaue übereinander, so dass ein Grünes erscheint. Dieses nimmt endlich überhand; denn das Gelbe und Blaue verliert sich in demselben. Man sieht deutlich, indem man diese Tafel betrachtet, dass jeder Durchschnitt, den man durch die fortschreitende Erscheinung macht, anders ausfällt, und dass nur derjenige, über den ein punktiertes Oval gezeichnet ist, mit dem Newtonischen Spektrum allenfalls übereinkommt. Ebenso verhält es sich mit dem verrückten dunklen Bilde auf der sechsten Tafel, wodurch die Sache vollkommen ins Klare gesetzt wird.
465.
Uns scheint sie so außer allem Streit, dass wir die Messungen und die darauf gegründeten Zahlen und Berechnungen ohne weiteres Übergehen, um so mehr als man dieses Scheingebäude bei dem Autor selbst beliebig nachsehen kann, behaupten aber ausdrücklich, dass diese hier ausgegrübelten Terzen, Quarten, Quinten bloß imaginär seien und dass sich von dieser Seite keine Vergleichung der Farbe und des Tons denken lasse.
Achter Versuch
466.
Wie nun in dem vorigen Versuche das durchs Glasprisma hervorgebrachte Spektrum angeblich gemessen und seine Verhältnisse fälschlich berechnet worden, so geht der Verfasser auf Verbindung mehrerer Mittel über, um die verschiedene Farbenerscheinung nach dem einmal gefundenen Gesetz zu bestimmen.
467.
Zu diesem Zwecke nimmt er ein Wasserprisma mit unterwärts gekehrtem brechenden Winkel, setzt in dasselbe ein Glasprisma, den brechenden Winkel oberwärts gekehrt, und lässt alsdann das Sonnenlicht durchfallen. Nun versucht er so lange, bis er ein Glasprisma findet, das bei geringerem Winkel als das Wasserprisma durch stärkere Refraktion die Refraktion des Wasserprismas verbessert, dergestalt dass die einfallenden und ausfallenden Strahlen miteinander parallel werden; da denn nach verbesserter Brechung die Farbenerscheinung verschwunden sein soll.
468.
Wir übersetzen und bestreiten dieses Experiment nicht, indem dessen Unstatthaftigkeit von jedermann anerkannt ist; denn dass Newton hier einen wichtigen Umstand übersehen, musste sogleich in die Augen fallen, als die Achromasie bei fortdauernder Refraktion oder umgekehrt die Chromasie bei aufgehobener Refraktion entdeckt war.
469.
Indessen war es sehr verzeihlich, dass Newton hier nicht genau nachspürte. Denn da er den Grund der Farbenerscheinung in die Refraktion selbst legte, da er die Brechbarkeit, die verschiedene Brechbarkeit, ausgesprochen und festgesetzt hatte, so war nichts natürlicher, als dass er die Wirkung der Ursache gleich setzte, dass er glaubte und behauptete, ein Mittel, das mehr breche, müsse auch die Farben stärker hervorbringen, und indem es die Brechung eines andern aufhebe, auch zugleich die Farbenerscheinung wegnehmen. Denn indem die Brechbarkeit aus der Brechung entspringt, so muss sie ja mit ihr gleichen Schritt halten.
470.
Man hat sich verwundert, dass ein so genauer Experimentator, wofür man Newton bisher gehalten, dass ein so vortrefflicher Beobachter ein solches Experiment anstellen und den Hauptumstand dabei übersehen konnte. Aber Newton hat nicht leicht einen Versuch angestellt, als insofern er seiner Meinung günstig war; wenigstens beharrt er nur auf solchen, welche seiner Hypothese schmeicheln. Und wie sollte er eine diverse Refrangibilität, die von der Refraktion selbst wieder divers wäre, auch nur ahnen? In der Geschichte der Farbenlehre werden wir die Sache weiter auseinandersetzen, wenn von Dollonds Erfindung die Rede sein wird, da wir in unserm Entwurf das Naturverhältnis deutlich gemacht haben (E. 682-687.)
471.
Eigentlich war die Newtonische Lehre auf der Stelle tot, sobald die Achromasie entdeckt war. Geistreiche Männer, z. B. unser Klügel, empfanden es, drückten sich aber unentschieden darüber aus. Der Schule hingegen, welche sich schon lange gewöhnt hatte, an dieser Lehre zu leimen, zu flicken und zu verkleistern, fehlte es nicht an Wundärzten, welche den Leichnam balsamierten, damit er auf ägyptische Weise auch nach seinem Tode bei physischen Gelagen präsidieren möge.
472.
Man brauchte neben der verschiedenen Brechbarkeit auch noch den Ausdruck einer verschiedenen Zerstreubarkweit, indem man das unbestimmte, schon von Grimaldi, Rizzetti, Newton selbst und andern gebrauchte Wort Zerstreuen hier in einem ganz eigenen Sinne anwendete und, so ungeschickt es auch war, der neu bekannt gewordenen Erscheinung anpasste, ihm ein großes Gewicht gab und eine Lehre durch Redensarten rettete, die eigentlich nur aus Redensarten bestand.
473.
übergehen wir nun die bei dieser Gelegenheit vorgebrachten Messungen und Berechnungen, welche schon von der physischen und mathematischen Welt für falsch erklärt worden, so übersetzen und beleuchten wir doch die Schlussrede, welche den Übergang zu neuen Kunststücken macht, durch die wir nicht ins Licht, sondern hinter das Licht geführt werden sollen. Denn also spricht der Verfasser:
474.
Nimmt man nun diese Theoreme in die Optik auf,
475.
Es ist sehr wunderbar, dass er diese Empfehlung gerade an einer Stelle anbringt, welche nun schon durchaus für falsch anerkannt ist.
476.
so hätte man Stoff genug, diese Wissenschaft weitläufig (voluminously) nach einer neuen Manier zu behandeln, nicht allein bei dem Vortrag alles dessen, was zur Vollkommenheit des Sehens beiträgt, sondern auch, indem man mathematisch alle Arten der Farbenphänomene, welche durch Refraktion entstehen können, bestimmte.
477.
Dass man aber ebendieses auf Newtons Weise nach Anleitung des letzten Experiments tat, dadurch ist die Verbesserung der dioptrischen Fernröhre und die wahre Einsicht in die Natur der Farbe überhaupt, besonders aber der Farbe, insofern sie durch Refraktion entsteht, auf lange Zeit unmöglich gemacht worden.
Nun folgt ein ganz leiser Übergang zu dem, was wir uns zunächst sollen gefallen lassen.
478.
Denn hierzu ist nichts weiter nötig, als dass man die Absonderung der heterogenen Strahlen finde,
479.
Welche wunderlichen Anstalten er hierzu gemacht, wie wenig er damit zustande gekommen, ist von uns genau und weitläufig ausgeführt. Aber man merke wohl, was noch weiter nötig ist!
480.
und ihre verschiedenen Mischungen und Proportionen in jeder Mischung.
481.
Also erst soll man sie absondern und dann wieder mischen, ihre Proportion in der Absonderung, ihre Proportion in der Mischung finden. Und was hat man denn davon? Was aber der Autor darunter hat, wird sich bald zeigen, indem er uns mit den Mischungen in die Enge treiben will. Indessen fährt er fort, goldne Berge zu versprechen.
482.
Auf diesem Wege zu denken und zu schließen (way of arguing) habe ich die meisten Phänomene, die in diesem Buche beschrieben sind, erfunden,
483.
ja, wohl hat er sie erfunden oder sie vielmehr seinem Argumentieren angepasst.
484.
und andre mehr, die weniger zu der gegenwärtigen Abhandlung gehören. Und ich kann bei den Fortschritten, die ich in den Versuchen gemacht habe, wohl versprechen, dass derjenige, der recht denken und folgern und alles mit guten Gläsern und hinreichender Vorsicht unternehmen wird, des erwarteten Erfolgs nicht ermangeln soll.
485.
Der erwartete Erfolg wird nur der sein, wie er es denn auch gewesen ist, dass eine Hypothese immer mehr ausgeputzt wird und die vorgefasste Meinung im Sinn immer mehr erstarrt.
486.
Aber man muss zuerst erkennen, was für Farben von andern, die man in bestimmter Proportion vermischt, entstehen können.
487.
Und so hätte uns der Verfasser ganz leise wieder an eine Schwelle hingeführt, über die er uns in eine neue Konkameration seines Wahnes höflicherweise hineinnötigt.