Das Licht der Sonne besteht aus Strahlen, die verschieden reflexibel sind, und die am meisten refrangiblen Strahlen sind auch die am meisten reflexiblen.
194.
Nachdem der Verfasser uns genugsam überzeugt zu haben glaubt, dass unser weißes, reines, einfaches helles Licht aus verschiedenen farbigen dunklen Lichtern insgeheim gemischt sei, und diese innerlichen Teile durch Refraktion hervorgenötigt zu haben wähnt, so denkt er nach, ob nicht auch noch auf andere Weise diese Operation glücken möchte, ob man nicht durch andere verwandte Bedingungen das Licht nötigen könne, seinen Busen aufzuschließen.
195.
Der Refraktion ist die Reflexion nahe verwandt, so dass die erste nicht ohne die letzte vorkommen kann. Warum sollte Reflexion, die sonst so mächtig ist, nicht auch diesmal auf das unschuldige Licht ihre Gewalt ausüben? Wir haben eine diverse Refrangibilität; es wäre doch schön, wenn wir auch eine diverse Reflexibilität hätten. Und wer weiß, was sich nicht noch alles fernerhin daran anschließen lässt! Dass nun dem Verfasser der Beweis durch Versuche, wozu er sich nunmehr anschickt, vor den Augen eines gewarnten Beobachters ebensowenig als seine bisherigen Beweise gelingen werde, lässt sich voraussehen, und wir wollen von unserer Seite zur Aufklärung dieses Fehlgriffs das Möglichste beitragen.
Neunter Versuch
196.
Wie der Verfasser hierbei zu Werke geht, ersuchen wir unsere Leser in der Optik selbst nachzusehen; denn wir gedenken, anstatt uns mit ihm einzulassen, anstatt ihm zu folgen und ihn Schritt vor Schritt zu widerlegen, uns auf eigenem Wege um die wahre Darstellung des Phänomens zu bemühen. Wir haben zu diesem Zweck auf unserer achten Tafel die einundzwanzigste Figur der vierten Newtonischen Tafel zum Grunde gelegt, jedoch eine naturgemäßere Abbildung linearisch ausgedrückt, auch zu besserer Ableitung des Phänomens die Figur fünfmal nach ihren steigenden Verhältnissen wiederholt, wodurch die in dem Versuch vorgeschriebene Bewegung gewissermaßen vor Augen gebracht und, was eigentlich vorgehe, dem Beschauenden offenbar wird. Übrigens haben wir zur leichtern Übersicht des Ganzen die Buchstaben der Newtonischen Tafeln beibehalten, so dass eine Vergleichung sich bequem anstellen lässt. Wir beziehen uns hierbei auf die Erläuterung unserer Kupfertafeln, wo wir noch manches über die Unzulänglichkeit und Verfänglichkeit der Newtonischen Figuren überhaupt beizubringen gedenken.
197.
Man nehme nunmehr unsere achte Tafel vor sich und betrachte die erste Figur. Bei F trete das Sonnenbild in die finstre Kammer, gehe durch das rechtwinklige Prisma ABC bis auf dessen Base M, von da an gehe es weiter durch, werde gebrochen, gefärbt und male sich auf die uns bekannte Weise auf einer unterliegenden Tafel als ein längliches Bild GH. Bei dieser ersten Figur erfahren wir weiter nichts, als was uns schon lange bekannt ist.
198.
In der zweiten Figur trete das Sonnenbild gleichfalls bei F in die dunkle Kammer, gehe in das rechtwinkliche Prisma ABC und spiegle sich auf dessen Boden M dergestalt ab, dass es durch die Seite AC heraus nach einer unterliegenden Tafel gehe und daselbst das runde und farblose Bild N aufwerfe. Dieses runde Bild ist zwar ein abgeleitetes, aber ein völlig unverändertes; es hat noch keine Determination zu irgendeiner Farbe erlitten.
199.
Man lasse nun, wie die dritte Figur zeigt, dieses Bild N auf ein zweites Prisma VXY fallen, so wird es beim Durchgehen eben das leisten, was ein originäres oder von jedem Spiegel zurückgeworfenes Bild leistet; es wird nämlich nach der uns genugsam bekannten Weise auf der entgegengestellten Tafel das längliche gefärbte Bild pt abmalen.
200.
Man lasse nun nach unsrer vierten Figur den Apparat des ersten Prismas durchaus wie bei den drei ersten Fällen und fasse mit einem zweiten Prisma VXY auf eine behutsame Weise nur den obern Rand des Bildes N auf, so wird sich zuerst auf der entgegengesetzten Tafel der obere Rand p des Bildes pt blau und violett zeigen, dahingegen der untere t sich erst etwas später sehen lässt, nur dann erst, wenn man das ganze Bild N durch das Prisma VXY aufgefasst hat. Dass man eben diesen Versuch mit einem direkten oder von einem Planspiegel abgespiegelten Sonnenbilde machen könne, versteht sich von selbst.
201.
Der grobe Irrtum, den hier der Verfasser begeht, ist der, dass er sich und die Seinigen überredet, das bunte Bild GH der ersten Figur habe mit dem farblosen Bilde N der zweiten, dritten und vierten Figur den innigsten Zusammenhang, da doch auch nicht der mindeste stattfindet. Denn wenn das bei der ersten Figur in M anlangende Sonnenbild durch die Seite BC hindurchgeht und nach der Refraktion in GH gefärbt wird, so ist dieses ein ganz anderes Bild als jenes, das in der zweiten Figur von der Stelle M nach N zurückgeworfen wird und farblos bleibt, bis es, wie uns die dritte Figur Überzeugt, in pt auf der Tafel, bloß als käme es von einem direkten Lichte, durch das zweite Prisma gefärbt abgebildet wird.
202.
Bringt man nun, wie in der vierten Figur gezeichnet ist, ein Prisma sehr schief in einen Teil des Bildes (200), SO geschieht dasselbe, was Newton durch eine langsame Drehung des ersten Prismas um seine Achse bewirkt – eine von den scheinbaren Feinheiten und Akkuratessen unseres Experimentators.
203.
Denn wie wenig das Bild, das bei M durchgeht und auf der Tafel das Bild GH bildet, mit dem Bilde, das bei M zurückgeworfen und farblos bei N abgebildet wird, gemein habe, wird nun jedermann deutlich sein. Allein noch auffallender ist es, wenn man bei der fünften Figur den Gang der Linien verfolgt. Man wird alsdann sehen, dass da, wo das Bild M nach der Refraktion den gelben und gelbroten Rand G erzeugt, das Bild N nach der Refraktion den violetten p erzeuge, und umgekehrt, wo das Bild M den blauen und blauroten Rand H erzeugt, das Bild N, wenn es die Refraktion durchgegangen, den gelben und gelbroten Rand t erzeuge; welches ganz natürlich ist, da einmal das Sonnenbild F in dem ersten Prisma herunterwärts und das abgeleitete Bild M in N hinaufwärts gebrochen wird. Es ist also nichts als die alte, uns bis zum Überdruss bekannte Regel, die sich hier wiederholt und welche nur durch die Newtonischen Subtilitäten, Verworrenheiten und falschen Darstellungen dem Beobachter und Denker aus den Augen gerückt wird. Denn die Newtonische Darstellung auf seiner vierten Tafel, Figur 2 1, gibt bloß das Bild mit einer einfachen Linie an, weil der Verfasser, wie es ihm beliebt, bald vom Sonnenbild, bald vom Licht, bald vom Strahle redet; und gerade im gegenwärtigen Falle ist es höchst bedeutend, wie wir oben bei der vierten Figur unserer achten Tafel gezeigt haben, die Erscheinung als Bild, als einen gewissen Raum einnehmend zu betrachten. Es würde leicht sein, eine gewisse Vorrichtung zu machen, wo alles das Erforderliche auf einem Gestelle fixiert beisammen stünde, welches nötig ist, damit man durch eine sachte Wendung das Phänomen hervorbringen und das Verfängliche und Unzulängliche des Newtonischen Versuchs dem Freunde der Wahrheit vor Augen stellen könne
Zehnter Versuch
204.
Auch hier wäre es not, dass man einige Figuren und mehrere Blätter Widerlegung einem Versuch widmete, der mit dem vorigen in genauem Zusammenhang steht. Aber es wird nun Zeit, dass wir dem Leser selbst etwas zutrauen, dass wir ihm die Freude gönnen, jene Verworrenheiten selbst zu entwickeln. Wir übergeben ihm daher Newtons Text und die daselbst angeführte Figur. Er wird eine umständliche Darstellung, eine Illustration, ein Scholion finden, welche zusammen weiter nichts leisten, als dass sie den neunten Versuch mit mehr Bedingungen und Umständlichkeiten belasten, den Hauptpunkt unfasslicher machen, keineswegs aber einen bessern Beweis gründen.
205.
Dasjenige, worauf hierbei alles ankommt, haben wir schon umständlich herausgesetzt (201), und wir dürfen also hier dem Beobachter, dem Beurteiler nur kürzlich zur Pflicht machen, daran festzuhalten, dass die beiden prismatischen Bilder, wovon das eine nach der Spiegelung, das andere nach dem Durchgang durch das Mittel hervorgebracht wird, in keiner Verbindung, in keinem Verhältnis zusammen stehen, jedes vielmehr für sich betrachtet werden muss, jedes für sich entspringt, jedes für sich aufgehoben wird, so dass alle Beziehung untereinander, von welcher uns Newton so gern überreden möchte, als ein leerer Wahn, als ein beliebiges Märchen anzusehen ist.